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Gottfried Pilz (* 21. September 1944 in Salzburg; † 3. Oktober 2024 in Berlin) studierte an der Kunstakademie in Wien, war 4 Jahre Assistent an der Wiener Staatsop er. Seine erste Bühnenbildassistenz führt ihn zu Wieland Wagner. Seit 1969 assistierte mehrere Jahre bei Rudolf Heinrich Filippo Sanjust. Zeitweise war er auch als Illustrator tätig. Seine Bühnenbild-Debüts waren in Amsterdam und Berlin. Festanstellungen verbanden in mit Bielefeld, Augsburg und Kiel. Von 1980 bis 1990 arbeitete er erfolgreich mit dem Regisseur John Dew zusammen und war maßgeblich am „Bielefelder Opernwunder“ mit seinen bemerkenswerten Ausgrabungen vergessener Werke beteiligt. Daneben war er europa-, ja weltweit freier Bühnenbilder für diverse Produktionen in Oper und Schauspiel mit auch eigenen Inszenierungen.
Jetzt ist im Verlag Theater der Zeit ein opulentes Buch erschienen, das seinem Werk ein würdiges Denkmal setzt „Gottfried Pilz. Bühne. Kostüm. Regie“ Herausgegeben wurde es von der Bielefelder Grafikerin Kerstin Schröder, die Gottfried Pilz seit seinen Bielefelder Jahren (1982-1992) kennt.
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Gottfried Pilz hat Wagners „Ring“ insgesamt vier Mal inszeniert. Zu Wagner hatte er denn auch eine besondere Beziehung. In einem Gespräch, das ich vor Jahren einmal mit ihm führte, sagte er mir: „Faszinierend bei Wagner ist nicht nur dass er Siegmund Freud eigentlich antizipiert hat, sondern dass er noch über Strindberg weit über unsre zeit hinausgeht, bis hin zu Bergmanns ‚Szenen einer Ehe‘.“ Die Äußerung ist typisch für Gottfried Pilz, denn der psychoanalytische Weg ist für ihn eigentlich in fast allen Opern aller Epochen der entscheidende Zugang.
Dekorationen ist seine Sache nicht. „Mir geht es eher um die Sichtbarmachung dessen, was hinter einer Wand steht, was auf der Bühne steht, was jenseits der Grenzen liegt. Grenzüberschreitungen sind mein Thema“ hat er einmal unmissverständlich erklärt. Theater ist für ihn immer ein „Umsetzen ins Heute!“ Fern allerdings von allem unverantwortlich bearbeitenden, selbstverliebt egomanischen, kommentierenden oder gar destruierenden … Regietheater.
Zur Erinnerung liest man: „1980 begann eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Regisseur John Dew. Pilz gelang in den 1990er-Jahren eine innovative Weiterentwicklung des Bühnen- und Kostümbildes. Er schuf faszinierende Bilder, die die Musik visuell übersetzen und in die Operngeschichte eingegangen sind. Zu seinen Ausstattungen gehörten Welturaufführungen wie Alexander von Zemlinskys ‚Der König Kandaules‘ in Hamburg 1996 sowie die Wiederentdeckung selten gespielter oder in Vergessenheit geratener Werke wie Giacomo Meyerbeers ‚Die Hugenotten‘, Berlin 1987 und Jacques Fromental Halévys ‚Die Jüdin‘, Bielefeld 1989. Neben seiner internationalen Karriere arbeitete Gottfried Pilz immer wieder mit Regisseur Gotz Friedrich an der Deutschen Oper Berlin zusammen. Dem legendaren ‚Rosenkavalier‘-Auftakt in Berlin 1993 folgten 15 gemeinsame Projekte einschließlich der ersten Gesamtaufführung ‚Der Ring des Nibelungen‘ in Helsinki 2000.“
Das jetzt erschienene Buch verblüfft vor allem mit seinen Fotografien. Es zeigt einen Ausschnitt aus dem umfangreichen Schaffen von Gottfried Pilz. „15 von rund 250 Arbeiten werden in chronologischer Reihenfolge vorgestellt“ nach dem Motto „Last Bilder sprechen.
Man liest darin das Bekenntnis: „Für das Theater zu Arbeiten heißt reflektiertes Umsetzen eines Textes, der Musik oder beider zusammen in einem Aktionsraum, der die Darstellung von zwischenmenschlichen Beziehungen ermöglicht oder umfasst.“
Peter Brook hat sehr faszinierendes Buch mit dem Titel „Der leere Raum“ geschrieben. Pilz kennt es natürlich, denn auch er zeigt oft leere Räume. „Es ist aber die Frage, wie leer ist der Raum wirklich oder wie verschieden kann leerer Raum sein?“
Als beispielhaft darf die Leipziger Inszenierung (der deutschen Erstaufführung) von Olivier Messiaens „Saint Francois D’Assise“ aus dem Jahre 1998 gelten, die in dem Buch in beeindruckenden Fotos dokumentiert ist.
Ein staub- und qualmvernebelter, verwüsteter Kirchenraum, in dem nur noch nackte Stühle übriggeblieben sind, nach dem Einsturz der Franziskuskirche in Assisi, der bei einem Erdbeben 1997, was von einem Amateurfilmer auf Video gebannt und vor Beginn der eigentlichen Inszenierung gezeigt wurde. Im Hintergrund klafft ein großes Loch, das Fragen evoziert und Durchblicke auf Uneindeutiges gestattet. In diesem qualmgeschwängerten Raum, der von immer neuen Lichtstrahlen, Lichtreflexen und -Stimmungen durchdrungen wird, entwickelte Gottfried Pilz die Geschichte des Glaubensreformators, die er kondensiert hat zur Allegorie der Menschwerdung an sich. Wenn man so will eine durch Nietzsches Atheismus gefilterte Heiligenlegende als humane Entwicklungsgeschichte des Individuums. Statt Soutanen und Mönchsgewänder sieht man schlichte Anzüge. Statt Kirchenplunders wird mit wenigen Kreuzprojektionen und einer simplen, aber einsichtigen Kleidermetapher das Aufbauen und Zerstören von Glauben, Illusionen und Hoffnungen angedeutet. Kleiderhaufen liegen auf dem Boden des zerstörten Gotteshauses. Die Mönche falten sie nach und nach, schichten sie auf zu wackligen Türmen, die wieder zusammenfallen. Am Ende ist der Boden dieses säkularisierten Glaubensraumes leergefegt und steril, die Phalanx der Mönche tritt dem erleuchteten, erlöschenden Außenseiter Franziskus proper und adrett in Mantel und Hut entgegen. Diese Versinnbildlichung hat Methode, sie ist konsequent, sie vermeidet jede Art von Peinlichkeit und Unbehagen, und sie lenkt nicht ab von der unglaublich beredten und gestischen Musik, die ihrerseits so viel zu erzählen und zu kommentieren hat.
Die Räume von Gottfried Pilz sind – nicht nur in „Saint Francois D’Assise“ – von magischer und suggestiver Wirkung, es sind stets feinfühlige und doch starke Licht- und Farbräusche, optische Stimmungen, traumhafte Welten. Zurecht werden sie als „Freiräume für die eigene Fantasie“ bezeichnet.
Die Fotografin Karen Stuke, die seit den 1980er Jahren Gottfried Pilz begleitet und viele seiner faszinierenden Produktionen fotografierte, hat insbesondere mit ihren Camera-obscura-Aufnahmen seine Inszenierungen in besonderer Weise eingefangen. Sie gesteht, diese Form der Fotografie sei „keine dokumentarische, sondern eher verfremdende.“ Gottfried Pilz hat sie in ihrem fotografischen Verfahren, das in besonderer Weise seine Bühnenbilder hervorhebt, bestärkt. Sie belichtete das jeweils gesamte Theaterstück auf einem einzigen Bild mit einer Lochkamera. Die Belichtungszeit des Negativs entspricht exakt der Dauer der Inszenierung. Es sind traumhaft verschleierte Fotografien, die etwas von der suggestiven Wirkung der Pilzschen Bühnenereignisse vermitteln, Davon kann der Leser sich überzeugen, denn Karen Stuke liefert den Großteil des Bildmaterials.
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Mit dem Bonmot „Pilzblau mit einem Schuss Neonrot“ bringt die Herausgeberin des Buches, das einen repräsentativen Ausschnitt der Vorlasses (Fotografien, Plakate, Zeichnungen und Entwürfe) zeigt, den Gottfried Pilz der Theatersammlung des Stadtmuseums Berlin 2011 übergab, dessen Ästhetik auf den Punkt.
Für die Anfangsphase seiner bühnenbildnerischen Laufbahn, die noch sehr konkret und gegenständlich verspielt, nicht selten ironisch gebrochen war, ist in dieser schön ausgestatteten Publikationen leider kein Platz. Sie ist ein Buch über den reifen Gottfried Pilz. Er „hat von 1970 bis 2021 als Bühnen- und Kostümbildner größtenteils für das Musiktheater gearbeitet. Seine im Laufe der Jahre zunehmend abstrakte und minimalistische Bildsprache entwickelte er durch das intensive Studium von Libretto und Partitur konstant weiter. Während er die Musik hörte, und die Texte las, kamen die Ideen. Es sind Bühnenbilder und Entwürfe von 1985-2003, die zu sehen sind. Allerdings ist eine Liste sämtlicher seiner Inszenierungen (mit präzisen Orts- und Theaterangaben) sowie ein Werkverzeichnis beigefügt, die den enormen Wirkungsradius des Ausstatters und Regisseurs) dokumentieren, er formulierte es so: ‚Es muss aus der Hand herauskommen und nicht aus dem Kopf‘.“
Handwerkliche Präzision zeichnen denn auch seine Figurinen und skizzenhafte Entwurfszeichnungen ebenso aus, wie die sinnliche Wirkung der phantasievollen Bühnen-Realisierungen des großen Theaterzauberers.
Der mittlerweile achtzigjährige Gottfried Pilz, der zu den weltweit renommiertesten Bühnenbildnern zählt, hat sich in den letzten Jahren aus gesundheitlichen Gründen vom Theater zurückgezogen. Am 3. Oktober ist er nun verstorben. Er hat zweifellos ein Stück Theater- und Inszenierungsgeschichte „der letzten Jahrzehnte des 20 Jahrhunderts und desbeginnenden 21.Jahrhunderts“ geschrieben, wie Bärbel Reißmann vom Stadtmuseum Berlin schreibt. Das Buch, aber auch das Museum will „Gedächtnis für die Theatermacher und das Publikum“ sein. „Ein nützliches Register, ein Verzeichnis aller Pilz-Inszenierungen und eine biografische Zeittafel ergänzen das äußerst verdienstvolle Buch (Foto Deutsche Oper Berlin Archiv). Dieter David Scholz