Genie und Eitelkeit

 

Am 6. September 1829 schrieb Konstanze, Mozarts Witwe, an eine Freundin in Paris und äußerte ihre Dankbarkeit für all das, was der Mann seiner Korrespondentin für den Nachruhm Mozarts tue: „Mein Sohn Wolfgang wird außer sich vor Freude sein; denn wie groß war seine Freude und Dankgefühl, mit mir von dem höchst wohltätigen Freund mündlich sprechen zu können. Ja ganze Stunden sprachen wir von nichts als unserem Spontini, wie er das génie seines Vaters anerkennt, und es an seiner Familie beweist, welch ein Verehrer Mozarts er ist“. Adressatin des Briefes war Céleste Erard (1790-1878) aus der Familie der Pariser Klavierbauer, die 1811 den italienischen Komponisten geheiratet hatte. Gaspare Spontini hatte schon in Paris versucht, Mozart populär zu machen, indem er z. B. Aufführungen des Don Giovanni unterstützte. Später dirigierte er in Berlin mehrere seiner Werke (neben den Opern auch das Requiem und Symphonien) und trug finanziell entscheidend dazu bei, dass die Mozart-Biographie von Konstanzes Ehemann Georg Nikolaus Nissen in Leipzig bei Breitkopf und Härtel 1828 gedruckt wurde (er wird in der Danksagung denn auch als erster genannt).

Verehrung und Bewunderung für Musiker sind nicht Qualitäten, die man eigentlich mit der Gestalt des Gaspare Spontini (1774–1851) verbindet. Ganz im Gegenteil: Vielen galt er als hochmütig und selbstsüchtig. Seine Eitelkeit war sprichwörtlich, und er hielt sich oft mit Häme und Verachtung für die Mitmenschen nicht zurück (noch 1844 meinte er, die Italiener seien alle cochons, die Franzosen deren Nachahmer, und die Deutschen kämen nie „aus ihren Kindereien zurück“). Er konnte sich seine unausstehliche Arroganz leisten, denn in seiner Zeit galt er als der erfolgreichste und einflussreichste Opernkomponist überhaupt (noch vor Cherubini). Sein Ruhm verblasste jedoch um die Mitte des 19. Jahrhunderts schnell, und heutzutage werden seine Opern nur selten aufgeführt.

Kleine italienische Bühnen haben zwar dankenswerterweise mehrere seiner frühen, vor dem Umzug nach Paris im Jahre 1803 verfassten, Opern inszeniert (darunter 1995 in seinem Geburtsort Jesi einen bemerkenswerten Teseo von 1798), aber seine späteren Meisterwerke sind aus den Spielplänen wieder verschwunden, nachdem die Aufführung der Vestalin an der Scala mit Maria Callas 1954 für Aufsehen gesorgt hatte. Eine vom Palazzetto Bru Zane lustlos eingerichtete, erbärmlich gesungene Aufführung in Bruxelles 2015 hat dem Stück eher geschadet als genutzt, und die Olympie mit einem überforderten Jérémie Rhorer letztes Jahr war nicht viel besser (sie kommt bei Ediciones Singulares als CD-Buch heraus). Eine konzertante Vestale in Dresden 2013 blieb ebenfalls ohne Folgen. Der großen Anerkennung seiner musikhistorischen Bedeutung in den Fachkreisen (operalounge.de berichtet z. B. über einen interessanten Sammelband und wies  ausführlich á propos der Florentiner Agnese auf die kommende Agnes von Hohenstaufen in Erfurt im Jun i 2018 hin) hat leider keine Nachwirkung in der breiten Öffentlichkeit.

Umso mehr begrüßt man die Initiative des Dozenten und Musikschriftstellers Patrick Barbier, der eine kurze Einführung in Leben und Werk Spontinis vorlegt und damit die erste Monographie zu diesem Komponisten seit dem Buch von Paolo Fragapane vor über 60 Jahren (1954) veröffentlicht. Barbier beschreibt das Leben des Gaspare Spontini und stellt nach und nach seine Hauptwerke in Text und Bild vor (der Band enthält viele Illustrationen). Er fasst die Handlungen der Opern zusammen und urteilt über die Musik, wobei die Kriterien allerdings unklar bleiben. Man gewinnt bei der Lektüre den Eindruck, dass sie subjektiv, ja willkürlich sind. Aber das ist nicht das größte Problem mit diesem Buch. Die Collection Horizons des Bleu nuit Editeur ist wegen ihrer Schlampigkeit berüchtigt. Barbier hat sich offensichtlich redlich bemüht, mit Genauigkeit nicht aufzufallen. Es gibt viele Druck- und andere Fehler. Um nur ein Beispiel zu nennen: Barbier tischt das längst widerlegte Märchen auf, nach dem das Horst-Wessel-Lied auf einen Chor des Joseph von Etienne-Nicholas Méhul (1763-1817) zurückgeht, den er übrigens Joseph Méhul nennt (S. 81). Man sollte aber nicht ungerecht sein. Barbier schreibt flott, und man liest seine Ausführungen gerne. Ein Deutscher hätte vermutlich einen 400seitigen Band verfasst (Stoff dafür gäbe es genug) und ab Seite 50 seine Leser einschlafen lassen. Barbier erzählt pointiert und unterhaltsam und kommt mit 150 Seiten Text aus. Am Ende hat er einige Apparate hinzugefügt, die nützlich sind (etwa eine Liste der Werke, eine Diskographie sowie eine Bibliographie, und es gibt sogar ein Namensregister, wo übrigens Méhul seinen echten Namen zurückbekommt). Aus diesem Grund kann die Lektüre all denjenigen empfohlen werden, welche der französischen Sprache mächtig sind.

Dass dieser kompakte Führer ins Deutsche übersetzt wird, was berechtigt wäre (immerhin war Spontini zwanzig Jahre, von 1820 bis 1841, in Berlin tätig), ist aufgrund der Tatsache, dass man ihn heute nicht mehr spielt, kaum anzunehmen. Hausherr Guy Montavon und das Theater Erfurt bilden hier eine lobenswerte Ausnahme: sie werden im Juni 2017 die erste moderne Aufführung der Agnes von Hohenstaufen auf Deutsch auf die Bühne bringen, nachdem sie sich schon 2006 mit beachtlichem Ergebnis für den Fernand Cortez eingesetzt hatten.

Dem deutschen Leser steht freilich eine meisterhafte, wenn auch nur wenige Seiten umfassende Spontini-Monographie zur Verfügung. Gemeint ist der Abschnitt, den Richard Wagner in seinen 1880 abgeschlossenen Lebenserinnerungen unter dem Titel Mein Leben Spontini widmet. Wagner hatte in Dresden den Plan gefasst, die Vestalin unter Mitwirkung von Wilhelmine Schröder-Devrient und Josef Tichatschek (excusez du peu) zu inszenieren und lud dazu den Komponisten höchstpersönlich ein. Der Meister, wie Wagner ihn durchgehend nennt, sagte in „einem sehr majestätischen Antwortschreiben“ zu, blieb einige Monate in der sächsischen Hauptstadt und leitete selbst einige Aufführungen. In meisterhafter Prosa erzählt Wagner von den damit verbundenen tragikomischen Ereignissen. Mit ungewöhnlich milder Ironie beschreibt er Macken und Irrmeinungen Spontinis, welcher etwa keine Zukunft für die deutsche Musik mehr sah, nachdem er selbst Berlin verlassen hatte! Ausgerechnet Wagner wirft ihm eine übertriebene Meinung über die eigenen Leistungen vor. Doch das alles verdeckt seine ehrliche Bewunderung für den Musiker Spontini nicht. Schon in den 1840er Jahren begann indes sein Stern unaufhaltsam zu sinken, und aus dem Tief hat sich sein Œuvre nie richtig erholt. Monographien wie Barniers Buch und Aufführungen wie diejenigen, die in Erfurt geplant sind, werden hoffentlich mithelfen, einem Genie des 19. Jahrhunderts den gebührenden Platz im europäischen Kulturleben endlich zurück zu geben (Patrick Barbier, Gaspare Spontini, Bleu nuit Editeur 2017/ Collection Horizons), 176 Seiten, Abb., ISBN 978-2-35884-067-5). Michele C. Ferrari