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Rund vier Jahrzehnte hindurch konnte der Franco-Bonisolli-Fan in der Gewissheit leben (so in einem alten Interview zu lesen), sein Idol strebe nichts mehr an, als eines Tages Goethes Faust im Original lesen zu können, nun erweist sich das als Illusion, denn im zwei Jahrzehnte nach des italienischen Tenors Ableben erschienenen Buch von Gregor Hauser mit dem Titel Franco Bonisolli, Tenor ohne Grenzen erfährt man, dass es Die Wahlverwandtschaften des Dichterfürsten sind, die an erster Stelle auf der Leseliste des Sängers standen, der wie kein zweiter die internationale Opernfangemeinde spaltete. Bewunderten die einen seine stupenden, gern auch zusätzlich eingelegten Spitzentöne, seine Generosität im Fortesingen, seine allen Klischees vom attraktiven bagnino bis hin zum auf behaarter Brust baumelnden Goldkreuz entsprechende Optik und seine sich in Kniefällen vorm Gesamtpublikum oder auch einzelnen Damen äußernde Ergebenheit gegenüber seinen Anhängern, so verachteten die anderen die egoistische Eitelkeit , die sich gerade in dem allen äußerte, die sich einen Deut um Gesamtwerk und Kollegen kümmerte.
Auf ein gewisses Interesse dürfte das Buch, das sich zwischen akribischem Nachforschen und hingebungsvollem Fangeplauder bewegt, auf jeden Fall stoßen, und es macht durchaus nicht nur Schluss mit bisher gepflegten Urteilen, sondern bestätigt auch vieles bisher Bekannte, so die Ansicht des Portraitierten, moderne Regie sei so verachtenswert wie ein eventueller Versuch, auf ein Rembrandtgemälde eine Jeans zu malen.
Das Buch ist in zwei Teile gegliedert. An erster Stelle steht eine akribische Untersuchung der frühen Jahre, die Blütezeit nimmt weit weniger Platz ein, und das Comeback nach der durch die lange Krankheit der ersten Gattin, Sally, verursachten Karrierepause wird zwar in diesen Teil auch aufgenommen, aber erst im zweiten durch Zeitzeugen wie einen der Brüder, den Freund Gunnar Grässl und den Hamburger Manager Wolfgang Schmitt, den Bericht von Susanna Dal Monte, die dem Star zum Comeback in Wien verhalf, ausführlich geschildert. Hier finden sich auch die Erinnerungen des für die berühmten Dreikönigskonzerte und den Titel Wiener Kammersänger wesentlich verantwortlichen Ehepaars Vetrovsky und ein aufschlussreiches Interview mit Dirk Schauß, der ein Konzert mit dem Star und dessen zweiter Gattin, der Polin Agnieszka Sobocinska, in Bamberg organisierte und interessante Erfahrungen à la Himmelfahrtskommando mit dem alternden Tenor machte.
Dem Leser wird das Unterscheiden von Quelle, Sekundärliteratur und verbindenden Texten dadurch leicht gemacht, dass unterschiedliche Schrifttypen verwendet werden, interessant sind die oft sehr vorsichtigen, Vorbehalte nur unzureichend verbergenden Aussagen von Zeitgenossen, die teilweise recht gewunden klingen in dem Bestreben, nichts Abfälliges zu äußern, Originalzitate Bonisollis wie:“Ich gebe halt immer noch etwas drauf“, klingen da schon realistischer, was aber wirklich das Buch äußerst lesenswert macht ist die ehrliches Erstaunen weckende Vielseitigkeit des Tenors in frühen Karrierejahren, die in Spoleto, übrigens gleichzeitig mit denen Renato Brusons, ihren schillernden Anfang nahmen und mit Namen wie Menotti, Zeffirelli, Visconti verbunden sind und mit Rollen in The Saint of Bleeker Street, Mozarts La Clemenza di Tito, Rossinis Assedio di Corinto und Franco Manninos Luisella. Das ist wirklich interessant, auch wenn man über ein Urteil wie über Massenets Des Grieux mit :“..und sein Erscheinungsbild entsprach natürlich ganz dem eleganten Chevalier“ ebenso schmunzeln mag wie über „glasklare, ansatzlose Spitzentöne“, die ebenso frappieren wie „das Anschleifen der Töne“ als angebliches Markenzeichen von Bonisollis Gesangsstil. Immerhin versteigt sich der Verfasser nicht zu einer Kritik über die Berliner Fanciulla, in der Bonisolli dafür einst dafür bewundert wurde, dass er trotz blutender Wunde noch die Leiter zum Hängeboden in Minnies Gemach erklimmen konnte. Dafür zeigt sich ein gewisser Hochmut, wenn konstatiert wird:„Nun war er einem Theater dieser Größe aber entwachsen.“ Damit ist Brüssels Monnaie gemeint. Auch eine Tournee nach „Belgien (inklusive Deutschland), Niederlande und Schottland“ erweckt Befremden. Geschmeichelt fühlen kann sich auf jeden Fall der deutsche Leser, wenn er von der Vorliebe Bonisollis nicht nur für Goethe, sondern auch für Wagner, dessen Tristan er zu gern gesungen hätte, erfährt, dem er sich verwandt fühlte, weil dieser „Grenzen sprengte wie er selbst“.
Der Verfasser hat viel über Leben und Wirken von Bonisolli erfahren und weiß es mit viel Zuneigung zu „unserem Franco“ zu würzen, auch wenn häufig weniger Tatsachen als ein „ man bekommt das Gefühl“, „kann man sich aber gut vorstellen“, „vielleicht begann er in der Küche“ die Unsicherheit darüber verraten, was wirklich geschah.
Den Schluss des Buches, ehe es zum üblichen Anhang kommt, bilden Aussagen von Kollegen (besonders bemerkenswert Bernd Weikl), Journalisten, Manager und von drei Fans aus Linz und bekunden mit ihren Aussagen, dass der Sänger nicht vergessen ist, sondern noch immer eine treue Gemeinde, trotz nicht mehr Bestehens der Amici di Franco Bonisolli, hat. Und diese Gemeinde wird sicherlich nicht zuletzt wegen der vielen Fotos an diesem Buch ihre Freude haben (Marheinicke-Verlag 2024, 292 Seiten, ISBN 978 3 947403 48 6). Ingrid Wanja