„Ach je, jetzt kehrt er den Komponisten-Kollegen heraus“, könnte man noch beim Lesen des Prologs zu Timo Jouko Herrmanns Salieri–Biographie denken, um dann lange vor dem Ankommen im Epilog davon überzeugt zu sein, dass man es mit einem überaus redlichen, grundsoliden und ungemein informationsreichen Buch zu tun hat. Hand in Hand geht sein Erscheinen mit einer bereits vor einigen Jahren begonnenen Salieri-Renaissance, für die nicht zuletzt Cecilia Bartoli und Diana Damrau, aber auch der nicht erwähnte Riccardo Muti stehen.
Das erste Kapitel befasst sich mit der Jugend und Ausbildung des in Legnago im Veneto geborenen Komponisten, dessen Eltern früh verstarben und der deswegen mit seinem Gönner und Lehrer Florian Leopold Gassmann nach Wien ging, dessen reiches musikalisches Leben anschaulich beschrieben wird. Bereits in diesem ersten Kapitel wird deutlich, wie eng die Künstler Mittel- und Westeuropas miteinander vernetzt waren, denn nach Gluck und Metatasio, die der noch junge Antonio Salieri kennenlernte, kommen im Verlauf der Biografie noch so ziemlich alle Größen seiner Zeit in den Genuss seiner Bekanntschaft, seien es seine Schüler Beethoven und Schubert, später Meyerbeer, oder auch Mozart, bei dessen Erwähnung man natürlich sofort an das Gerücht vom Giftmord an dem unliebsamen Rivalen denkt. Näher geht der Autor darauf am Schluss seines Buches ein und enthüllt dabei einen interessanten Aspekt, wenn er auf den Zusammenhang zwischen der Verbreitung des Gerüchts mit dem Aufkommen des Nationalismus verweist, der der „welchen Tücke“, die angeblich Salieri leitete, die „deutsche Treue“ gegenüberstellte. Herrmann gelingt es überzeugend, die Absurdität der für einen Giftmord sprechenden Argumente aufzuzeigen, mehrmals weist er auch darauf hin, dass Salieri sich durchaus als deutscher Komponist fühlte, von den Zeitgenossen auch für einen solchen gehalten wurde.
Im Kapitel über die Lehrjahre wird wie auch in den folgenden ausführlich auf seine Kompositionen eingegangen, besonders auf die Opern wie Armida, La secchia rapita, La locandiera, für die Wiedereröffnung der Scala nach einem Brand L’Europa riconosciuta. Joseph II., der den Komponisten sehr schätzte, bestellt bei ihm ein deutsches Singspiel, der Rauchfangkehrer, Gluck empfiehlt ihn nicht nur für die Scala, sondern auch für Paris, dem er Les Danaides, später Tarrare beschert. Man möchte aus diesen so unterschiedlichen Aktivitäten, und das Buch legt das nahe, den Schluss ziehen, dass Salieri ein europäischer Komponist war.
Interessant ist auch, dass einige Opern Salieris, so Cublai gran Kan dei Tartari (mit der ganz jungen Diana Damrau in Würzburg) erneut in unserer Zeit uraufgeführt wurden.
Der Autor bietet dem Leser neben seinem Text auch eine Fülle von Zitaten, die zu Lebzeiten Salieris entstanden, so Kritiken seiner Werke oder Berichte von Besuchen bei dem offensichtlich äußerst gastfreundlichen Komponisten, der nicht nur zu allen Festen, Hochzeiten wie Begräbnissen der kaiserlichen Familie, dazu noch jeweils drei Krönungen (in Frankfurt, Pressburg und Prag) als Komponist wie Dirigent wirken musste, sondern auch zahlreiche Schüler teils unentgeltlich unterrichtete. Ein Brief Zelters an Goethe ist besonders hervorzuheben ebenso wie ein Bericht von Friedrich Rochlitz.
Dem Jahr 1795 und damit drei wichtigen Opern, die zu dieser Zeit entstanden, ist ein eigenes Kapitel gewidmet, Il Mondo alla Rovescia, Heraklit und Demokrit sowie Palmira, Regina di Persia. In den folgenden Jahren entstehen auch ein Falstaff und eine Komposition für den Landsturm (!), der allerdings nicht gleichzusetzen ist mit der Landbevölkerung, so wie Ludwig XVIII. nicht „wieder eingesetzt“ wurde.
Der Autor bringt dem Leser auch den Menschen Salieri nahe, der nicht nur seine Ehefrau, sondern auch den einzigen Sohn und einige seiner zahlreichen Töchter begraben musste, der eine rührende Liebe zu drei Bäumen hegte und der beitrug zur Gründung der Gesellschaft der Wiener Musikfreunde sowie zur Einführung des Metronoms.
Der Verfasser beschränkt sich nicht auf eine reine Biografie, sondern bietet dem Leser auch musikalische Analysen der Hauptwerke Salieris, dazu eine Einordnung und Einschätzung durch Zeitgenossen und Nachgeborene und kommt zum Schluss, dass die Bezeichnung „philosophischer Tonsetzer“ eine durchaus angemessene sei. Dem kann man nur zustimmen und sich über die Bereicherung, die das Buch für den Leser bedeutet, freuen (Morio Verlag, 315 Seiten, ISBN 978 3 945424 70 4; Im Anhang Abkürzungen, Währungen, Bildnachweis, Literatur, Index; . oben: Der berühmte Adolphe Nourrit als Salieris Tarare (Wiki)). Ingrid Wanja