Mozart, Schikaneder & Co.

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Der Stein der Weisen oder Die Zauberinsel: Es ist keine zwei Jahre her, dass der Bariton Konstantin Krimmel mit seiner CD Zauberoper bei Alpha und BR Klassik dieses Singspiel wieder in Erinnerung rief. Ein zweiteiliges Werk von nicht weniger als vier Komponisten. 1790 uraufgeführt, wurde es erst 1996 vom amerikanischen Musikwissenschaftler David J. Buch als historische Kopie in der Musikabteilung der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek „Carl von Ossietzky“ entdeckt.

Zwei Jahre später legte der Dirigent Martin Pearlman mit dem von ihm gegründeten Boston-Baroque-Ensemble eine Aufnahme vor, die bei Telarc erschien und zumindest noch antiquarisch zu finden ist. Aufführungen gab es danach unter anderen in Augsburg, beim englischen Festival Garsington Opera und in Innsbruck. Die Ausgrabung des Werkes wurde seinerzeit schon deshalb als Sensation gefeiert, weil sich eine Verbindung zur Zauberflöte von Wolfgang Amadeus Mozart zeigt, die ein Jahr nach dem zweiteiligen Singspiel ebenfalls im Theater auf der Wieden uraufgeführt wurde.

Nicht genug. Emanuel Schikaneder (1751-1812) verfasste für beide Stücke die Texte. An der Kompositionen des Singspiels waren neben Mozart drei Männer beteiligt, die – wie Schikaneder in der Rolle des Papageno – an der ersten Aufführung der Zauberflöte beteiligt gewesen sind: Benedikt Schack (1758-1826) als Tamino, Franz Xaver Gerl (1764-1827) als Sarastro sowie Johann Baptist Henneberg (1768-1822), der die musikalische Einstudierung besorgte und die Oper von der dritten Aufführung an dirigierte. Drei junge Musiker also, die offenkundig sehr vielseitig ausgebildet waren, nicht nur singen oder dirigieren, sondern auch komponieren konnten. Vier weitere Künstler wirken in den Uraufführungen beider Werke mit, darunter Anna Gottlieb, die erste Pamina, die im Stein der Weisen die Nadine gab.

Jetzt hat Harmonia Mundi eine neue Einspielung vorgelegt (19802802922). Sie entstand im Rahmen einer Liveaufführung zwischen dem 12. und 15. Dezember 2022 in der Himmelfahrtkirche Sending in München. Es spielt die Hofkapelle München, die sich der historischen Aufführungspraxis widmet, unter der Leitung ihres künstlerischen Chefs Rüdiger Lotter, der von Haus aus Geiger ist. Er formt die die orchestralen Passagen zu den Höhepunkten, die Overture zum zweiten Akt womöglich noch mehr als die zum ersten Akt.

Auch der böhmische Komponist Wenzel Lachnith hatte sich der „Zauberflöte“ bemächtigt und mit seiner französisch-sprachigen Folge-Oper „Les mystères d´Isis“ 1801 in Paris Aufsehen erregt. Anläßlich der Aufnahme bei Glossa gab es einen Beitrag in der Reihe „Die vergessene Oper“ bei operalounge.de

Es singt der Chor der Klangverwaltung, der – wie aus dem Booklet hervorgeht – im Jahre 2000 von Enoch zu Guttenberg als professioneller Projektchor für das Bachfest auf Schloss Herrenchiemsee gründet wurde. Beide Ensembles kennen sich von einer Produktion von Bachs Johannes-Passion. Sie sind wie füreinander geschaffen. Die klangvolle Einheit des Zusammenspiels bildet das Fundament und die Stärke der Aufnahme. Der Sound ist vorzüglich und lässt in seiner Durchsichtigkeit und Akkuratesse ehr an eine Studioaufnahme denken. Verglichen mit der Telarc-Einspielung wirkt sie etwas heller und leichter. Es gibt noch mehr Unterschiede. In Kenntnis der Erst-Edition durch David Buch von 1998 entschloss sich die Münchner Hofkapelle nach Auskunft ihres Dirigenten für eine eigene Edition, die sich in vielerlei Hinsicht von jener unterscheide. Wie sich inzwischen herausstellte, existieren nämlich mehrere Abschriften der Partitur. Die Hamburger Quelle sei aber „die einzige mit Namensnennung der Komponisten“, bemerkt Lotter im Booklet.

In der Ankündigung der Uraufführung werden nur Emanuel Schikaneder und die Mitwirkenden genannt – nicht aber die Komponisten / Wienbibliothek im Rathaus

In einem gesonderten Booklet-Text kommt Sabine Radermacher zu dem Schluss, dass sich Schikaneder „irgendwann zwischen Sommer 1789 und Sommer 1790“ an das Libretto eines Singspiels gemacht haben muss, das Stoffe und Motive aus der gerade veröffentlichten Märchensammlung Dschinnistan von Christoph Martin Wieland schöpfe. Alle Erzählungen darin seien in der mythischen Welt Arkadiens angesiedelt. Schikaneder habe sich die Erzählung Nadir und Nadine als Vorlage genommen und mit dem Märchen Der Stein der Weisen angereichert. Ort der Handlung sei eine Zauberinsel, die von Astromonte (Michael Schade), Sohn eines mächtigen Zauberers beschützt werde. „Diese Figur scheint ambivalent: Denn einerseits ist Astromonte Beschützer der Insel, als Gegenleistung müssen deren Bewohner allerdings regelmäßig Jungfrauen an ihn abführen.“ Eine davon sei Nadine (Leonor Amaral). So wie später in der Zauberflöte Pamina von Sarastro geraubt, werde hier Nadine von Astromonte verschleppt. Nadir (Kai Kluge) versuche, seine Geliebte zurückzugewinnen und finde Hilfe nicht nur bei Lubano (Jonas Müller) und seiner Gattin Lubanara (Elena Harsányi/Katja Maderer) sondern auch beim Bruder von Astromonte, dem bösen Eutifronte (Martin Summer), der danach trachte, Astromonte zu töten und Nadir als Werkzeug seiner Rache nutzen zu wollen. Komplettiert wird das Ensemble von Theresa Pilsl als Genius und Joachim Höchbauer als Sadlik.

Und schließlich ist da noch, neben vielen anderen Vertonungen zum Thema, die Zauberposse mit Gesang „Der Barometermacher auf der Zauberinsel“ von Ferdinand Raimund, 1823 im Wiener Theater in der Leopoldstadt uraufgeführt/
Szenenbild, gestochen nach einem Aquarell von Johann Christian Schoeller/Wikipedia

Als „eine ganze neue heroisch-komische Oper in zwei Aufzügen“ sei das Stück in der Ankündigung der Uraufführung am 11. September 1790 im Freihaustheater auf der Wieden bezeichnet worden, so die Autorin. Vermerkt fänden sich darauf lediglich Schikaneder und die Darsteller. „Kein Wort zu(m) Schöpfer(n) der Musik. Es folgen Reprisen an einer ganzen Reihe von Theatern im deutschen Sprachraum bis in die 1810-er Jahre. Verschiedene Partitur-Abschriften kursieren, die ebenfalls nichts über Autoren preisgeben. Bis der Musikwissenschaftler David J. Buch in der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg eine komplette Partitur-Kopie (ohne gesprochene Dialoge, diese werden später gefunden) entdeckt, in der über nahezu jeder Musiknummer ihr Schöpfer vermerkt ist.“ Diese Liste wurde in tabellarischer Form nur Telarc-Booklet abgedruckt, Harmonia Mundi verzichtet darauf. „Von Mozart“ stehe über zwei Teilen des Finales und über dem Duett „Nun liebes Weibchen“ (KV 625/592a) – auch bekannt als Katzenduett -, bei dem die in eine Katze verwandelte Lubanara ihre Melodien auf die Worte „Miau, miau“ singe. Radermacher: „Natürlich ist zu hinterfragen, ob Mozart wirklich der Komponist der ihm zugeschriebenen drei Abschnitte und inwieweit seine Musik in dieser Oper ein Originalbeitrag ist, oder ob er lediglich fremde Musik überarbeitet hat. Vor allem aber: ob seine (informelle) Beteiligung an der Partitur vielleicht sogar darüber hinausgeht. Möglicherweise hat er seinen Freunden ausgeholfen, ohne zu erwarten, dass sein Name auf der Partitur steht.“  Auffällig seien auch die vielen musikalisch-stilistischen Parallelen zwischen Teilen, die nicht Mozart zugeschrieben würden, und bemerkenswert ähnlichen Momenten der Zauberflöte.

Die Neuerscheinung ist also vielmehr als die zweite Aufnahme des Singspiels Der Stein des Weisen oder Die Zauberinsel. Sie hat einen bemerkenswerten musikwissenschaftlichen Mehrwert, der auf neuen Forschungserbnissen beruht. Als gesondertes Heft ist das Libretto beigelegt. Es erweist auch deshalb als unverzichtbar, weil die Solisten nicht immer ganz genau zu verstehen sind (Abbildung oben/Ausschnitt:Miranda von John William Waterhouse, 1916/Wikipedia). Rüdiger Winter