Der „Fall Frida Leider“

 

Wie geht man mit Geschichte um? Wie lässt man historischen Persönlichkeiten Gerechtigkeit widerfahren? Die Frage stellt sich für uns und mich selbst als unabhängiger Journalist, Chefredakteur und privat erinnernder Zeitzeuge einmal mehr, weil der alte Streit, die alte Müh‘, um Frida Leider und das Buch über sie von Eva Rieger neu entbrannt ist (wir berichteten davon in der Rezension zur Publikation von Rüdiger Winter, meine eigenen Erinnerungen an Frida Leiders Lebensgefährtin Hilde Bahl sind in einem getrennten Artikel als meine eigenen Gedanken erkennbar). Ganz abgesehen von den vielen, vielen Ungenauigkeiten und Sach-Fehlern in der Biographie (die ein Lektor hätte beseitigen können und die in einer geplanten englischen Ausgabe hoffentlich korrigiert werden) alarmierten mich die Zeilen, die Frau Professor Rieger an mich und die Redaktion am 1. 4. 2021 schrieb – ganz offensichtlich nicht als ein Aprilscherz: „Sie haben wieder gegen mich gehetzt …Ich soll absichtlich Frida Leiders lesbische Beziehung vertuscht haben. Und das, obwohl ich mich schon mehrfach gegen Ihre erfundenen Wunschvorstellungen gewehrt habe.  Wenn Sie noch weiter solche Lügen verbreiten, werde ich zu meinem Anwalt gehen und mich gegen eine solche Schädigung meines Rufs wehren.  Eine solche Verleumdung, wie Sie sie unablässig verbreiten, habe ich lange genug hingenommen. Ich habe längst aufgegeben, die vielen Unwahrheiten, die in der damaligen Kritik meines Buches in Ihrem Portal standen, zu korrigieren…. wenn Sie wieder wagen, Ihren Wahn überall zu verbreiten, werde ich mich dieses Mal wehren. … Ich warne Sie noch einmal ausdrücklich davor, mich bei anderen Menschen, die selbst publizieren und in der Öffentlichkeit tätig sind, mit Unwahrheiten und fantasievollen Wunschvorstellungen zu diffamieren.“ Und so weiter.

 

Das ist schon heftig und zeigt, wie wenig eine Autorin, anerkannte Frauenforscherin und Verfasserin vieler Publikationen, mit berechtigter Kritik umgehen kann, zumal sie eine fundierte Rezension meines Kollegen und meinen eigenen  Erinnerungsbericht vermischt. Was vielleicht ein von dieser Person Leider abgelöstes Problem aufzeigt. Wie weit will jemand zulassen, dass das Objekt seiner Darstellung anders gesehen wird als vom Autor selber? Wieweit wird eine geschichtliche Persönlichkeit – wie in diesem Falle jemand, der vor rund 80 Jahren zu singen aufgehört hat! – zu einer Art Heiligenfigur verklärt, wo anderslautendende Erinnerungen ausgeblendet und diskriminiert werden? Wo in der Publikation die musikalische Wertung (im Falle einer Sängerin) beklagenswert dürftig ausfällt, wo Fakten nicht erwähnt, Lebensumstände verbissen einseitig dargestellt und Gegenstimmen unterdrückt werden. Wo viele Ungenauigkeiten und vermeidbare Fehler herrschen.

Darstellungen geschichtlicher Persönlichkeiten sind stets problematisch, weil zumeist zu subjektiv. Im Falle der Leider fällt zudem die Dürftigkeit der gesicherten Fakten auf. Ihre eigene Autobiographie (für die Zweitausgabe nochmals gekürzt) gibt außer Anekdoten nicht viel her. Die Beziehung zu dem Dirigenten und Ehemann Deman bleibt obskur, viele Details aus dem Leben sind nicht mehr zu rekonstruieren. Auf die Nachkriegsperiode wird kaum eingegangen.

Was bleibt, sind Zeitzeugen. Und Zeitzeugen sind eben auch subjektiv in ihren Erinnerungen. Dennoch müssen sie gehört und nicht nach Kommodität aussortiert werden. Nicht hören zu lassen, was sich nicht in diesen schwärmerischen Heroenkult fügt, ist unwissenschaftlich, nimmt jedoch die Autorin dies für sich in Anspruch. Wie so oft darf die Erinnerung an eine große Persönlichkeit nicht „beschmutzt“ werden, soll das Objekt der Verehrung „rein“ bleiben, keine Abseiten haben, keine „düsteren“ Geheimnisse. Huhhh, wie kleinbürgerlich, wie unhistorisch.

Ich sehe diese Entwicklung überall. Unhistorisches Denken greift um sich, ob nun die idiotische Umbenennungssucht von belasteten Straßen-Namen oder leichtfertige Reportagen im Fernsehen, wo Gegendarstellungen nicht auftauchen und schlampig recherchierte Berichte für Falschmeldungen sorgen. Oder die Verleugnung von Meinungen.

Eva Rieger/ Wikipedia

Umso erschreckender sind die Drohgebärden von Autoren, die ihre Bücher kritisiert sehen und sich gegen Richtigstellungen oder abweichende Meinungen mit juristischen Andeutungen zur Wehr setzen. Wie gehen diese Menschen eben mit Kritik um? Muss man als Journalist immer die Adresse seiner  Rechtsschutzversicherung unter einen Artikel setzen? Zumal wenn die Autoren nicht zwischen einer seriösen Rezension und einem sehr persönlichen Beitrag der Erinnerungen (mit namentlicher Kennzeichnung als privat) unterscheiden können? Wie weit können sie überhaupt mit Kritik umgehen? Ist es nicht ein beklagenswertes Zeichen der Zeit, dass abweichende Meinungen unterdrückt werden und die political correctness als „Keule“ niedergeht (um Herrn Walser zu zitieren).

Insofern reiht sich die „Affäre Leider“ in das allgemeine Tagesgeschehen ein. Was nicht sein darf auch nicht sein kann. Schöne glatte Welt. Dabei wurde im Falle der Leider eine große Chance versäumt, sie beispielhaft als das Model einer selbstbestimmten, emanzipierten Frau in schwierigen Zeiten  darzustellen. Wie lebte sie wirklich, wie war ihre Überlebensstrategie, wie ging sie mit ihrem Privatleben um, wie weit war ein öffentliches mit einem privaten Leben zu vereinbaren. War ihre Heirat eine freundschaftliche Sachlösung aus gegenseitigem Schutz wie bei Lorenz oder Gründgens (der Fall Rudolf Deman/1880–1960 ist ja unerforscht). Das sind doch wichtige Fragen, zumal von großem, sozialpolitischem Interesse für uns Heutige. Mehr noch als die langweilige Aufzählung allseits bekannter dürftiger Fakten und zweifelhafter Ausflüge in musikalische Gefilde.

Hilde: Der Gedenkstein ist in das Ehrengabe von Frida Leider und Rudolf Deman eingelassen. Foto: Winter

Die musikalischen Aspekte der Leider werden im Buch nicht wirklich diskutiert, wobei man ja nachhören kann, wie schnell der Abbau der Stimme vor sich ging. Das ist natürlich eine partielle Erklärung, warum sie nicht in London mehr sang, auch nicht an der Met. Und nicht mehr in Bayreuth, um von der Fuchs  ersetzt zu werden.  Auch, warum die Stimme nicht die letzten Kriegsjahre überdauert hat, um neu danach noch einmal anzufangen: Die instabile Gesangstechnik gab’s nicht her. Und als Unterrichtende/ Regisseurin gelang der Leider der Anschluss auch nicht mehr. Da war nicht die Lemnitz an allem schuld. Wie also lebte die Leider nach dem Krieg? Was war das mit dem Fond für junge Sänger, in den ihre restliches Vermögen ging. Was erbte die Bahl?

Und kein anerkennendes Wort über eben diese, die langjährige Gefährtin Hilde Bahl, die bei Rieger infamer Weise als Hausdame deklassiert wird. In einer kleinen Alt-Neubau-Wohnung! Nein, Hilde Bahl war eine gebildete Frau, von ihrem industriellen Vater in Japan gut ausgebildet, sprach mehrere Sprachen, war eine großbürgerliche Tochter (im Gegensatz zur Leider, die aus schlichten Verhältnissen kam). Sie war – wie ich selber in manchen Begegnungen bei ihrem köstlichen Streuselkuchen erleben konnte – ebenfalls eine bemerkenswerte, wenngleich sehr zurückhaltende, Frau und eben Partnerin der Leider. Die mir viel Privates erzählte. Aber was nicht sein kann, das nicht sein darf.

Wie also geht man mit historischen Persönlichkeiten um? Ich denke mit mit Empathie und Forschungssinn für die Wahrheit, soweit sie zu ermitteln ist. Nicht mit Weglassen oder Nicht-Wahrhaben wollen. Und sicher nicht mit juristischer Keule gegen Zeitzeugen, die nicht gehört werden sollen. Oder gegen Journalisten, die offensichtliche Fehler nachweisen. Geerd Heinsen

  1. Kevin Clarke

    Wie der Tagesspiegel Anfang April in anderem Zusammenhang schrieb (der hier auch sehr zutreffend ist): „ Es ist ein Merksatz, den auch Virologen derzeit gern anbringen: Abwesenheit von Evidenz ist nicht Evidenz von Abwesenheit. Etwas einfacher ausgedrückt: Wenn man etwas nicht findet, bedeutet das nicht, dass es nicht existiert.“ Vielleicht sollte Eva Rieger darüber einmal nachdenken wenn sie als Wissenschaftlerin und Frauenforscherin „Belege“ nicht findet und „Gerüchte“ ignoriert, besonders wenn es um LBBT (lesbisch, gay/schwul, bi, trans) in der Vergangenheit geht.

    Antworten
  2. Thomas Roth

    Mit journalistischen Schmierfinken meine ich nicht „Operalounge.de“, im Gegenteil. Ihr Portal habe ich immer offen und schätze es, weil es (nach meinem Wissen) nicht unbedingt viele gute Opern-Portale gibt. Mit Journalismus meine ich Beiträge mit Bild-Zeitungs-Niveau (nicht auf Ihrem Portal) und das Traurige daran ist, dass viele solche Blätter noch in die Hand nehmen. Ihr Portal hat ja Niveau, was der Journalismus generell nie haben kann. Frau Riegers Reaktion finde ich leicht übertrieben, da stimme ich mit Ihnen überein, trotzdem habe ich zwei Bücher (Wagner) von ihr gelesen und schätze ihre Qualität, Bücher, die Journalisten nie schreiben könnten.

    Antworten
  3. Thomas Roth

    Jounalismus ist die niedrigste Stufe der Literatur. Ich habe von Fr. Rieger ein Buch über Frauenrollen bei Wagner gelesen, sie ist eine Musikwissenschaftlerin, die Qualität hat.
    Genauso wie ihr Buch über Wagners Wanderungen in der Schweiz, was Seltenheitswert hat.
    Was das Thema „Wagner“ betrifft, würde ich bestimmt kein „Buch“ eines journalistischen Schmierfinken in die Hand nehmen, weil diese nie ein Buch z.B. über Wagner schreiben können, weil es halt Journalisten sind und die schreiben nur das, was sie schreiben dürfen.

    Antworten
    1. Geerd Heinsen Beitragsautor

      schon ihre sprache verrät, wo sie ideologisch verhaftet sind. und die vokabeln „schmierfinken“ und journalismus als „niedrigste stufe der literatur“ weist auf postfaschistischen sprachgebrauch. und dass sie sich für eine auftragskritik mit eben diesen bekannten vokabeln hergeben, fügt sich dem nur hinzu. ach ja, diese semantik verrät alles. mit grüßen geerd heinsen

      Antworten
  4. Kevin Clarke

    Dass eine Buchautorin und Publizistin unter Androhung von Anwälten einen Verriss ihres Werks verhindern will, ist schon bemerkenswert. Und angesichts von Meinungsfreiheit, die in Deutschland herrscht (in Liechtenstein sicher auch, wo Frau Rieger lebt) befremdlich. Sie könnte mit Sachargumenten kontern… das wäre Debattenkultur und wissenschaftlicher Diskurs. Was das mögliche Lesbischsein Leiders betrifft: Frau Rieger wertet da nur IHRE mündliche Quelle als vertrauenswert, spricht aber anderen, die Frida Leider auch kannten und andere Erinnerungen teilen, wie Geerd Heinsen, solches Vertrauen ab. Warum? (Wird nicht erklärt.) Sie geht mit keinem Satz darauf ein, was eine solche Sicht von Leiders Leben bedeuten würde. Darüber habe ich mit Frau Rieger schon 2017 im Rahmen unserer Siegfried-Wagner-Ausstellung im Schwulen Museum Berlin gestritten. Schon damals hat sie den Dialog verweigert und jede in diese Richtung gehende Debatte als unwissenschaftlich und ehrrührig bezeichnet. Und ihrerseits „gehetzt“ bei Leihgebern für die Ausstellung. Und nun klagt sie über „Hetze“?

    Antworten