Hommage an legendäre Altistinnen

 

Das neue Album der französischen Altistin Nathalie Stutzmann bei ERATO ist ein weiteres Zeugnis ihrer Doppelfunktion als Sängerin und Dirigentin (0190295209551). Seit mehr als zehn Jahren arbeitet sie mit dem französischen Ensemble ORFEO 55 zusammen, mit dem sie inzwischen mehrere CDs herausgebracht hat. Nach der letzten von 2017 (Quella fiamma mit Arie antiche) erschien jetzt eine neue Platte mit dem Titel Contralto, welche leider auch das Ende des Orchesters markiert, da die nötigen Subventionen und finanziellen Zuwendungen ausgeblieben sind. Contralto ist deshalb auch das letzte Dokument einer singulären Zusammenarbeit zwischen einer Sängerin und einem Orchester.

Unter den 13 Gesangstiteln des Programms finden sich vier  Weltersteinspielungen, aber auch Werke populärer Komponisten (Händel, Vivaldi, Caldara, Porpora). Viele schrieben die Partien ihrer Opern für ganz bestimmte Sängerinnen, die für sie als Musen fungierten. Im Auftakt bei Händels Tamerlano und Irenes Arie „Dal crudel“ ist es Anna Vincenza Dotti, die 1724 die Partie kreierte und der mit dieser Aufnahme gedacht wird. Stutzmann ist eine Sängerin mit maskulinem Aplomb und schwarzen Farben. Ihre Stimme ist ganz sicher Geschmackssache, doch auf jeden Fall singulär. Unbestreitbar ist ihre Virtuosität, was sich vor allem in der souveränen Bewältigung der Koloraturläufe zeigt. Eine weitere bedeutende Händel-Interpretin war Francesca Vanini-Boschi, die zwei seiner männlichen Rollen kreierte – den Ottone in Agrippina (1709 in Rom) und den Goffredo in Rinaldo (1711 in London), dessen Arie „Mio cor“ hier  zu hören ist. Stutzmanns Wiedergabe lebt von Vitalität und Energie. 1729 engagierte Händel Francesca Bertolli – vor allem für Hosenrollen, doch ist hier eine Arie der Amise, Schwester des Titelhelden Arminio, im Programm – das stürmische und mit Koloraturen gespickte  „Sento il cor“, welches die Sängerin glanzvoll ausführt. Zu nennen ist auch Anna Maria Antonia, Händels Valentiniano in Ezio und seine Erenice in Sosarme 1732. Deren Arie „Vado, vado al campo“ ist der letzte vokale Beitrag des Albums und noch einmal ein Beispiel für die gestalterische Vehemenz von Nathalie Stutzmann. Eine kurze Karriere in London hatte Anastasia Robinson, doch war sie immerhin in den Premieren von Radamisto 1720 als Zenobia und Giulio Cesare 1724 als Cornelia besetzt. Ihre bedeutendste Rolle aber war die Titelheldin in Bononcinis Griselda, an die hier mit der Arie „Caro Addio“ erinnert wird.

Anna Vincenza Dotti sang auch die Statira in Vivaldis L’incoronazione die Dario, aus der zum Ende der Programmfolge die dreiteilige Sinfonia in C erklingt. Das Orchester hat hier Gelegenheit, einen nachdrücklichen und vielfältigen Schlusspunkt zu setzen.

Eine der wichtigsten  Sängerinnen in Vivaldis Umkreis war Anna Girò, einst seine Schülerin und dann mit 16 Jahren bis zu ihrem Rückzug von der Bühne 20 Jahre später Interpretin in mehr als 30 seiner Opern. Hier ist die Asteria  aus Bajazet mit ihrer Schlussarie „Suena, uccidi“ eingespielt. Nach einem Rezitativ von exaltierter Dramatik ist auch die Arie ungemein erregt, will sich die Prinzessin doch von  ihrem Vater töten lassen. Neben der Girò war die florentinische Kontraltistin Maria Maddalena Pieri eine bedeutende Protagonistin in Vivaldis Schaffen. Sie war vor allem auf männliche Rollen spezialisiert, was mit der Arie des Titelhelden aus Farnace, „Gelido in ogni vena“, dokumentiert wird. Mit ihren frostigen Akkorden in der Einleitung ist sie ein plastisches Gemälde des in den Adern gefrierenden Blutes und auch die Gesangslinie vermittelt eindrücklich den Konflikt der Figur, was die Sängerin mit Tönen von schmerzender Intensität umsetzt, grandios unterstützt vom eindringlich musizierenden Orchester. 1729 wurde in Mantua Tito Manlio mit Teresa Mucci in der weiblichen Hauptrolle der Vitellia uraufgeführt. Ihre Arie „Di verde ulivo“ demonstriert, in welch hohem Maße Vivaldi die virtuosen Fähigkeiten der Interpretin genutzt hat.

Für Vittoria Tesi schrieb Nicola Porpora mehrere Hauptrollen, so 1739 in Neapel die Semiramide riconosciuta, deren Arie „Tradita, sprezzata“ Stutzmann lautmalerisch und mit einer Vielzahl von Farben interpretiert, sowie 1742 in Venedig die Statira, die mit der Arie „Mira d’entrambi il ciglio“ vertreten ist. Stutzmann kann darin vor allem ihre profunde tiefe Lage ausstellen. In seiner 1726 in Venedig uraufgeführten Oper Meride e Selinunte sang Anna Maria d’Ambreville-Perroni die Partie der Ericlea. Deren inniges „Torbido intorno al core“ zeigt die Seelenpein der Figur, in die nicht weniger als drei Männer verliebt sind. Stutzmanns Intensität im Vortrag führt auch zu bohrenden, gar heulenden Tönen. Die Titelrolle der Meride sang die ungleich berühmtere Diana Vico, die auch als Dardano in Händels Amadigi di Gaula und Albina in Antonio Lottis Alessandro Severo reüssierte. Aus beiden Opern erklingen hier die Ouvertüren mit musikantischer Verve und dramatischem Impuls. Schließlich sei die Contessa Giuditta Starhemberg genannt, die in einer Privataufführung von Caldaras Euristeo 1724 in Wien als Erginda auftrat. Deren Arie  „Sotto un faggio o lungo un rio“ ist ein sanftes pastorales Gemälde und eine der Weltpremieren dieses originell konzipierten Albums. Bernd Hoppe