CD-Debüt mit Loewe & Co.

 

„Herr Oluf reitet spät und weit / Zu bieten auf seine Hochzeitleut …“ Auf Hochzeitleut bieten? Ein Blick in das Deutsche Wörterbuch der Grimms offenbart den Sinn der schönen Wendung, die Johann Gottfried Herder in die Übersetzung der Ballade unbekannter Herkunft aus dem Dänischen hat einfließen lassen. Sie findet sich in dem Wort Aufgebot wieder, mit dem eine Hochzeit noch heute in den Standesämtern öffentlich bekanntgegeben wird. Herr Oluf will sich also vermählen, trifft aber – was nicht vorgesehen ist – bei seiner Ankündigungstour auf Erlkönigs Tochter, deren Zauber er gar zu schnell unterliegt. Er ist anfällig. Und am Hochzeitstage selbst, als bereits Met und Wein gereicht werden, fehlt er. Die Verwunderung währt nicht lange. Herr Oluf ist als Toter heimgekehrt. Carl Loewe hat die Ballade „Herr Oluf“ 1821 im Alter von fünfundzwanzig Jahren komponiert. Sie ist also ein Frühwerk und gehört neben „Treuröschen“ und „Walpurgisnacht“ zu den Drei Balladen op. 2. Darin offenbart sich sein außergewöhnliches dramatisches Talent. Namhafte Sänger in großer Zahl haben sich ihr gewidmet, darunter Josef Greindl, Hermann Prey, Dietrich Fischer-Dieskau, Thomas Quasthoff, Robert Holl, Kurt Moll, Thomas Hampson und wie sie alle heißen.

Jetzt ist Konstantin Krimmel hinzugekommen. Er hat das Stück ins Programm seiner Debüt-CD Saga aufgenommen, die bei Alpha Classics (Alpha 549) erschien. Von Loewe gibt es mit „Tom der Reimer“, „Erlkönig“ und „Odins Meeresritt“ noch drei weitere Zugnummern, die ohne künstlerisches Zutun allerdings nicht automatisch zum Selbstläufer werden. Vielmehr muss der Sänger gerade bei den populären Stücken darauf achten, etwas zu geben, was die Vorgänger so noch nicht angeboten haben. Bei Krimmel höre ich eine feine Dramaturgie. Er baut Spannung auf, indem er innerhalb einzelner Stücke sehr geschickt mit dem musikalischen Fluss und dem Rhythmus arbeitet. Mal hält er inne, mal zieht er an. Am Beginn ist oft noch nicht klar, wie es endet. Es ist, als ob sich Handlungen erst während des Vortrages entwickeln. Selbst wer die literarischen Vorlagen genau kennt, bleibt gespannt, wie es weitergeht. Mir ist es so ergangen. Pausen zwischen Versen und Gedanken werden genauso zum Ausdrucksmittel wie Interpunktionen. Dabei hat Krimmel in Doriana Tchakarova am Flügel eine versierte Partnerin, die seinen Intentionen folgt, zugleich aber auch eigene Akzente setzt. Die beiden sind ein ideales künstlerisches Paar.

Der Sänger ist grade mal sechsundzwanzig Jahre alt. Ganz so jung klingt er nicht. Vielmehr wirkt die Stimme des Baritons mit rumänischen Wurzeln ziemlich fest, kerngesund und belastbar. Er hat ein breites Ausdrucksspektrum zur Verfügung. Er weiß, was er singt. Krimmel erfasst die dichterische Struktur der Balladen genau. Er baut seine Interpretation vom Wort her auf. Dafür hat er mit der akribischen Deutlichkeit des Vortrags die denkbar besten Voraussetzungen. Bei ihm sind – um ein Beispiel zu benennen – die Hochzeitleut am Beginn der Ballade von Herrn Oluf wirklich Hochzeitleut und keine Hochzeit(s)leut. Authentischer habe ich Loewe in jüngster Zeit nicht gehört. Schon gar nicht aus so jungem Munde. Man könnte mitschreiben, was er singt. Der Abdruck der Texte im umfänglichen Booklet wirkt da fast schon wie Hohn.

Loewe, wenngleich mit vier Balladen bevorzugt bedacht, ist nur eine von vier Säulen des Albums. Daneben sind Franz Schubert mit „Der Zwerg“, „Gruppe aus dem Tartarus“ und „Prometheus“, Robert Schumann mit „Belsatzar“, „Die feindlichen Brüder“ und „Die beiden Grenadiere“ zu hören. Zugleich kann das Publikum seine Bekanntschaft mit Adolf Jensen auffrischen, der 1837 in Königsberg geboren wurde und 1879 in Baden-Baden starb. Er wurde von Liszt gefördert, studierte beim Niels Wilhelm Gade in Kopenhagen und war mit Brahms befreundet. In seinem Schaffen sind Lieder der größte Posten. „Murmelndes Lüftchen“ wurde auch Elisabeth Schwarzkopf aufgenommen. „Waldgespräch“, bei den Krimmel dramatisch etwas überzieht, schafft eine interessante Verbindung zu Schumann, der das Eichendorff-Gedicht in seinen berühmten Liederkreis op. 39 aufnahm. Zwischen beiden Kompositionen liegen aber Welten. An die geheimnisvolle Stimmung, die Schumann schafft, kommt der hochdramatische Jensen, von dem noch „Die Braut“ und „Rübezahl“ im Angebot sind, nicht heran. Rüdiger Winter