Sündhaft verführerisch

 

In seinem Paris-Buch „Lutetia“, in dem er „Berichte über Politik, Kunst und Volksleben“ sammelte, nahm sich Heinrich Heine auch eigengehend, kenntnisreich und überaus lesenswert, nicht ohne garstige Sottisen des Musiklebens der Metropole an. Unter dem Datum 1. Mai 1844 schrieb er über Halévy, Meyerbeer und Spontini, die Tenöre Duprez und Mario, die Viardot und Grisi. Man könnte sich festlesen, und dann stößt man auf Auber, Während die Académie de musique aufs jammervollste darniederlag und die Italiener sich ebenfalls betrübsam hinschleppten, erhob sich die dritte lyrische Szene, die Opéra comique, zu ihrer fröhlichsten Höhe. Hier überflügelte ein Erfolg den andern, und die Kasse hatte immer einen guten Klang. Ja, es wurde noch mehr Geld als Lorbeeren eingeerntet, was gewiß für die Direktion kein Unglück gewesen. Die Texte der neuen Opern, die sie gab, waren immer von Scribe, dem Manne, der einst das große Wort aussprach: »Das Gold ist eine Schimäre!« und der dennoch dieser Schimäre beständig nachläuft. Er ist der Mann des Geldes, des klingenden Realismus, der sich nie versteigt in die Romantik einer unfruchtbaren Wolkenwelt und sich festklammert an der irdischen Wirklichkeit der Vernunftheirat, des industriellen Bürgertums und der Tantieme. Einen ungeheuren Beifall findet Scribes neue Oper »Die Sirene«, wozu Auber die Musik geschrieben. Autor und Komponist passen ganz füreinander: sie haben den raffiniertesten Sinn für das Interessante, sie wissen uns angenehm zu unterhalten, sie entzücken und blenden uns sogar durch die glänzenden Facetten ihres Esprits, sie besitzen ein gewisses Filigrantalent der Verknüpfung allerliebster Kleinigkeiten, und man vergißt bei ihnen, daß es eine Poesie gibt. Sie sind eine Art Kunstloretten, welche alle Gespenstergeschichten der Vergangenheit aus unsrer Erinnerung fortlächeln und mit ihrem koketten Getändel wie mit Pfauenfächern die sumsenden Zukunftgedanken, die unsichtbaren Mücken, von uns abwedeln. Zu dieser harmlos buhlerischen Gattung gehört auch Adam, der mit seinem »Cagliostro« ebenfalls in der Opéra comique sehr leichtfertige Lorbeeren eingeerntet. Adam ist eine liebenswürdige, erfreuliche Erscheinung und ein Talent, welches noch großer Entwicklung fähig ist.

Die am 26. März 1844 an der Opéra Comique uraufgeführte La Sirène ist eines von 28 Werken Daniel-François-Esprit Aubers, die in Zusammenarbeit mit Eugène Scribe entstanden. Die großen Erfolge von La Muette de Portici, Fra Diavolo, Le cheval de bronze und Le domino noir lagen bereits hinter ihnen, als die Autoren mit der Opéra-comique in drei Akten an die Geschichte vom edlen Räuber Fra Diavolo, der eigentlich gar nicht so edel ist, anknüpften. Die neue Geschichte spielt natürlich ebenfalls im Land der knitzen Banditen, Italien, in den Abruzzen, wo der unter dem Namen Marco Tempesta bekannte Scopetto seinem Schmugglerhandwerk nachgeht und die Menschen von einer zauberhaften weiblichen Stimme erzählen, die in den Bergen gehört worden sei. Genau diese Stimme sucht der von seinem Diener Mathéa und dem jungen Marineoffizier Scipion begleitete Impresario Bolbaya für die Theater in Neapel. Sie treffen u.a. auf den Herzog von Popoli, dessen legitime Abstammung die Sirene anzweifelte. Die Sirene heißt Zerlina, ist die Schwester Scorpettos, die in Scipion ihren einstigen Geliebten erkennt. Scipion hat das Schiff der Schmuggler gekapert, die ihn deshalb töten wollen, Scopetto rettet ihn und nimmt ihm das Versprechen ab, die Bande nicht zu verraten und zwingt Bolbaya, die Räuber gegenüber dem Herzog als seine Operntruppe auszugeben, in der Zerlina mit überladen vokalem Zierwerk überzeugend die Primadonna gibt. Das Ganze spitzt sich im dritten Akt im Herzogspalast in Pescara noch zu, wo die Räuber vorgeben Ali Baba und die 40 Räuber aufzuführen, letztendlich Scipion als wahrer Herzog identifiziert wird und seine Braut Zerlina mit ihrem Gesang nochmals ihren Bruder vor den aus Neapel herbeigeeilten Militärs rettet. Das scheint komplizierter, aber auch spannender als manche der anderen komischen Opern Aubers, lebt von Überraschungen und Enthüllungen, von Theatercoups und traditioneller Buffokomödie und stellt am Ende die Ordnung wieder her. Aubers elegant und behände walzende Musik, die spritzige Ensemblekunst, beispielsweise im Quintett und Quartett des ersten Aktes und den elaborierten Finali, und die Partie der feenhaften Zerlina, die anspruchsvoller als die meisten Frauenpartien bei Auber ist, die Besetzung der beiden männlichen Hauptfiguren mit zwei Tenören – zu den drei tiefe Buffostimmen für den Herzog, den Impresario und Scopettos Begleiter Pecchione hinzukommen – machten La Sirène von Anfang an zum Erfolg, der sich u.a. in den diversen Potpourris zeigt, darunter in den Arrangements von Adolphe Adam.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Oper aufgeführt. Toll, dass sie in dem unter Napoleon III. erbauten Théâtre Impérial im nördlich von Paris gelegenen Compiègne von den dort residierenden Frivolités parisiennes unter David Reiland im Januar 2018 wieder zum Leben erweckt (in der guten und langen Tradition der vielen wunderbaren Titel der letzten 30 Jahre, ebendort auch die bislang einzige Medée Cherubinis mit den originalen Dialogen, von der hier in operalounge.de hinreichend geschwärmt wurde, aber auch Meyerbeers Dinorah oder Aubers Manon Lescaut erblickten nach langem Schlaf im Théâtre Imperial das neue Licht des Tages, wie auf den zahlreichen Dokumentationen nachzuhören und -zusehen ist/ G. H.)) und auf Naxos festgehalten wurde (8.660436) – auf einer CD, ohne Dialoge, mit lesenswertem Aufsatz. Allerdings, was uns nicht zu sehr bekümmern soll, in einer um drei Nummern gekürzten Fassung, wie sie 1849 in Rouen gespielt wurde, denn die von Reiland präzise einstudierte Aufführung ist hinreißend, klar in der instrumentalen Finesse, ausgewogen im Verhältnis der Stimmen und des Orchesters, prägnant, wenngleich nicht überragend in der Besetzung. Jeanne Croussaud mag zwar nicht die divenhafte Allüre und die zündende Höhe für die Zerlina haben, doch die Stimme ist süß und hinreichend sirenenhaft. Croussaud agiert musikalisch, ihr Couplet „Prends garde, Montagnarde“ und ihre Cavatine am Ende des zweiten Aktes „Ah! Je n’ose pas“ singt sie mit Verve und Temperament und einem charmanten Ton. Die beiden elegant französischen, mit enger Höhe, aber Witz singenden Tenöre Xavier Flabat als Bandit Scopetto und Jean-Noël Teyssier als Scipion sowie die Bässe Jean-Fernand Setti als Herzog und Benjamin Mayenobe als Bolbaya sowie der Bariton Jacques Calatayud als Pecchione und Dorothée Lorthiois als Mathéa runden mit charaktervollen Stimmen das Ensemble ab.

 

Heiter walzend oder im Schnellschritt der Polka und im flotten Galopp geht es bei Eduard Strauss (1835-1916) weiter, dem jüngsten Bruder des Walzerkönigs Johann Strauss, der 30 Jahre die Strauss-Kapelle leitete und dafür mit dem Titel k.k. Hofballmusik-Director geehrt wurde. Die zu Edis hundertsten Todestag gestarteten Centenary Celebration bietet auf ihrer zweiten Folge auch einige Ersteinspielungen, darunter den Walzer „Freie Gedanken“ und die Polka-Mazurka „Schmeichelkätzchen“, die John Georgiadis und das Tschechische Philharmonische Kammerorchester Pardubice auf einer randvollen CD vergnüglich präsentieren (Marco Polo 8.225371).

 

Aubers Ensemblemechanik verdankt einiges Rossini, dessen Kunst die lapidar Hommage à Rossini genannte Aufnahme der Cellistin Raphaela Gromes mit dem WDR Funkhausorchester und dem Pianisten Julian Riem unter Leitung von Enrico Delamboye von wenig bekannter Seite beleuchtet. Die Münchner Cellistin suchte dazu nach Werken über Themen von Rossini und trug mit Hilfe des Offenbach-Kenners Jean-Christophe Keck ein Programm zusammen, auf dem erstmals Offenbachs Hommage à Rossini erklingt, wodurch der Titel der CD (Sony 190758208220) wieder Sinn macht. Im Zentrum des kammermusikalischen wie sinfonischen Programms stehen die Variationen über ein Thema von Rossini für Cello und Klavier von Bohuslav Martinů über ein Thema aus Mosé in Egitto. Dazu Bearbeitungen von Arien sowie Alterssünden. Sündhaft verführerisch. Rolf Fath