Den jungen polnischen Countertenor Jakub Józef Orlinski stellt Erato/Warner mit seinem ersten Soloalbum vor (0190295633745), für das der Sänger ein ungewöhnliches Programm zusammengestellt hat. Musikalisch beraten wurde er dabei von Yannis François, der auch die kritischen Editionen der Stücke erstellte. „Anima sacra“ ist der Titel dieser Anthologie mit geistlichen Werken von der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts bis zur Vorklassik. Darunter finden sich acht Weltersteinspielungen, was Sammler stets zu schätzen wissen. Die künstlerische Bedeutung des Albums resultiert zudem aus der Mitwirkung des renommierten, auf Barockmusik spezialisierten Ensembles il pomo d’oro unter Leitung des in diesem Repertoire versierten Dirigenten Maxim Emel Yanchev.
Die älteste Komposition stammt aus der Feder von Nicola Fago (1677 – 1745) und dessen Oratorium Il Faraone sommerso (1709). Es ist die erste Arie des Aronne, „Alla gente a Dio diletta“, die eine große Feierlichkeit und Ruhe verströmt, welche Aarons unerschütterlichen Glauben widerspiegelt. Der Sänger lässt seine Stimme ausgeglichen und gerundet ertönen, sie klingt keusch, aber nicht anämisch. Es folgt ein sakrales Werk dieses Meisters als Weltpremiere, die Motette Confitebor tibi, Domine. Die sieben Sätze sind von starken Kontrasten und der Interpret hat hier Gelegenheit, die verschiedenen Stimmungen wach werden zu lassen. Später gibt es von Fago noch dessen geistliche Kantate „Tam non splendet sol creatus“, welche die Geburt Jesu preist und mit einem virtuosen „Alleluja“ endet.
Ein Dresdner Werk ist Johann David Heinichens Motette „Alma Redemptoris Mater“ von 1726, welche in drei Sätzen dem Marienkult huldigt. Der erste zeichnet sich durch liebliches Melos aus und verlangt dem Interpreten schwebende Töne ab. Auch im zweiten kann er die Schönheit seiner Stimme ausstellen. Dagegen ist der Finalteil in seinem Duktus tänzerisch orientiert. Danach erklingt ein Ausschnitt („Donec ponam“) aus dem Dixit Dominus des katalanischen Komponisten Domènec Terradellas. Er studierte in Neapel bei Francesco Durante, dessen kurze, virtuose Arie „Domine Fili unigenite“ aus der Messa a 5 voci das Programm der CD beschließt.
Eine Größe der neapolitanischen Musik ist Domenico Sarro (1679 – 1744), der mit einem „Laudamus te“ aus seiner Messa a 5 voci vertreten ist. Mit seinem inbrünstigen Vortrag kann Orlinski ebenso überzeugen wie mit den virtuosen Verzierungen. Gleichfalls aus Neapel stammt Francesco Feo (1691 – 1761), der bei Fago Unterricht nahm und in seiner Hymne Dies irae die Schrecken des Jüngsten Gerichts schildert. Daraus hat der Countertenor die Arie „Juste Judex ultionis“ ausgewählt, in der Gott um Milde angefleht wird. Aus dem Jahre 1735 stammt Gaetano Maria Schiassis Oratorium Maria Vergine al Calvario, aus dem die Arie des Giovanni, „L’agnelletta timidetta“ ertönt, in welcher Johannes sich mit einem verschüchterten Lamm vergleicht, was der Sänger mit besonders zarter Tongebung ausdrückt.
Für den Dresdner Hof schrieb Jan Dismas Zelenka (1679 – 1761) Gesù al Calvario, das er selbst als componimento sacro bezeichnete. Daraus stellt Orlinski eine Arie mit Rezitativ vor: „Smanie di dolci affetti“/„S’una sol lagrima“. Sie ist von getragenem Duktus und feierlichem Ernst. Nach Dresden führt auch die „jüngste“ Komposition der Auswahl. Sie stammt aus Johann Adolf Hasses Oratorium Sanctus Petrus et Sancta Maria Magdalena von 1758. In der Arie „Mea tormenta, properate!“ schildert Petrus seinen seelischen Aufruhr beim Anblick des gekreuzigten Christus. In seinem furiosen Rhythmus und Tempo ähnelt das Stück einer dramatischen opera seria-Arie und Orlinski kann hier einen bravourösen Schlusspunkt setzen. Bernd Hoppe