Warum nun noch eine …

 

Man muss sich schon sehr anstrengen, will man erreichen, dass der Zuschauer wenig Anteil am Schicksal Mimis und Rodolfos in der Bohème aus Covent Garden bei der Hausfirma  Opus Arte nimmt, und Richard Jones ist das über weite Strecken gelungen, wobei ihm Stewart Lainig als Designer ein williger Helfershelfer war. Der erste und letzte Akt verdammt die vier Künstler zum Leben in einer klitzekleinen Dachkammer, die keinerlei Raum für das bei allem Elend muntere Treiben der jungen Leute lässt, gerade einmal zwei Stühlen Raum gibt. Im naturalistischsten aller veristischen Stücke malt Marcello in die Luft und hat auch das Weihnachtsbild keine Atmosphäre, weder im Draußen noch im Drinnen des Momus, denn alles wirkt zu fein, zu bunt, zu unberührt vom Leben in einer umtriebigen Großstadt, eher einer Revue als dem Stück angemessen.  Im dritten Bild steht eine Baracke allein auf weiter Flur, die Zöllner kommen aus dem Nichts und verschwinden in demselben, dass man mit Schnee nicht geizt, ihn schon vor Beginn der Oper vom Bühnenhimmel fallen lässt, hilft da wenig. Immerhin ist es interessant zu erfahren, dass Musetta im letzten Akt zu einem sittsamen Leben zurückgekehrt ist, so züchtig ist ihr Kostüm, und kaum zu glauben ist, dass sie im zweiten Akt noch ihren Slip in die Menge warf. Der Regisseur hat mit viel Erfolg verhindert, dass die Figuren Charme entfalten, und wenn doch ein gewisser Zauber besonders im zweiten Teil des dritten Aktes entsteht, dann ist es den Sängern und, wen wundert es, der Musik zu verdanken, die mit Dirigent Antonio Pappano natürlich einen berufeneren Anwalt gefunden hat als in den mit der Optik Betrauten.

Einen recht pummeligen Rodolfo gibt Michael Fabiano mit für Puccini recht hellem und flachem Tenor, der das Fehlen von Rundung und Farbe immerhin mit gewaltigem Geschluchze auszugleichen versucht. Eine sehr gute Besetzung für die Mimi ist Nicole Car, hochgewachsen, so dass Tenöre sich recken und strecken müssen, mit feinem lyrischem Sopran, der das unverzichtbare Aufblühen der Stimme in der Höhe nicht verweigert. Ein Gewinn für die Produktion ist auch der Marcello von Mariusz Kwiecien mit höchst angenehm timbriertem Bariton von betörendem Ebenmaß. Uncharmant muss sich die Musetta von Simona Mihai geben, dazu kommt eine zu kleine Stimme, die dem berühmten Walzer Eleganz und erotisches Flair verweigert. Ein verhaltenes, anrührendes Mantellied singt Luca Tittoto als Colline, dunkler als bei der Partie gewohnt und im Verhältnis zum Marcello ist der Bariton von Florian Sempey für den Schaunard. Den Chor in der turbulenten Weihnachtsszene gut zusammen hält der von Berlin nach London gewechselte Chorleiter William Spaulding in der Produktion, die während dreier Vorstellungen im Herbst 2017 aufgezeichnet wurde,  2018 auf den Markt gekommen  und eine Co-Produktion mit Madrid und Chicago ist (Opus Arte 1272 D/ 2018). Ingrid Wanja