Überwältigendes aus Freiburg

 

Großes Historienkino:  Den Namen Zandonai verknüpfen Opernexperten oft mit einer eher peinlichen Geschichte. Giulio Ricordi, Puccinis Verleger starb 1912, und dessen ebenso ehrgeiziger wie unsympathischer Sohn Tito konnte Puccini nicht ausstehen, er wollte für den Verlag einen Konkurrenten aufbauen, um Puccini zu ärgern. Und so verfasste er kurzerhand selbst einen Operntext nach einem Stück von Gabriele d’Annunzio und verdonnerte Zandonai 1914 dazu, es zu vertonen. Diese Francesca  da Rimini ist also ein verzweifelter Versuch, Puccini etwas entgegenzusetzen. Leider klingt dieser Anti-Puccini dann auch über weite Strecken wie Puccini selbst.

 Immerhin ist bemerkenswert, dass hier ein Stoff gewählt wurde, der eher typisch für die Zeit Donizettis und Bellinis ist – also für den Belcanto. Der Verismo schrieb sich ja auf die Fahnen, eine Oper der kleinen Leute zu sein, gezeigt werden sollten einfache Menschen der Gegenwart oder jüngsten Vergangenheit, keinesfalls Heroen des Mittelalters oder der Antike. Und trotzdem hat fast jeder Verismo-Komponist wenigstens einmal versucht, einen großen Breitwand – Historienschinken auf die Bühne zu bringen. Leoncavallo etwa I Medici, Puccini den Edgar, Mascagni Guglielmo Ratcliff.  Das Problem: Diese Opern waren selten erfolgreich und nie Kassenschlager. Tito Ricordi wollte hier Nägeln mit Köpfen machen und den Bann brechen. Endlich opulentes Historienkino in der Oper!  

Der Stoff der Francesca da Rimini wurde von d’Annunzio dramatisiert und stammt von Dante höchstselbst. Erzählt wird eine blutige Liebesgeschichte, eine Art ins Tragische gewendete Variante des Rosenkavaliers. Francesca soll verheiratet werden mit einem ziemlich widerlichen Typen, dafür sieht aber der Bote des Freiers umso besser aus. Leider verliebt sie sich in ihn. In dieser Version werden dann später beide vom Ehemann erstochen, wie sich das für eine anständige aufgeregte Verismo-Oper gehört.

Aparte Orchestrierung: In den entsprechenden Quellen zu Zandonais Francesca liest man immer, wie unglaublich apart und impressionistisch seine Orchestrierung sei, und dass er hier wirkliches Genie zeige – ich finde das etwas übertrieben. Das klingt so, als wäre den anderen Meister der Zunft nichts Ebenbürtiges eingefallen. Solche Experimente lassen sich auch anderswo finden, bei Respighi etwa. Und auch in Puccinis Madama Butterfly gibt’s sehr aparte Einfälle, die mit dem Impressionismus kokettieren. Immerhin:  Zandonai hat hier eine neue Spielart etabliert, er erfindet ein virtuelles Mittelalter mit einem Facettenreichtum, den ähnliche Werke wie Leoncavallos Medici nicht aufbieten. Er verknüpft etwa alte Instrumente mit Neuer Musik. Das Atmosphärische vieler Szenen der Francesca ist wirklich betörend und tröstet über den zuweilen etwas ledernen Parlando-Stil der schwächeren Szenen hinweg, der dem Hörer der Oper (gerade in den ersten 30 Minuten) einige Fleißarbeit abverlangt.

Überraschung aus Freiburg: Das Werk war vor allem in Italien nie vergessen – die gängigen Aufnahmen sind fast durch die Bank alte Livemitschnitte (nicht zu vergessen die Aufnahmen mit der ganz jungen, unvergleichlichen Gencer, der robusten Caniglia und natürlich der melodramatischen Olivero, aber auch die im ganzen betörende Aufnahme mit Kabaivanska und Domingo unter Eve Queler aus New York; in jüngster Zeit gab es das in Paris mit Alagna und Vassileva, beide zu Recht bejubelt. G. H.).  Die konzertante Freiburger Aufführung vom 17. Juli 2013, nun bei cpo,  war zunächst eine Live-Angelegenheit, eine Produktion des Theaters Freiburg, doch wie oft beim Label cpo ist man vermutlich noch einmal ins Studio gegangen – kein Gehuste stört den Hörgenuss. Und ein Genuss ist der!

Diese Francesca hat mich wirklich umgehauen.  Man erwartet eben nicht unbedingt perfekt gesungenen Verismo aus Freiburg. Und doch bekommt man genau das.  Allen voran ist Christina Vasileva als Francesca eine absolute Wucht. Ich kannte sie vorher nicht, jetzt steht ihr Name bei mir auf einer Merkliste – ein kehliger, kräftiger, dunkel getönter Sopran, der ein bisschen an die ganz junge Daniela Dessi erinnert, einfach wie gemacht für diese Sorte Oper. Tenor Martin Mühle als Paolo wandelt ein wenig auf den Spuren Mario del Monacos, aber daran ist nichts falsch, wenn man wirklich so souverän und leidenschaftlich wandelt wie er. Und auch die restlichen Sänger klingen wirklich beeindruckend. Und auch die übrigen sind hervorragend.

Fabrice Bollon hat seine Freiburger Philharmoniker für diese Aufnahme komplett italianisiert und arbeitet die originellen Seiten der Partitur wunderbar heraus. Eine exzellente und glutvolle Umsetzung eines nicht immer überzeugenden, aber über weite Strecken packenden Werks der Moderne (2 CD, cpo 777960-2). Matthias Käther