Kantaten und Oratorien hatten im Barock oft auch einen konkreten politischen Zweck, zwei CDs eher unbekannter Komponisten zeigen Auftragswerke mit dieser Funktion jenseits von Repräsentation und Jubel. Es handelt sich dabei um qualitativ gute Gebrauchsmusik, kurzweilig zu hören und ein Beleg für die handwerkliche Güte, die man in der barocken Breite entdecken kann. Giovanni Paolo Colonna (1637-1695) verbrachte sein Leben größtenteils in seiner Heimatstadt Bologna und trat dort erst als Organist, Kapellmeister, Musiklehrer und Komponist in Erscheinung sowie als Mitbegründer und Leiter der Accademia dei Filarmonici. Unter seinen Schülern waren die Opernkomponisten Francesco Gasparini und Giovanni Battista Bononcini (in dessen Oper Astianatte es am King’s Theatre in London 1727 zur handgreiflichen Auseinandersetzung zwischen den Händel’schen Opernstars Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni kam). Colonna komponierte auch Opern, allerdings nur fünf, vor allem aber viel Kirchenmusik, darunter mindestens 13 Oratorien, von denen nur sechs erhalten sind. L’Assalone ist aus dem Jahr 1684 und handelt von einen politisch-familiären Thema: Assalone (Absalom) war einer der jüngeren Söhne des biblischen Königs David und versuchte, seinen Vater vom Thron zu stürzen, weil dieser ein Unrecht nicht hart genug bestraft hatte. Der Versuch scheiterte und endete für Absalom fatal. Die ganze Geschichte findet sich im 2. Buch Samuel. Aufgeführt wurde dieses Oratorium (und andere von Colonna) erstmals in Modena, für den musikliebenden Herzog Franceso II. aus dem Adelsgeschlecht der d’Este, der anscheinend in Hassliebe mit seiner Mutter verbunden war, die selber gerne regiert hätte – eine Geschichte, die der David-Absalom Beziehung fern ähnelte und am 10. Jahrestag der Machtübernahme des Herzogs als barockes Oxymoron gespielt wurde. Das Oratorium hatte hier eine politisch mahnende Funktion. Das 63-minütige Werk ist mit fünf Stimmen und sieben
Musikern (Trompete, Streicher und Continuo) besetzt und besteht aus 16 Rezitativen, 14 Arien, drei Chorsätzen, einem Duett und einer Sinfonia. Colonnas Musik ist unterhaltsam durch kurze Einzelstücke und abwechslungsreiche Strukturen und von guter Qualität, wie so viele Entdeckungen aus dieser Epoche. Sängerisch bietet man ein homogenes Ensemble auf, vor allem der Bassist Mauro Borgioni sticht als Davide mit kultivierter Stimme hervor. Daneben sind Sopranistin Laura Antonaz als Assalonne sowie Elena Biscuola (Achitofele/Ioabbe), Alberto Allegrezza (Consigliere) und Elena Bertuzzi (Testo) zu hören. Dirigentin Maria Luisa Baldassari leitet vom Cembalo das kleine Ensemble Les Nations und erzielt einen animierten Klang. (1 CD, Tactus, TC 630302)
Die Kantate La Gloria, Roma e Valore, uraufgeführt 1700 in Rom, stammt von Giovanni Lorenzo Lulier (1662-1700). Der Römer, Musiker und Komponist Lullier wurde gefördert vom aus Venedig stammenden Kardinal Ottoboni, der wohl auch dieses Werk in Auftrag gegeben hatte und ein berühmter Mäzen war. In seiner Hauskapelle musizierten Größen wie Corelli und die Scarlattis, Alessandro Scarlatti vertonte mindestens sechs Libretti des Kardinals. Es handelt sich bei dieser Erstaufnahme um ein feierliches Werk zur Huldigung des neuen venezianischen Botschafters in Rom. Drei allegorische Figuren: der Ruhm, Rom und die Größe und Macht der päpstlichen Stadt verherrlichen berühmte Venezianer in Rom, der römische Wolf beugt sich ehrerbietend vor dem venezianischen Löwen – eine Machtfantasie, um einen scheinbaren Zusammenhalt der Venezianer zu demonstrieren. Doch tatsächlich war Ottoboni bei den wichtigen Entscheidungen autonom und ohne Rücksichtnahme auf die Anliegen der Republik Venedig. Es handelt sich um ein Gelegenheitswerk, das durch Zufall den Lauf der Zeiten überstand. Das Manuskript der Partitur fand sich in der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek und war früher im Besitz des Musikwissenschaftlers Friedrich Chrysander. Die Kantate besteht aus 31 Stücken, eine zweisätzige Sinfonia von Arcangelo Corelli zu Beginn (und zwar aus seinem Concerto grosso opVI/7; wieso sie verwendet wird, erklärt das knappe Beiheft nicht), 15 Rezitative, 13 Arien und ein Duett reichen für 59 Minuten Musik. Auch hier gibt es eine schnelle und flüssige Abfolge, kurzweilige Barockmusik ohne Auffälligkeiten, überzeugend musiziert von den dreizehn Musikern (Continuo, Streicher und eine Flöte) I Musicali Affetti unter der Leitung des Barockgeigers Fabio Missaggia, der auch sein Instrument virtuos in Szene setzt. Die zwei Soprane Chiara Balasso und Lia Serafini sowie Contertenor Matteo Pigato singen engagiert, ohne hervorzustechen. (1 CD, fra bernardo, fb1505643). Marcus Budwitius