Geistliches fürs Konzert

Joshua ist eines der spektakulären Oratorien von Georg Friedrich Händel – die Mauern Jerichos werden zum  Einsturz gebracht, Mond und Sonne müssen still stehen, ein Liebespaar findet sein Glück und Händel hat wunderbare Musik dazu komponiert. Dennoch gehört Joshua nicht zu den bekanntesten Werken des Hallensers. Christopher Hogwood urteilte, dass es sich weniger um eine zusammenhängende Handlung und mehr um eine Aneinanderreihung von Ereignissen handle. Eine Live-Aufnahme von den Göttinger Händel Festspielen 2014 bringt das zu Unrecht selten gespielte Werk aus dem Jahr 1748 zurück in die Aufmerksamkeit der Händel-Fans. Joshua ist eines der vier militaristischen Oratorien (neben dem Occasional Oratorio, Judas Maccabaeus und Alexander Balus), die im Zusammenhang mit der Niederschlagung des Jakobiten-Aufstands von 1746 entstanden, bei dem der katholische Charles Edward Stuart aus Schottland von der englischen Armee unter Wilhelm August, Herzog von Cumberland, dem Sohn des englischen Königs Georg II. aus Hannover geschlagen wurde. Joshua ist ein Huldigungs- und Siegeswerk mit patriotischer Bedeutung – es gibt Schlachten mit Hörnern, Trompeten und Trommeln, Triumphchöre und Jubelgesänge. Und hier liegt auch eine der Stärken dieser Neueinspielung: Der NDR Chor, einstudiert von Robert Blank, bringt den Glanz und den Jubel der Israeliten mitreißend zum Tönen. Die vier individuell gezeichneten Solistenrollen sind ebenfalls sehr gut besetzt: Joshua singt Kenneth Tarver als strahlenden Held mit klarem, offenem und klangschönem Tenor – eine Referenzbesetzung! Bariton Tobias Berndt verleiht Caleb eine patriarchalische Würde, das Liebespaar Achsah und Othniel sind mit dem Sopran von Anna Dennis und dem Alt von Renata Pokupić ebenfalls ausgezeichnet besetzt. Dirigent Laurence Cummings, dessen Vertrag als musikalischer Leiter der Göttinger Händel-Festspiele vor wenigen Monaten bis 2021 verlängert wurde, und das Festspielorchester Göttingen zeigen die musikalische Ausdruckskraft Händels beim Einsturz der Mauern von Jericho zum Klang von Trompeten (aber keinen Posaunen wie Händel sie z.B. in Saul verwendete) und den affektreichen Arien. Auch ein Ohrwurm ist enthalten: „See, the conqu’ring hero comes“ wurde in den bekannteren Judas Maccabaeus übernommen und ertönt seit 1826 gerne zur Adventszeit – Theologe Friedrich Heinrich Ranke machte daraus „Tochter Zion, freue dich“. (2 CDs, Accent/note 1, ACC26403)

bach israeliten dhmKeine drei Wochen vor der obigen Aufnahme aus Göttingen wurde in Leipzig anlässlich des 300. Geburtstags Carl Philip Emanuel Bachs Oratorium Die Israeliten in der Wüste eingespielt, das musikhistorisch als wichtiges Bindeglied zwischen Barock und Frühklassik gilt und 20 Jahre nach Händels Joshua entstand. Die Israeliten in der Wüste wurde zu einer Kircheneinweihung 1768 in Hamburg uraufgeführt, mit der Bach auch die Nachfolge von Telemann antrat. Das lyrische Oratorium sollte nach dem Willen Bachs aber auch außerhalb der Kirche zu Feierlichkeiten gespielt werden – Händels Londoner Modell scheint hier auf dem Kontinent angekommen zu sein und tatsächliche war Bach damit Erfolg beschieden, wie Aufführungen in anderen Städten und die Drucklegung zeigen. Der Text verzichtet auf Bibelzitate und bietet leidende Seelenzustände der durch die Wüste irrenden und von Gott geprüften Israeliten im ersten Teil  und Lobpreisung und Danksagung im zweiten. Das Beiheft bezeichnet das als Stil der Empfindsamkeit, der bewusst auf Handlungsdramatik und Erzählstränge verzichtet und Situationen gefühlsbetont und kontemplativ deuten will. Bachs musikalischer Stil ist anschaulich, gelegentlich tonmalerisch und einfühlsam zwischen Flehen und Freude. Ein Zeitgenosse rühmte den „fliessenden, angenehmen und natürlichen Gesang“. Ein geschätztes Oratorium, das innerhalb weniger Jahre drei Einspielungen erlebte: 2008 mit Wolfgang Brunne und der Salzburger Hofmusik (CPO), 2014 mit Frieder Bernius und dem Barockorchester Stuttgart (Carus) sowie nun bei deutsche harmonia mundi.

Johannes Weisser på "Jul på slottet"/youtube

Johannes Weisser på „Jul på slottet“/youtube

Dirigent Christoph Spering erklärt im Beiheft, wie durch die neue Edition der Werke C.P.E. Bachs die Frage der nicht ornamentierten Da Capo-Arien aufgeworfen wurde und dass er zusammen mit den Sängern Verzierungen erarbeitet hat und eine größere Orchesterbesetzung gewählt hat, um orchestral farbigere Ausdrucksmöglichkeiten zu erzielen. Spering als Experte für historische Aufführungspraxis gelingt mit den sehr gutv gewählten Sängern, dem Chorus Musicus Köln und Das Neue Orchester einen authentisch klingender und gestisch ausdrucksstarker Höreindruck. Das Solistenenquartett besteht aus dem dramatisch-ausdrucksstarken Sopran von Sarah Maria Sun und dem schlanken, klaren Sopran von Anja Petersen in den Rollen der beiden Israelitinnen sowie dem norwegischen Bariton Johannes Weisser als beeindruckender Moses und dem stimmschönen Tenor von Daniel Johannsen als Aaron. (1CD, dhm/Sony 88875016302). Marcus Budwitius