PORTIONIERTER GENUSS

 

Die Opern von Nicola Porpora sind heutzutage immer noch Raritäten und kommen nur langsam wieder stärker ins Bewußtsein des Barockmusikpublikums. Bei Glossa hat man sich für die Doppel-CD L’amato nome aus dem kaum bekannten Schaffen des Neapolitaners Nebenwerke vorgenommen, die einst ausgesprochen populär waren. Die Kantaten für den Prince of Wales mit der Opuszahl 1 erschienen 1735 in London, also in dem Jahr, als Porpora Polifemo und Ifigenia in Aulide und dessen Konkurrent Händel Alcina und Ariodante auf die Bühnen Londons brachte. Der Prince of Wales war Friedrich Ludwig, der älteste Sohn und Thronerbe des englischen Königs Georg II. aus dem Haus Hannover. Beide verstanden sich bekanntlich denkbar schlecht, der Prinz protegierte die Opera of the Nobility mit Porpora und war auch selber musisch begabt – er spielte Cembalo und Cello. Es gibt Hinweise, dass Porpora diese Werke zumindest teilweise nach London mitgebracht hatte und der aufwändige und teure Druck mit Widmung an den Prinzen auch ein Verkaufsargument für wohlhabende Kenner sein sollten. Tatsächlich waren diese zwölf Kammerkantaten für Continuo, Sopran und Alt auf Texte von Pietro Metastasio.ein Erfolg für Porpora und ein geschickter Schachzug, um sein Schaffen und Können in musikalisch reduzierter Umgebung unter Beweis zu stellen. Noch Jahrzehnte später finden sich schriftliche Quellen, die diese Werke als außerordentlich und modellhaft rühmen, bis ins 19. Jahrhundert wurden sie gedruckt. Porpora gelang hier eine musikalische  Inszenierung  von Metastasios Texten, die den damaligen Geschmack und die Ideale des Arkadischen darstellen – es geht bspw. um Apollo, Nymphen, Cupido, Schäfer und Landschaften sowie um Herzschmerz und Sehnsucht. Die Kantaten können als Beispiel für Porporas galanten Stil herangezogen werden, ihre eingänglichen Melodien galten als bezaubernd, die Rezitative beschrieb man damals als natürlich, die Modulationen als angenehm, im Aufbau bestehen sie aus 2 Arien mit verbindendem Rezitativ oder aus dem doppelten Paar aus Rezitativ und Arie. Im Beiheft erfahren die Kantaten eine andere Einschätzung, sie setzen beim „Zuhörer eine profunde Wertschätzung von Porporas Können voraus„. Dirigent Stefano Aresi leitet zwei Musiker aus dem Barock-Ensemble Stile Galante, das Continuo ist bei dieser Aufnahme nur mit Cembalo und Cello besetzt – eine Entscheidung, die für Kammerkantaten historisch verbürgt ist und doch eine gewisse klangliche Monotonie auslöst. Das könnte auch der Grund dafür sein, daß Aresi im Beiheft empfiehlt, nicht alles in einem Rutsch durchzuhören, sondern sich die einzelnen Kantaten portionsweise, in zeitlichem Abstand und langsam zu Gemüte zu führen. Die Cellistin Agnieszka Oszanca meistert zwar die melodiösen Passagen mit klanglicher Schönheit, die Cembalistin Andrea Friggi spielt mit Eleganz und mit Anmut, dennoch leidet das heute verwöhnte Ohr an dieser Kargheit, musiziert wird in so vollendeter Ausgewogenheit, dass es schon mal ermüden kann. Die jeweils sechs Arien sind auf vier Sängerinnen verteilt, jede singt drei. Die Sängerinnen halten sich an die stilistische Konstante, nicht nur in den Dacapo-Passagen improvisierte Verzierungen zu verwenden, also die Technik des cercar/anticipatione della nota zu pflegen. Verzierungen und stilistische Fragen wurden mit dem Dirigenten erarbeitet. Die Sängerinnen sind sehr gut besetzt, die Stimmfarben sind unterschiedlich gewählt, die ausgedehnten und stark verzierten Gesangslinien der Arien stellen die Interpreten vor die Herausforderung, langen Atem und sichere Technik zu beweisen. Die Mezzosopranistin Marina De Liso überzeugt mit warmen Farben, Ausdruck und Koloratur klingen attraktiv, sie singt die Kantaten Nr. 8 „Or che una nube ingrata„, 9 „Destatevi, oh pastori“ und 11 „Oh dio, che non è vero„. Auch die zweite Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli ist hörbar eine versierte Sängerin für Rollen der Barock/Rokoko-Epoche, ihre Stimme ist verführerisch und etwas tiefer,  sie singt Nr. 7 „Veggo la selva e il monte„, Nr. 10 „O se fosse il mio core“ und 12 „Dal povero mio cor„. Emanuela Galli leiht ihren schönen und einschmeichelnden Sopran den Kantaten Nr. 2 „Nel mio sonno almen talora„, 5 „Scrivo in te l’amato nome“ und 6 „Già la notte s’avvicina.Der Sopran von Francesca Cassinari ist jünger, mädchenhafter, sie übernimmt die Kantaten Nr. 1 „D’amore il primo dardo„, 3 „Tirsi chiamare a nome“ und 4 „Queste che miri, oh Nice„. Die Kantaten haben nicht den Effekt, Pomp und Glanz, den man heute in den diversen Sammlungen mit Opernarien hören kann (Max E. Cencic sei als aktuelles Beispiel genannt), die Selbsteinschätzung Aresis, dass es sich um Porpora für Kenner handelt, ist nachvollziehbar. (2 CDs, Glossa, GCD 923513 ) Marcus Budwitius