„Ah, che muso…“

 

„Sì, sì, sì, sì!“ singt Tisbe in der Introduzione von Rossinis Melodramma giocoso La Cenerentola – und so lautet auch der Titel eines neuen Albums von Marie-Nicole Lemieux bei Erato/Warner, das ganz dem Komponisten aus Pesaro gewidmet ist (0190295953263). Leider ist Angelinas berühmtes Schlussrondo aus dieser Oper nicht im Programm enthalten, dafür viele andere bekannte Perlen und auch einige seltener zu hörende Nummern. Mit Isabellas „Cruda sorte!“ aus der Italiana in Algeri beginnt die Auswahl, später folgt auch noch das kokette Rondo des 2. Aktes „Pensa alla patria“ mit seinem energischen Rezitativ „Amici, in ogni evento“. Lemieux gehört zur raren Spezies der contralti mit einer betörenden Stimme von profunder, satter Tiefe, sinnlichem Klang und souveräner, nur zuweilen etwas strenger Höhe, wie sie es seit den Zeiten von Lucia Valentini Terrani nicht mehr gegeben hat. Konsequent hat sie ihr Repertoire vorwiegend auf den Barock und Belcanto beschränkt, abgesehen von einigen Ausflügen in das Genre der französischen mélodies. Das hat ihrer Stimme das technische Finish und den Schmelz bewahrt, wie es auf dieser Platte eindrucksvoll zu hören ist. Ihr Gesang ist kultiviert, ihr Vortrag stets geschmackvoll, auch bei den wohldosiert eingesetzten Effekten im Brustregister. Lemieux findet zudem bei den Verzierungen in den Dacapi originelle Varianten, was beispielsweise eine so sattsam bekannte Nummer wie Rosinas „Una voce“ aus dem Barbiere wie neu erklingen lässt.

Die Platte ist der Mitschnitt zweier Konzerte in der Opéra Berlioz Montpellier am 2. und 5. Dezember 2015, bei denen die bekannte Sopranistin Patrizia Ciofi ihr in einigen Duetten assistiert. Deren erstes ist – nach Tancredis Auftrittsszene „O patria!/„Di tanti palpiti“  – das große Duett des Titelhelden mit Amenaide im 2. Akt„Fiero incontro!”/„Lasciami“. Die Italienerin ist eine erprobte Interpretin dieser zentralen Partie des Werkes (auch beim Rossini Festival Pesaro) und behauptet sich mit ihrem bekannt wehmütigen Timbre souverän neben der Altistin, die mir reichem Pathos und starker Empfindung aufwartet. Die Stimmen verblenden sich ideal, auch im effektvollen Schlussteil mit seinen virtuosen Koloraturen.

In einen weiteren Dialog stimmt die Lemieux mit dem Bariton Julien Veronèse aus der weniger bekannten Opera buffa La pietra del paragone ein, in welchem sie die junge Clarice gibt, die vom Conte Asdrubale auf eine Liebesprobe gestellt wird. In den einleitenden Takten lässt Pascal Scheuir feine Horn-Töne hören und auch das Orchestre national de Montpellier Occitaine spielt unter Enrique Mazzola außerordentlich delikat und einfühlsam, wie man es schon in der Einleitung zu Tancredis Auftritt hörte. Es weiß aber auch dramatische und spannende Akzente zu setzen, so im aufgewühlten Vorspiel zu Edoardos Szene „Sazia tu fossi alfine“ aus der Matilde di Shabran, in welcher ein weiterer hochklassiger Hornist (Sylvain Carboni) mit perfekten Trillern brilliert. Die Arie„Ah! Perché“ singt Lemieux mit schmerzlichem Ausdruck, den bewegten Schlussteil „Ah! se ancora“ mit stürmischer Emphase. In der großen Szene des Arsace im 2. Akt von Semiramide ist der Choeur des Hauses der Altistin ein inspirierender Partner. Einen Stimmungskontrast bringt das Duett zwischen der Dienerin Ninetta und dem jungen Bauernburschen Pippo aus La gazza ladra, das Ciofi und Lemieux in reizvolle Melancholie tauchen. Und beide Sängerinnen überraschen am Ende des Programms mit einem so noch nie gehörten „Duetto buffo di due gatti“, das gern als Schlussnummer oder Zugabe genommen wird. Das quietscht, gurrt und schnurrt, dass man gern das Lächeln auf den Gesichtern der Zuhörer im Saal sehen würde. Bernd Hoppe