Vokale Spannungen

 

In der Zeit von 1979 bis 1997 sang Laila Andersson-Palme, Jahrgang 1941, die Titelpartie der  Tosca 93-mal an der Stockholmer Oper. Das schwedische Label Sterling hat nun einen Live-Mitschnitt vom 20. 9. 1984 herausgebracht, in dem alle Rollen mit Ensemblemitgliedern des Königlichen Opernhauses besetzt sind. Wie an anderer Stelle richtig festgestellt wurde, erinnert der Sopran von Andersson-Palme im Klang sehr an Anja Silja. Die stets sicher getroffenen Höhen sind teilweise von schneidender Härte, die wenigen lyrisch genommenen Passagen wie „Vissi d’arte“ sind ebenso wie die Mittellage überzeugender. Das Hören ihres immer ausdrucksvollen Singens deutet darauf hin, dass ihre Bühnenwirkung enorm gewesen sein muss. Ihr Cavadarossi ist der Sohn des berühmten Jussi Björling Rolf Björling, der seinen kräftigen, gradlinigen Tenor recht eindimensional einbringt, wenn man von den geradezu herausgeschleuderten „Vittoria!“-Rufen einmal absieht. Mit prägnantem Bassbariton wartet Erik Saedén als Scarpia auf. Die kleinen Partien werden rollengerecht gesungen. Am Dirigentenpult sorgt Carlo Felice Cillario für angemessen vorwärtsdrängende Dramatik. Die durchweg solide Aufnahme hat keinen Ausnahme-Charakter, aber immerhin historischen Wert (STERLING CDA 1837/1838-2).

 

Solides aus Stockholm: Unter dem Titel Siv Wennberg – A Great Primadonna hat Sterling in den letzten Jahren mehrere Aufnahmen mit der schwedischen Sopranistin (Jahrgang 1944) herausgebracht. Vol.6 ist ein Mitschnitt von Verdis Un ballo in maschera aus der Stockholmer Oper vom 16. Dezember 1985. Insgesamt kann man die Aufnahme nach meinem Eindruck nur als solide bezeichnen; so führt sie ihre durchschlagskräftige Stimme mit einigen Schärfen in den Höhen recht unruhig durch die Lagen,was besonders in der lyrischen Arie im 2. Akt „Solo un detto ancora a te“ stört. Leider fallen mehrmals höhere Töne unschön aus der Linie heraus und  auch die Intonation ist nicht immer sicher, was beides in Amelias großer Szene zu Beginn des 2.Aktes deutlich wird. Der männliche Star dieser Live-Aufnahme ist als Gustav III. Nicolai Gedda, der mit seinem glanzvoll timbrierten Tenor begeistert. Wunderbares piano beherrscht er ebenso wie die mezza voce, die er gekonnt zu hoch emotionaler Gestaltung einzusetzen weiß. Mit kraftvollem, in den Höhen etwas engem Bariton gibt Loa Falkman den Anckarström. Durch frisches, blitzsauberes Singen gefällt Ann-Christin Biel als Oscar; Ulrica ist mit unausgeglichenem Alt Inger Blum. Im Übrigen bewährt sich das Ensemble des Königlichen Opernhauses. Alles wird von dem estnischen Dirigenten Eri Klas sicher und sängerfreundlich geleitet (STERLING CDA 1802/03-2).

 

So genannte Lieblingsszenen aus Richard Wagners Ring des Nibelungen gesondert aufzunehmen, wird immer umstritten bleiben; ich bezweifle, ob dafür wirklich ein Markt vorhanden ist. Sei`s drum, jetzt ist bei SWR music der Anfang 2018 eingespielte, um den ersten Teil gekürzte 3. Akt von Siegfried erschienen. Es spielt die Deutsche Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern, die 2007 als Zusammenschluss des Rundfunk-Sinfonieorchesters Saarbrücken mit dem Rundfunkorchester Kaiserslautern entstanden ist, unter Leitung ihres Chefdirigenten Pietari Inkinen. Die Solisten sind die amerikanische Sopranistin Lise Lindstrom und der deutsche Tenor Stefan Vinke, beide erfahrene Wagner-Sänger und mit Brünnhilde und Siegfried an den großen Opernhäusern dieser Welt unterwegs. Bei Vinke gefällt, wie er bei bester Diktion mit klarer, unkomplizierter Singweise seinen in allen Lagen ausgeglichenen Heldentenor führt. Nicht so glücklich bin ich mit Lise Lindstrom, die natürlich mit der hohen Tessitura der Partie problemlos zurechtkommt. Aber ihr fülliger Sopran ist vor allem in der Mittellage und bei länger ausgehaltenen Tönen wegen starken Vibratos, das über das notwendige Maß hinaus geht und leider auch einige Intonationstrübungen bewirkt, zu unruhig. Der Dirigent sorgt mit „seinem“ hörbar gut disponierten Orchester für auffällig durchsichtige, schön differenzierte Klänge (SWR19078CD).

 

Gewaltiger Genre-Wechsel: Von Richard Wagners Menschheitsdrama geht’s zu Kurt Weill: Das Ensemble Modern unter der Leitung von HK Gruber präsentiert das „Songspiel“ Mahagonny, die Chansons des Quais und die „Kleine Dreigroschenmusik“ für Blasorchester von 1928. Im 1927 erstmalig beim Musikfestival „Deutsche Kammermusik“ in Baden-Baden aufgeführten Songspiel singen stilgerecht die Sopranistinnen Ute Gfrerer und Winnie Böwe, beide erfolgreich im Musical-Bereich unterwegs,  sowie das Vokalensemble amarcord, die alle für gute Verständlichkeit der Brecht-Texte, dabei drei Mahagonny-Songs und der berühmte „Moon of Alabama“, sorgen. Der 1934/35 in Paris geschaffene Zyklus für Sopran, Männerquartett  und Kammerorchester „Chansons des Quais“ bezieht seinen Charme aus volkstümlichen Melodien wie Walzern, Tangos u.a. und dem aparten Wechsel von Songs und Instrumentalstücken. Ute Gferer, vier Männer von amarcord und das Ensemble Modern musizieren hier mit Witz und Elan. Schließlich interpretiert HK Gruber mit „seinem“ Ensemble Modern die 1929 von Otto Klemperer an der Berliner Staatsoper uraufgeführte Kleine Dreigroschenmusik mit viel Einfühlung in den für Weill typischen Kompositionsstil (Ensemble Modern EMCD-040).

 

Im vielfältigen Oeuvre des ungarisch-französischen Komponisten György Kurtág (*1926) ist auffällig, dass die menschliche Stimme eine herausgehobene Bedeutung  hat, wobei er die kleine, oft ganz kleine Form bevorzugt. So ist jetzt bei audite unter dem Titelscenes eine CD erschienen, die durchweg Miniaturen enthält, von denen die längste 3:04 und die kürzeste 0:18 Minuten dauern. Die auffällige Kürze erfordert eine Komprimierung, die der Minimalist der besonderen Art Kurtag meisterhaft beherrscht. In typisch ungarischer Besetzung präsentieren die junge Sopranistin und Dirigentin Viktoriia Vitrenko mit dem Geiger David Grimal, Luigi Gaggero (Zymbal) und Niek de Groot (Kontrabass) zunächst 15 Gesänge zu Gedichten der russischen Lyrikerin Rimma Dalos („Szenen eines Romans“ op.19). Ausdrucksstark beherrscht die Ukrainerin den höchst anspruchsvollen Gesangs- und Sprechpart mit teilweise aberwitzigen Intervallsprüngen in der knapp 20-minütigen Liedfolge, die wie in den „romantischen“ Liedzyklen eine unglückliche Liebesbeziehung zum Inhalt hat. Die knapp 10-minütigen „Hét Dal“ op. 22 (Sieben Lieder) sind eine Art Zyklus von japanischen Haikus; ebenfalls in typischer Knappheit erklingen die vier Lieder „In Erinnerung an einen Winterabend“ op. 8. Außer acht aparten „Mini-Duos“ für Violine und Zymbal op. 4 enthält die CD äußerst knapp gefasste Vertonungen von 22 der geistreichen Aphorismen aus den „Sudelbüchern“ von Georg Christoph Lichtenberg op. 37a. Hier wäre es angebracht gewesen, die Texte im Booklet abzudrucken, weil sie infolge der ungewöhnlichen Komposition und der hohen Tessitura schlecht zu verstehen sind. Allerdings ist diese CD mit Ersterscheinungen eine gute Möglichkeit, die genannten Werke überhaupt kennen zu lernen (audite 97 762). Gerhard Eckels