Hört man diese glorios gesungene Neuaufnahme von Hasses Dramma per musica Siroe re di Persia, empfindet man sie als einen Endpunkt der barocken opera seria im Übergang zur Vorklassik und als Gipfel der sängerischen Bravour. Kaum noch zu steigern scheint hier die Virtuosität hinsichtlich ihrer spektakulären und auf die Starsänger ausgerichteten Effekte und deshalb nicht verwunderlich, dass es mit Gluck einen Reformator dieses Stils geben musste. Aber eine Orgie für die Ohren ist Hasses Musik zweifellos – wenn sie von solchen Sängern interpretiert wird wie auf der Decca-Einspielung, die 2014 in der Parnassos Hall von Athen entstand. Der Counter Max Emanuel Cencic stellt seit einigen Jahren spannende Projekte bei seinen Parnassus Arts Productions vor (so 2012 Händels Alessandro) und singt in Siroe auch die Titelrolle – den erstgeborenen Sohn des persischen Königs Cosroe, den Juan Sancho mit heroischem Barocktenor gibt. Schon in seiner Auftrittsarie, „Se il mio paterno amore“, zeigt er sich eloquent und virulent in der Attacke. Gelegentlich gibt es bei exponierten Tönen einen verspannt-forcierten Klang. Im sanft wiegenden „Gelido in ogni veno“ des 3. Aktes kommt die Stimme schön zur Geltung. Cencic spricht in der Einführung im Booklet der Hasse-Oper als von einem Märchen aus 1001 Nacht, in welchem das Gute über das Böse siegt, was er als interessante Parallele zu Schikaneders Zauberflöte sieht. Sein Titelheld lässt schon in der ersten Arie, „La sorte mia tiranna“, eine perfekt ausgewogene Stimme hören – so schmeichelnd im Klang wie aufgewühlt in den Emotionen. „Mi credi infedele“ im 2. Akt ist ein munteres Stück, das er mit geläufiger Stimme tänzelt, ähnlich dem „Fra dubbi affetti miei“, in welchem er seinen Counter weich und kosend führt. Im 3. Akt hört man von ihm eine Einlage – das recitativo accompagnato „Son stanco“ aus Händels Siroe und die Arie „Vo disperato a morte“ aus Hasses Tito Vespasiano, wo Cencic ein großes Spektrum an Emotionen ausbreitet – aufbegehrend, schmerzlich, aufgewühlt, verzweifelt. Die folgende Arie „Se l’amor tuo mi rendi“ ist dagegen hoffnungsvoll beschwingt und bietet dem Sänger Gelegenheit, noch einmal seine hohe Gesangskunst zu demonstrieren.
Siroe liebt Emira, Prinzessin von Kambajen, die in Männerkleidern unter dem Namen Idaspe auftritt. Mary-Ellen Nesi singt sie mit reizvoll herbem Mezzo von kokettem Ausdruck und flexibler Stimmführung. „Sgombra dall’anima“ im 2. Akt überzeugt durch den reschen Ansatz, „Che furia“ im 3. durch die vehemente Interpretation mit erregten Ausbrüchen.
Zweitgeborener Sohn des Cosroe ist Medarse, den Franco Fagioli in sensationeller Manier gibt. Der hochpersönliche, sinnlich vibrierende Altus scheint derzeit auf dem Gipfel seiner Möglichkeiten. Mit „Fra l’orror della tempesta“, wo der Sturm ein Gleichnis für seelischen Aufruhr bedeutet, beendet er den 1. Akt mit einem Aufruhr von Gefühlen – fulminant in den rasanten Koloraturketten, stupend in der Ausreizung der stimmlichen Skala von baritonaler Tiefe bis zur Sopranhöhe. Auch „Tu decidi del mio fato“ im 2. Akt ist überwältigend in der Schönheit der kantabel wiegenden Stimme, des sich reich verströmenden Gefühls und der schier endlosen Schleifen und Triller. Ihm fällt auch das letzte Solo der Oper zu – „Torrente cresciuto per torbido piena“ mit stürmisch-vitalem Charakter und noch einmal artistischem Höhenflug.
Ein Freund Siroes ist Arasse, General der persischen Armee, den die Amerikanerin Lauren Snouffler mit kultiviert-lieblichem, sehr beweglichem Sopran gibt, der in der Süße und Zärtlichkeit zuweilen von dem Julia Lezhnevas kaum zu unterschieden ist. Die Russin singt die Laodice, Cosroes Geliebte, doch Siroe zugetan, und erbringt in dieser Partie ihrer bisher stärkste Leistung auf Platte. Der Sopran besticht sogleich im Auftritt, der Arie „O placido il mare“, welche die Bilder von Meer und Sturm nutzt, mit Koloraturgirlanden von unglaublicher Geläufigkeit und halsbrecherischem Tempo sowie virtuos getupften staccati. In ihrer ersten Arie des 2. Aktes, „Mi lagnerò tacendo“, betört sie mit noblem Ton und feinen portamenti. „Se il caro figlio“ zu Beginn des 3. Aktes ist ein Showstopper, in welchem sie geradezu auf den Noten tanzt, trillert und jubiliert. Und um diesen virtuosen Exzess noch zu krönen, gibt es für sie vor dem Schlusschor noch eine spektakuläre Einlagearie aus Grauns Britannico, die in ihrer bravourösen Bewältigung eine mirakulöse Dimension annimmt.
Wie schon bei Alessandro steht erneut George Petrou am Pult der Armonia Atenea und sorgt von der Sinfonia an für ein betont straffes und lebendiges Musizieren, das aber auch die lyrisch-kontemplativen Momente in kantabel ausschwingendem Klang berücksichtigt. Die Aufnahme, reich ausgestattet mit zwei Booklets (Text und Einführung), ist nichts weniger als eine Sensation und sei jedem Barockfreund dringend empfohlen.
Bernd Hoppe
Johann Adolf Hasse: Siroe re di Persia (Cencic, Lezhneva, Fagioli, Nesi, Sancho, Snouffer; Armonia Atenea, George Petrou) 2 CD Decca 478 6768,