La voce del melodramma

Ebenso wie über die Callas, die Schwarzkopf oder die Gencer ist über die unvergleichliche  und kürzlich (am 8. September 2014) verstorbene Magda Olivero absolut alles gesagt. Sie ist die letzte Zeugin einer langen und aufregenden Epoche, sie wurde vom Komponisten Cilea selbst (angeblich) aus ihrer Zurückgezogenheit wieder ins Bühnenleben zurückgeholt und premierte sein bedeutendstes Werk, die Adriana Lecouvreur. Ihre Verkörperung der Titelpartie geriet zu einem Monument, zu einer überzeitlichen Darstellung mit der die Olivero immer wieder und vielleicht auch zu ihrem Leidwesen identifiziert wurde. Ähnlich wie bei der Callas gehen einem bestimmte Phrasen und Wendungen nicht aus dem Ohr, wenn man sie einmal gehört hat. Der herrliche Monolog und der unglaublich raffinierte Übergang in den Gesang im ersten Akt, die „Poveri fiori“ natürlich, aber auch das kraftvolle Duett mit der Principessa di Bouillon und das „vile“ bei der darauffolgenden Konfrontation. Das sind Bühnen- und Interpretationsmomente, wie es sie heute nicht mehr gibt, entstammen sie doch einer Vorkriegszeit, in der es große Bühnen-Persönlichkeiten gab, die der Musik nicht nur dienten sondern sie auch nach-schufen.

Sicher, man mag – wie ich – sich an den übertriebenen Glottis stören. Und ich muss gestehen, dass ich mir die Olivero in der Erinnerung bewahrt und kaum noch in den letzten Jahren gehört habe. Diese für heutige Ohren sehr expressive Art des Singens, das für unsere modernen Ohren ungewohnte Bibbern in der Stimme (kein Tremolo, sondern gespannte Kraft und eben Eigenart der Stimme), das Schluchzen und Aufschreien als Teil einer fast schon manischen, melodrammatischen Form des Ausdrucks – all dies macht die Olivero historischer als andere Kolleginnen/-en aus ihrer Zeit.

Magda Olivero: die berühmte und oft veröffentlichte "Adriana Lecouvreur", hier in Neapel mit den Traumkollegen Corelli und Simionato/gallerpassion4art

Magda Olivero: die berühmte und oft veröffentlichte „Adriana Lecouvreur“, hier in Neapel mit den Traumkollegen Corelli und Simionato/gallerpassion4art

Aber welche interpretatorische Kraft! Testament hat in bester BBC-Qualität den Mitschnitt eines Gastspiels der Oper von Neapel beim Edinburgh-Festival 1963 herausgebracht, auf der die Olivero einmal mehr ihre Paradepartie singt – gestaltet, schreit, schluchzt, bibbert, haucht – und über die Maßen eindrucksvoll ist. Sie durchmisst die Partie der Adriana wie einen großen, prunkvollen Salon, in dem sie alle Gegenstände kennt und liebevoll berührt. Sie ist in der Partie zu Hause und durchlebt sie wie keine andere Sängerin die ich kenne, auch die von mir in solchen Rollen geliebte Scotto nicht, zumal sie über viel mehr Stimme verfügt als ihre jüngere Kollegin. Und sie gibt uns einmal mehr einen faszinierenden Einblick in die Welt des Verismo, als deren „umile“ Vertreterin sie kenntnisreich vor uns tritt.

Magda Olovero: Adriana Lecouvreur/OBA

Magda Olivero: Adriana Lecouvreur/OBA

Neben dieser monumentalen Persönlichkeit haben es die anderen nicht leicht. Adriana Lazzarini war eine gestandene B-Kraft in Neapel und den anderen Provinzhäusern, und sie bedeckt sich ebenfalls mit Ruhm, denn ihre Principessa spricht von bester Opernroutine, von einer gesunden, brustigen Mezzostimme und von dem nötigen Aplomb in den entscheidenden Momenten (namentlich „Acerba volutta“). Juan Oncina bleibt da als Maurizio ein bisschen schmalbrüstig und auf der Strecke (außerdem meckert er…; ach ja Corelli auf der berühmten neapolitanischen Aufnahme 1959 bei Hardy und anderen). Sesto Bruscantini, den man im allgemeinen nur als Buffo in Erinnerung hat, gibt einen liebevollen, sympatischen und ebenfalls vielschichtigen Charakter als Michonnet ab, der Diva absolut ebenbürtig in seiner großen stimmlichen Darstellungkunst. Der Rest ist beste Comprimario-Ware aus Italien: Piero De Palma (natürlich), Enrico Campi, Anna di Stasio (natürlich) und viele mehr, die für die nötige Italianità unter Oliviero de Fabritiis am Pult von Chor und Orchester aus Neapel sorgen – was für ein tolles, lehrreiches Dokument (SBT2 1501 mit einem Interview mit der Olivero von 1963/Opera).

Geerd Heinsen

  1. dieter

    Großartige Huldigung. Die übertriebenen „glotti“ hatten Gencer und Caballé auch. Allerdings fehlte der letzteren jede interpretatorische Kraft und eine grottenschlechte Darstellerin war sie auch.

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  2. Hans van Verseveld

    Am 6 november 1965 war ich dabei in Amsterdam als die Olivero Adriana Lecouvreur sang im Concergebouw und seitdem bin ich verloren. Alles was Sie in Amsterdam sang habe gehört und gesehen. Die grosse Diva anschauen war einee extra Dimension und wirklich unvergesslich.
    Fünf Adriana’s habe ich auf CD und nun kommt als Weihnachtsgeschenk die Edinburgher noch dabei.
    Die Olivero hat uns lang, ja sehr lang eine grosse Freude besorgt. Grazie Magda!

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