Wer gern Lieder hört, dürfte Florian Boesch schon oft begegnet sein – ob im Konzertsaal oder auf Tonträgern. Er baut sein Repertoire beständig aus. Seine neueste CD ist bei Linn Records herausgekommen (CKD 511). Sie enthält den Liederkreis op. 93 und die Lieder und Gesänge aus Wilhelm Meister von Robert Schumann sowie die Lieder eines fahrenden Gesellen von Gustav Mahler, begleitet von Malcolm Martineau, der ungewohnte rhythmische Akzente zu setzen weiß. Für einen, der sich so intensiv dem Liedgesang verschrieben hat wie der Bariton Boesch, sind diese Zyklen unverzichtbar – auch wenn sie im Übermaß eingespielt und dargeboten wurden und werden. Er will und muss sie singen. In einem Interview mit dem Österreichischen „Standard“ hatte er einmal gesagt, das Wort sei der Bedeutungsträger im Lied. Immer folge der Klang dem Inhalt. Davon lässt er sich auch bei seiner neue Einspielung leiten. Voraussetzung dafür ist seine gute Diktion. Er ist immer zu verstehen. Nicht eine Wendung, nicht ein Gedanke gehen unter. Die Dichtung kommt zu ihrem Recht, was ein Segen ist. Mit Eichendorff und Goethe hat Schumann literarische Vorlagen von Rang. Boesch kostet die Worte aus. Manchmal werden sie allerdings zu übermächtig, zu selbständig. Dann wird die Musik zur Untermalung. Was sie nicht ist. Musik will vertiefen und erhöhen. Dramatische Ausbrüche sind seine Sache nicht. Boeschs Stärken sind die lyrischen, nachdenklichen und leise Töne. Man hört, dass er sehr gut Singen gelernt hat. Er kommt aus einem musikalischen Haus. Als Kind spielte er Cello. Sein Vater Christian ist Sänger, seine Großmutter Ruthilde sang noch unter Furtwängler in Salzburg.
Die Stärken von Florian Boesch sind die Schwächen seines amerikanischen Bass-Kollegen Jared Schwartz, der sich bei Toccata Classics auf Lieder von Franz Liszt geworfen hat (TOCC 0441). Schwartz besuchte neben anderen Ausbildungsstätten die renommierte Eastman School of Music, komponiert nebenbei und ist auch außerhalb der Klassikszene unterwegs. Regelmäßig tritt er mit der Pianistin Mary Dibbern auf, die als Musikdirektorin für Bildung und Familienprogramme an der Dallas Opera wirkt. Sie begleitet ihn auch auf seiner CD. Er tut sich sehr schwer mit Liszt. Vor allem mit den deutsch gesungenen Titeln, die mit sieben von zwölf in der Mehrzahl sind. Liszt, der Weltbürger, hat mehrsprachig komponiert – auch in Französisch, Italienisch und Englisch. Schwartz verhebt sich, er presst manche Passagen regelrecht heraus und stolpert über die Buchstaben. Liszts berühmtestes Lied „O lieb, so lange du lieben kannst“ ist nicht wiederzuerkennen. Schon der Einstieg in die CD mit „Weimars Volkslied“ ist verstörend und lässt einen ratlos zurück. Es ist auf einen Text von Peter Cornelius komponiert, dessen Oper Der Barbier von Bagdad Liszt in Weimar uraufgeführt hatte. Diesmal erweist es sich als Gnade, dass fast nichts zu verstehen ist, von dieser Hymne auf die fürstlichen Arbeitgeber. Da „weht ein Hauch“ von der „Wartburg Zinnen nieder“, leben nahe dem „Throne großer Dichter Erzgestalten“, brechen „Lebensblumen“ aus „geweihter Gräber Spalten“ hervor – alles zum Ruhme von Weimars edlem Fürstenhaus, das Gott erhalten möge. Die mit Ilm, Saale und deutschen Gauen verzierte Heimatlyrik erfährt im letzten Lied, „Weimars Toten“, diesmal nach Franz von Schober, gar noch eine zweite Auflage: „Müß’ge Trauer sei vernichtet / Frisch das Aug’ empor gerichtet!“ Solche Stücke sind wenig dazu angetan, für Liszt als Liedkomponisten zu werben. Obwohl sehr tüchtig in diesem Genre, hat er sich damit nie richtig durchsetzen können. Nachhaltige Anstöße konnte nicht einmal Dietrich Fischer-Dieskau geben, der Anfang der 1980er Jahre bei der Grammophon vier Langspielplatten mit Liszt besang, die bisher nicht auf CD vorliegen. Es blieb bei dem Versuch.
„Meister Oluf, der Schmied von Helgoland, verlässt den Ambos um Mitternacht.“ Mit diesen Worten beginnt Carl Loewes Ballade Odins Meeresritt. Der Bassbariton David Jerusalem hat sie an den Beginn seiner CD In Erlkönigs Reich gesetzt, die bei hänssler Classic erschienen ist (HC 17012). Besser konnte der Einstieg nicht gewählt sein. Raumgreifend zieht der Sänger seine Hörer in den Bann. Sie geraten ohne Umschweife in diese wundersame Welt, wo der feurige Rappe durch die Lüfte schießt, die alten Weiden so grau scheinen, ein Zwerg seine Königin im tiefen Wasser versenkt und Elfen auf grünem Strand tanzen. Balladen erzählen Geschichten, unheimliche und spannende Geschichten, sie stecken voller Symbole, Topoi und historischer Anspielungen. Als Relikte des Bildungsbürgertums sind sie aus der Mode gekommen. Umso erfreulicher ist es, dass sich ein junger Sänger, Jahrgang 1985, in aller Öffentlichkeit auf diese anstrengende Bildungsreise begibt. Und wieder Lust auf Balladen macht.
Jerusalem hat das Zeug dazu, denn er weiß, wovon er singt. Er huscht nicht über die wortreichen Strecken hinweg. Er lotet und kostet sie aus. In seinem Vortrag bleibt nichts offen. Dafür braucht es die Gabe verständlichen Singens, für die ein Sänger in der Übung bleiben muss. Jerusalem ist gut zu verstehen. Aus seinem Mund ließen sich die literarischen Vorlagen mitschreiben. Ein Vorzug, der nicht hoch genug zu schätzen ist. Daran hat der Pianist Eric Schneider hörbaren Anteil, weil er sehr sangesfreudige Tempi anschlägt und inhaltsbezogene Akzente setzt. Der umfassend gebildete Schneider ist ein Enkel des Schriftstellers Albrecht Schaeffer und hat zweitweise selbst Schauspielunterricht genommen. Er und Jerusalem sind ein perfektes Team für die gemeinsame CD mit Balladen von Carl Loewe und Franz Schubert. Mit dem Erlkönig gibt es sogar einen unmittelbaren Berührungspunkt zwischen den Komponisten. Beide Versionen sind vergleichend im Angebot. Und das ist gut so. Loewe muss sich nicht hinter Schubert verstecken. Für Schubert aber muss nicht gestritten werden. Für Loewe schon. Sein Platz in der Musikgeschichte ist ihm noch nicht sicher. Er ist aber im Kommen. In die große cpo-Edition mit allen Liedern und Balladen hatten sich seinerzeit viele jüngere Sänger eingebracht. Und die Internationale Carl Loewe Gesellschaft mit Sitz in Löbejün, der Geburtsstadt des Komponisten, arbeitet wirkungsmächtig an der Verbreitung seines Schaffens und Ruhms. Kein Zweifel, die neue CD wird in diesem Kreis aus Fachleuten und engagierten Musikfreunden viel Aufmerksamkeit finden. Zumal sich Jerusalem nicht scheute, neben Meisterstücken wie Tom der Reimer und Herr Oluf auch die gern verspottete Uhr ins Programm genommen zu haben, die in seiner frischen Interpretation ihre Betulichkeit verliert.
Jerusalem hat sich ein eigenes Timbre mit Wiederkennungswert erarbeitet. Seine Stimme wirkt sehr belastbar. Flexibel kann er zwischen dramatischen und lyrischen Passagen wechseln. Mittellage und Tiefe sind stabil und fest. Der Aufstieg zur Höhe könnte noch eleganter und freier klingen. Wer in Loewes Archibald Douglas nach einem Text von Theodor Fontane über mehr als zwölf Minuten die Spannung hält, hat die Feuerprobe als Balladensänger bestanden. Es wäre erfreulich, würde dieses Genre in seiner Karriereplanung einen festen Platz behalten. Bisherige Stationen werden im Booklet aufgezählt: Kammeroper München, Konzerte mit dem von Karl Richter begründeten Bach-Chor und der Academy St. Martin in the Fields, Madrid, Niederlande, Deutsche Oper am Rhein, deren festes Mitglied er ist. Dort sang er Sarastro, Figaro, Masetto und Sparafucile. Einen nicht unwesentlichen biographischen Hinweis sucht man vergeblich im Begleitheft der CD. David ist der Sohn von Siegfried Jerusalem. Es ist nachzuvollziehen und nur zu verständlich, wenn ein aufstrebender Sänger als eigenständig wahrgenommen werden möchte und nicht als der Sohn eines sehr berühmten Vaters – auch wenn der nicht im gleichen Fach gesungen hat. Ich freue mich auf neue Aufnahmen.
Obwohl klassische Liederabende seltener geworden sind im alltäglichen Musikbetrieb, überraschen Firmen und Labels immer wieder mit entsprechenden Angeboten. Dabei ist es guter Brauch geworden, Liedprogramme unter ein bestimmtes Thema zu stellen. Der Bariton Rafael Fingerlos hat Stille und Nacht gewählt. Seine CD ist bei Oehms Classics herausgekommen (OC 1879). Mit knapp fünfundsechzig Minuten wurde die Kapazität nicht unnötig ausgereizt. Sechsundzwanzig Lieder sollten genügen, um die Aufnahmefähigkeit der Hörer nicht unnötig zu strapazieren. Die sollen ja nicht nur den einzelnen Liedern lauschen. Sie sind angehalten, bei jedem Titel den Bezug zum Thema herzustellen. Überraschend ist der Auftakt mit Das war der Tag der weißen Chrysanthemen von Robert Fürstenthal. Der wurde 1920 in Wien geboren, musste vor den Nationalsozialisten fliehen und betätigte sich in den USA als Wirtschafsprüfer, wie die Wiener Zeitung berichtet. „Die Kompositionen entstanden nebenher, ausschließlich Kammermusik und Lieder. Er komponierte für seine Jugendliebe. Nach der Trennung von ihr schrieb er keine Note mehr, als er sie wiedertraf, kehrte seine Inspiration zurück.“ Fürstenthal starb 2016. Fingerlos hatte ihm bereits eine ganze CD gewidmet, die Anfang des Jahres bei Toccata Classics herausgekommen ist. Sein Stil ist traditionell und erinnert am ehesten an Hugo Wolf und Richard Strauss, der auf der CD mit drei Liedern vertreten ist. Spürt ein Säger Nacht und Stille nach, dann sind Franz Schubert, Johannes Brahms und Robert Schumann nicht weit. Erfreulich ist, dass auch Peter Cornelius berücksichtigt wurde. Sein reiches Liedschaffen führt noch immer ein Schattendasein, aus dem es langsam herausfindet. Nicht zuletzt durch eine beispielhafte Edition seiner sämtlichen Lieder bei Naxos. Rudolf Polsterer (1879-1945), Österreicher wie sein Interpret, dürfte mit dem eingängigen Lied Die Zeit steht still seine Tonträgerpremiere haben. Es muss Fingerlos ein Bedürfnis sein, sich mit der Programmauswahl zu seiner Heimat bekennen zu wollen. Wer ihm auf Facebook einen Besuch abstattet, wird dafür viele persönliche Belege in Form von Fotos, Nachrichten und Erinnerungen finden – und auch auf diesen Satz stoßen: „Es gibt kaum was Schöneres, als Lieder singen, besonders mit einem großartigen Freund und Klavierpartner wie Sascha El Mouissi.“ Der begleitet auch auf der neuen CD, hoch sensibel und einfühlsam. Die Stimme klingt reifer, voller und voluminöser als es das Foto des jungen Mannes auf dem Cover im zeitgemäßen Schwarz-Weiß erwarten lässt. Gründlich hat er am Text gearbeitet. In jedem Moment ist er sich der Notwendigkeit bewusst, pointiert und deutlich zu singen. Das sind allerbeste Voraussetzungen für eine Karriere, in der Lieder nicht zu kurz kommen sollen. Für einen Sänger, der am Anfang steht, ist Rafael Fingerlos schon gut im Geschäft. Ins Fernsehen kam er als spielfreudiger Moralès in der Carmen aus Bregenz. An der Wiener Staatsoper, der er inzwischen angehört, ist der 31jährige mit Dr. Falke in der Fledermaus, dem Harlekin in Ariadne auf Naxos und dem Figaro im Barbier von Sevilla erfolgreich gestartet.
Franz Schuberts Schwanengesang findet sich bei aktuellen CD-Produktionen gern erweitert und umgestellt. Damit wird die Abfolge der letzten Lieder Schuberts in dem posthumen Zyklus, der auf den Verleger Tobias Haslinger zurückgeht, ganz bewusst in Frage gestellt. Jetzt hat der Bariton Roman Trekel bei Oehms Classics gemeinsam mit den Pianisten Oliver Pohl sein eigenes Konzept vorgelegt (OC 463). Begonnen wird mit dem Lied Schwanengesang, das Schubert im Herbst 1822 komponierte. Es folgen An den Mond (1815), Der Wanderer an den Mond (1826), Totengräbers Heimweh (1825) und Meeres Stille (1815). Dann setzen die nachträglich als Schwanengesang bekannt gewordenen Lieder ein, allerdings nicht in der überlieferten Reihenfolge. Dazwischen ist das Lied Herbst (1828) geklemmt. Dem Sänger und seinem Pianisten lag daran, die Lieder thematisch neu zu ordnen, wie im Booklet betont wird. Die Stimme Trekels ist dunkler und schwerer geworden. Auch geheimnisvoller. Ich fühle mich gelegentlich an Hans Hotter erinnert, der seinen gewaltigen Heldenbariton beim Liedvortrag stark zurücknehmen konnte, um ihn an passender Stelle voller Grimm wieder aufzudrehen. Das kann auch Trekel. Es scheint, als sinne er singend über die Lieder nach. Das hat großer Wirkung. Mit dieser CD dürfte er nach meinem Urteil eine seiner besten Aufnahmen vorgelegt haben.
Der Tenor Ilker Arcayürek wurde in Istanbul geboren. Wann, ist nirgends zu lesen. Nicht wenige junge Sänger haben es sich angewöhnt, den Jahrgang einfach zu übergehen, als sei das nicht vom Belang. Dabei haben sie das nicht nötig. Sie müssen sich nicht jünger machen. Sie sind es. Anhand der Daten über Debüts und erste Engagements lässt sich erahnen, in welcher Lebensphase sich jemand bewegt. Viel älter als dreißig dürfte Arcayürek nicht sein. Aufgewachsen ist er in Wien, wo angehende Sänger sozusagen an der Quelle sitzen. Erste Erfahrungen sammelte er beim Knabenchor der Stadt und als Mitglied des Arnold Schönberg Chores. Studiert hat er bei dem 1942 geborenen Wiener Tenor Sead Buljubasic, der aus Bosnien stammt und neben der Italienischen, französischen und slawischen Oper auch den Liedgesang pflegte. Seit 2015 ist Arcayürek Ensemblemitglied an Staatstheater Nürnberg. Auftritte hatte er auch am Salzburger Landestheater, in Zürich, im Concertgebouw Amsterdam und in Luzern. Er singt Rodolfo, Don Ottavio, Ferrando, Tamino, Nadir und den Alfred in der Fledermaus. In der Dresdner Keuzkirche machte er als Evangelist in Bachs Matthäuspassion von sich Reden. Am Teatro Real in Madrid ist er als Claudio in Wagners Liebesverbot aufgetreten, wovon es auch eine DVD bei Opus Arte gibt (OA BD7213 D). Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen gab er bei einer konzertanten Aufführung von Donizettis Lucrezia Borgia den Vitellozzo. Kritiker rühmen seinen hellen, strahlenden Tenor, stellen seine Natürlichkeit heraus, seinen geschulten Umgang mit dem Wort und lassen auch sein gutes Ansehen nicht unerwähnt. Diesem Urteil schließe ich mich gern an. Jetzt hat Ilker Arcayürek seine erste Lieder-CD vorgelegt. Sie ist bei Champs Hill Records London erschienen (CHRCD133), wo auch schon andere junge Sänger, die sich mit Liedern erproben wollen, großzügige Starthilfe auf Tonträgern bekamen. Einer von ihnen war der deutsche Bariton Benjamin Appl, den inzwischen Sony unter Vertrag genommen hat.
Die neue CD heißt Franz Schubert: Der Einsame. Dafür gibt es im Werk des Komponisten reichlich Stoff und Anhaltpunkte. Es ist erfreulich, dass junge Sänger keinerlei Scheu haben, offen mit ihren Gefühlen umzugehen und das auch mit ihren Programmen deutlich machen. Sie suchen in Werken, zu denen sie sich hingezogen fühlen, den Bezug zum eigenen Leben, zu ihren Träumen, Hoffnungen oder auch der eigenen Einsamkeit, der sie mit Hilfe der Kunst auf den Grund kommen wollen. Sie verschließen das eigenen Ich nicht vor der Öffentlichkeit, geben preis, was die Generation vor ihnen noch verschloss und mit Kunst sublimierte. Macht sich die Wirkung von Social Media auch auf diese Weise bemerkbar? Wenn ja, wäre das nicht schlechteste Erfahrung unserer Zeit. Arcayürek: „Franz Schuberts Musik und auch die Einsamkeit begleiten mich seit meiner Kindheit. Einsamkeit kann aus meiner Sicht durch viele Begebenheiten entstehen – durch Liebeskummer, einen Verlust, aber auch durch Umzug in ein neues Land.“ Die Vielfalt in Schuberts Gefühlswelt und seiner Musik hätten ihn „schon früh in ihren Bann gezogen“. Und weiter schreibt er in seinem Text über die Aufnahmen der Lieder: „Die Einsamkeit auszufüllen gelingt mir besonders gut, wenn ich selbst musiziere.“ „Frühlingsgaube“, „Schäfers Klagelied“, „Der Schiffer“, „Drei Gesänge des Harfners“, „Nacht und Träume“, „An den Mond“, „Wandrers Nachtlied“ II sind – den Harfner dreifach gezählt – neun Titel von insgesamt dreiundzwanzig. Für zehn Minuten wäre noch Platz gewesen auf der CD. Warum aber einen Gedanken auswalzen. Bei der Programmauswahl wird also größtenteils auf Bewährtes zurückgegriffen. Das ist dem Sänger insofern hoch anzurechnen, weil er den Vergleich mit der übermächtigen Konkurrenz nicht scheut. Muss er auch nicht. Was gehen ihn Fischer-Dieskau, Prey oder Wunderlich an? Ich bin fest davon überzeugt, dass er die Kollegen, die den Jahren nach seine Großväter hätten sein können, gut studiert hat. Wenn er etwas von ihnen lernte, dann sein starkes Bemühen, die Texte deutlich herüberzubringen. Ohne diesen Genauigkeitsfanatismus braucht ein Liedsänger gar nicht erst ins Studio oder vor das Publikum zu gehen. Arcayürek, der – wie sein Kollegen David Jerusalem und Rafael Fingerlos – gar nicht so jung klingt wie er aussieht, ist noch nicht am Ende seiner stimmlichen Möglichkeiten. Er hat einen schier endlosen Atem. Bestimmte Phasen kommen viel stärker zur Geltung, wenn sie nicht unterbrochen werden müssen, um Luft zu holen. Gleich im zweiten Lied, dem „Nachtstück“ bringt er diese Fähigkeit wunderbar zur Geltung. Die Stimme fließt ruhig dahin. Er weiß, was Legato ist. Rüdiger Winter