Die Sängerin Maria Croonen hatte sich bis zum Ende ihres langen Lebens ewige Jugend bewahrt wie kaum eine andere. Wer ihre Aufnahmen hört – und ich höre sie immer wieder gern – wird keinen Alterungsprozess, wie er für einen lyrischen Sopran nur zu natürlich wäre, ausmachen können. Ihr leicht geführtes Organ leuchtet unangefochten. Die Gesangslinie ist perfekt. Man versteht jedes Wort. Hier und da würde ich mir etwas mehr Leidenschaft gewünscht haben. Offenbar lag ihr das nicht. Die Croonen – und das ist ihre unangefochtene Stärke – entwickelte Dramatik durch Intensität und Natürlichkeit des Tons. Wohl auch deshalb sind ihr nach meinem Eindruck die eher introvertierten Figuren auf der Opernbühne wie Dvoráks Rusalka, Tschaikowskis Tatjana oder Bizets Micaela so hervorragend gelungen und haben ihr das ungeteilte Lob der Kritik eingebracht.
So wie sie es machte, könnten diese Rollen heute noch gesungen werden. Maria Croonen, die 1953 nach kurzen Stationen in Meißen und Halberstadt ihr erstes Engagement am Opernhaus Leipzig antrat, ist in gewisser Weise zeitlos. Der Operndirigent Heinz Fricke, der sie sehr förderte, lobte ihre „hohe Intelligenz“ und vermerkte zu Recht, dass „niemals der äußere Effekt in den Vordergrund trat“. Von ihrem „künstlerischen Ernst“ zeigte sich Kurt Masur, mit dem sie viel zusammenarbeitete, beeindruckt. Und den Komponisten Rudolf Wagner-Regeny, in dessen Oper Die Bürger von Calais Maria Croonen aufgetreten ist, überzeugten vor allem die Tiefe und Wahrhaftigkeit ihre Gestaltung. Eine Rundfunkproduktion kam bei Myto heraus. In seinem Amt als Intendant des Leipziger Opernhauses beglückwünschte der Komponist Udo Zimmermann die Croonen zu ihrem 75. Geburtstag mit den Worten: „Alte Opernfreunde erinnern sich noch an den schimmernden Glanz einer begnadeten Stimme, deren heller Silberton den dunklen, satten Klang des Gewandhausorchesters überstrahlte. Wer, wenn nicht Sie, konnte sich damals wagen, einer Elfride Trötschel die Rusalka nachzusingen und daneben zu bestehen!“ Recht hatte er.
Das Wirken der am 20. Juli 1925 geborene Sängerin blieb im wesentlichen auf die sächsische Metropole beschränkt, wo sie 1966 ihre Bühnenlaufbahn beendete und fortan ausschließlich als Musikpädagogin in Erscheinung trat. Mit einem ihrer Schüler, dem Bariton Frank-Peter Späthe, war sie verheiratet. Der Semperoper in Dresden und der Staatsoper in Ostberlin, wo auch Kammersänger Späthe seine großen Erfolge hatte, war die gebürtige Rheinländerin durch Gastverträge verbunden, Gastspiele führten sie in viele Länder. Der Bau der Berliner Mauer 1961 und die daraus resultierende extrem verhärtete Kulturpolitik der DDR verhinderten den Ausbau der internationalen Karriere. Dem Ruf westdeutscher Bühnen durfte sie nicht Folge leisten. Trotz alledem ist sie im ganzen Land und weit darüber hinaus bekannt geworden – und bekannt geblieben. Wer beispielsweise im Internet nach Maria Croonen sucht, wird reichlich fündig. Gleich auf mehreren Seiten wird sie als Partnerin von Ernst Gruber herausgestellt. Mit dem Heldentenor singt sie in einer beim Label Ponto veröffentlichten Edition das Liebesduett aus dem ersten Akt von Verdis Othello und ist neben Gruber die Agathe im Finale von Webers Freischütz. Auf dem Markt ist zur Zeit auch die deutsch gesungene Leipziger Carmen (Berlin Classics) mit ihr als Micaela. Ungeahnte Schätze lagern hingegen im Rundfunkarchiv, darunter der komplette Freischütz. Nicht weniger als 31 komplette Opern beziehungsweise Operetten hat sie allein in Leipzig eingespielt. Hinzu kommen an die hundert Einzelaufnahmen.
Am 10. November 2021 ist Maria Croonen nach langer Krankheit gestorben, erfahren wir von Christiane Croonen, deren Patentante die Sängerin war. Rüdiger Winter