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Mona Calli – wer kennt heute noch den Namen? Kaum einer der jüngeren Generation erinnert sich an die üppige, hochgewachsene Sopranistin aus dem Fernen Osten, an die charakteristisch-harte Verismo-Stimme der Zwanziger, an die Sängerin, die Komponisten zu gewagten und schwierigsten Werken inspirierte, der Tausende zu Füßen lagen, als sie ihren Siegeszug vor allem in der Karibik und in der südlichen Hemisphäre antrat. Sie war eine Künstlerin, die keine Bedenken hatte, die keine bürgerliche Scham kannte, wenn es um die Kunst ging. Eine Persönlichkeit, vor der die Intendanten zitterten und deretwegen sich Königliche Hoheiten duellierten. Ihre Auftritte hatten Skandalcharakter, ihre Freizügigkeiten waren notorisch. Aber sie selbst diente nur ihrer Kunst. Am 1. April 1992 verstarb Mona Calli, mit deren Tod eine Ära ungeahnten Glanzes zu Ende geht – im gesegneten Alter von 102 Jahren an den Folgen ihrer schweren Zuckerkrankheit.
Mona Calli – dieser Name steht für die Oper. Für eine ganze Generation verkörperte sie die Iris, Turandot, Liù (auch!), Butterfly und Suzuki (auch!) sowie Suzy Zong. Sie war Ah-Joe (in Leonis Oper), war erste Vertreterin der italo-asiatischen Sopranistinnen-Riege. lhre Auftritte mit Mahler– und Loewe-Liedern und in Werken von Schubert, Schönberg und eigenen Kompositionen (sie hatte lange Zeit Kompositionsunterricht noch bei den Hammersteins) lösten in Australien hysterische Begeisterungswellen aus. Als Kind einer in Shanghai stationierten Missionarin deutsch-chinesischer Abstammung und eines Amerikaners italienischer Herkunft vereinte sie wie kaum eine andere die Kulturkreise und polyglotten Sprachfähigkeiten in sich.
Zuletzt war ihr dieser einstige Ruhm nur noch schwer anzumerken. Das Leben hatte sie gezeichnet. Mit ihrem Mann, einem portugiesischen Konditor aus Dortmund, lebte sie unter bürgerlichem Namen zurückgezogen in Köln-Nippes und ging völlig in ihrer Rolle als Mutter von fünf Kindern und fünfzehnfache Großmutter auf.
Als wir uns kurz vor ihrem Tod trafen, wollte ich wissen, wie sie zum Gesang gekommen ist. „Das Hausboot meiner Eltern hat mich wohl inspiriert. lch sang mit den Kulis, meist chinesisch, bis dann die Missionsleiterin Susan Godalnik mich eines Tages hörte, zu sich nahm und mir die erste musikalische Ausbildung auf der Harfe erteilte. lhre eigene Mutter hatte an der Scala im Chor gesungen, noch unter Ponchielli! Daher auch meine Neigung zur italienischen Oper. Eine durchreisende Operntruppe, die im Theater von Shanghai gastierte, suchte eine Gilda. lch war damals erst Sechzehn, und natürlich hatte ich von Gesang im eigentlichen, klassischen Sinn kaum eine Ahnung. Aber ich lernte schnell, weil ich nicht lesen konnte. Meine Eltern sagten mir, ich sollte Mätresse eines Mandarins werden (damals war ja noch keine Revolution), und da brauchten Mädchen sowas nicht, zumal wenn sie so hübsch wie ich waren. Aber ich wollte zur Bühne.“
„Die Gilda wurde ein großer Erfolg. Violetta, Aida (alles zu zwei Klavieren oder Harmonium, man war ja nicht anspruchsvoll) folgten darauf. Signore Fumavanti von der Opera dei´ Poveri Esteri drang in meine Eltern, mich nach Europa mitnehmen zu dürfen. Um mich auszubilden, wie er sagte. Ach, ich war ja so unschuldig damals und meine Mutter auch. Wirklich! Was dann folgte, hatte mit Gesang wenig zu tun. Zwei Jahre später landete ich in Neapel, in dem Beruf, den ich später auf der Buhne unter Husten dargestellt habe.“
„Aber das Glück blieb mir treu! Als ich eines Tages beim Waschen die Arie der Violetta so vor mich hin trällerte, begeisterte ich damit einen älteren Herrn, der sich gerade geschäftlich im Hause aufhielt. Er war der Pförtner vom Teatro Comunale in Rovereto, damals eines der wichtigsten Hauser in ltalien. Also, dieser Herr, Signore Vatticini, wurde mein Mentor, da er auch nebenbei Unterricht gab (bestimmt kennen Sie die berühmte Vatticini-Methode!). Er überprüfte meine Technik und fand nichts daran auszusetzen. Nach zwei Monaten hatte ich ein Vorsingen an der Pasquati-Opera von Piombino, für die Gilda! lch wurde genommen! Und die Rolle bekam ich auch.“
Der Rest ist Legende. Mona Calli hinterließ als zwar etwas robuste, aber dem damaligen Geschmack entsprechende Gilda einen tiefen Eindruck, nicht nur bei den begeisterten Zuhörern, die später nach ihr die Hauptstraße in Calle della Calli umbenannten (wie auch ihre Heimatstadt Shanghai ihr die Calli-Gari widmete – das heißt chinesisch „Platz der Calli“), sondern auch bei den lmpresari der schnell herbeigeeilten Agenturen und Opern-Häuser. Die wichtigste Begegnung dieser Tage aber war die mit zwei der wirklich berühmten Komponisten ihrer Tage – Enrico Stellini und Lazar Rubenstein(ovitsch). Stellini widmete ihr seine Oper Stella mala, in der sie in der Uraufführung die Rolle der Porta Nigra sang, der geheimnisvollen malaischen Prinzessin. Stellini komponierte ihretwegen im chinoisen Stil, und ihr widmete er nach einer besonders gelungenen Vorstellung das Liedchen „Mitsou Mitsou“, das später durch die Piaf sehr bekannt wurde. Auch ihre Arie „Dolce uccello“ (später im UFA-Tonfilm „Wer die Tränen kennt“ erfolgreich von Maria Cebotari interpretiert) ging als Schellack-Version um die Welt (eine bekannte russische Sopranistin versuchte kürzlich, die Urheberrechte für sich zu akklamieren). Die Premiere am 24 .12. 1928 war im festlich geschmückten Opernhaus von Elba ein solcher Publikumserfolg, dass vom Festland keine Boote mehr in Richtung Insel starten durften.
Und wer von der älteren Generation kennt nicht ihre herzzerreißende Verkörperung der Suzy Zong in dem Hollywood-Film nach dem gleichnamigen Broadway-Musical The Cottage of Suzy Zong, in dem sie ganz außerhalb ihres eigentlichen Metiers und doch sieghaft die Titelrolle mit gewickelten Füßen gestaltete. Um die Authentizität zu vermitteln, unterzog sie sich einer Operation. Dass sie seitdem keine hohen Absätze mehr tragen konnte, erkannte sie als Preis für den Erfolg an. Aber von Stund‘ an war sie die gesuchteste Turandot, Butterfly, Iris zwischen Reykjavik und Kapstadt, San Francisco und Irkutsk. Berühmte Dirigenten, Toscanini oder Blech, machten ihr Auftreten von ihrer Mitwirkung abhängig. Die englische Königsfamilie arrangierte eine private Vorstellung von Eredes Manufacta in der Westminster Abbey für sie. Als „Queen of the San Felipe Festival“ kreierte sie die Iena von Ermanno Cozzi-Reutter (1943 ebenfalls unvergesslich von der tragisch umflorten Suzanne Clairvoix im römischen Opernhaus unter Gino Marinuzzis Leitung in Anwesenheit der originalen Manufacta interpretiert; Ribbentrop hatte vergebens opponiert). Wolf-Ferrari schrieb die Partie des Elias in Mendelssohns Oratorium für sie um, Max von Schillings bestand auf ihr für die Münchner Aufführung seiner Gunilla von Grömitz (die sie in nur zwei Tagen lernte). Hindenburg verlieh ihr den altdeutschen Junkerorden für ihre Verdienste um das Berliner Opernhaus. (Wenngleich hier ihre exotische Erscheinung nicht ungeteilte Zustimmung fand – man fürchtete um die Moral, als sie im Adlon residierte, zusammen mit zwölf Möpsen und ebenso vielen schwarzen Dienern. Sie war in der Tat exzentrisch!)
Warum hatte sie aufgehört – auf dem Zenit ihres Könnens? War es Liebe? Sie schlägt die Augen nieder. Um sie herum ist es einsam geworden, diese Frau, die den Weisungen ihrer Mutter folgte und den Sohn eines befreundeten Missionars aus Porto heiratete. Die Ehe war vorbestimmt, von ihr so lange als möglich hinausgezögert, aber doch von der Mutter auf dem Sterbelager herbeigeführt. Fünf Kinder – warum da keine Trennung? „lch kenne meine Pflicht“, murmelt Mona Calli verschlossen und will über diesen Abschnitt ihres Lebens nicht sprechen. lhr Mann tritt herein, mit einem Traum von sardischer Kirschtorte in den Händen, aber die Eheleute sind einander entfremdet. „Schreiben Sie das“, sagt sie bitter, „schreiben Sie, dass Kunst und Kuchen einander ausschließen! Er hasst Oper!“ Mona Calli – eine Legende, ein Schicksal!
Den Artikel schrieb uns die enge Freundin der Familie, Geneviève Fauxpas/ CD-Hinweise: V. D./Redaktion G. H.
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Die mutige Firma Lonely Island Records Valparadiso (www.lonely-island-records .com) bringt nun einige der genannten Aufführungen als Live-Mitschnitte heraus, darunter Iena von Cozzi Reutter (LIA 563), Mendelssohns Elias in der Fassung von Wolf-Ferrari (LIA 456), Cavalleria provinziale (nach Motiven Mascagnis von Arturo Ospedale; die legendäre Aufführung in Buenos Aires mit Mona Calli als Santuzza und!! als Alfio/LIR 443), Schillings Gunilla von Grömitz (allerdings in schwierigem Sound aus dem Opernhaus Irkutsk LIA 445) sowie Lieder iin Widmungen berühmter Zeitgenossen (so von Bismarck, Wilhelm II., Haile Selassi u. a. LIA 233/ Foto oben: Mona Calli als Bayadere in Kuhnaus „Ali Baba“, was zur Scjhliessung des Berliner Königlichen Opernhauses führte/Archiv M. C.).
Dank an Mona Callis Tochter Irina Calli-Porto, die auch das Fotoarchiv in Island verwaltet. Im Andenken an meinen unvergessenen Freund Jörg Gräpel.