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Durch Zufall fiel ich bei Durchsuchung von youtube über den alten Portatore d´Aqua/ I due Giuornate Cherrubinis. Und die markanteste Stimme in dieser streng historischen, zudem in Italienisch gesungenen, entzückenden RAI-Aufnahme aus den Fünfzigern war die von Paolo Silveri, einem von mir schon immer geliebten Bariton jener Jahre. Grund also für einen Rückblick auf ihn und auf Verfügbares mit ihm.
Bei Warner/Cetra sind (neben Naxos und Bongiovanni) Wiederauflagen mit dem italienischen und heute vergessenen Bariton Paolo Silveri erschienen, so der spannende Simon Boccanegra und auch der gebieterische Nabucco, Don Carlo oder eine Tosca, Arlesiana, Favorita, ehemals von Opernsammlern meiner Generation in der Fabbri-Serie am italienischen Kiosk (in Mailand, gleich neben der Scala) erstanden, wohin man pilgerte, um diese wunderbaren Opernausgaben mit den bunten Beiheften plus LPs/ später CDs zu erwerben. Alles damals für uns eine terra incognita, von der man in Deutschland nicht einmal Kenntnis hatte. Cetra-Aufnahmen wurden so gut wie nie zu uns importiert, wenngleich man sehr gelegentlich diese wie auch die eher im kleinen Berliner-Grenzverkehr verfügbaren Russenkästen nach Leim riechenden Originalausgaben ergatterte – ich erinnere mich an die Norma mit der Cigna oder an eine Paisiello-Nina mit buntem Bild und grünem Leim-Einband, mörderisch teuer, in der Zeit, als ich bei Bote & Bock im Berliner Europacenter LPs/ CDs verkaufte.
Überhaupt müssten wir mal einen Artikel über die Freuden des alten LP-/CD-Marktes machen, auf dem es im Ausland sehr viel mehr gab als im kargen westlichen Deutschland, weit vor den grauen Firmen wie Melodram, Arcadia oder Myto. Wer erinnert sich noch an LPs der Firmen Morgan (mein erster Callas-Macbeth), BJR (toll ausgestattet) oder LR; MRF? Die meisten ersten Live-Aufnahmen kamen aus den USA. Die Brüder Gonzales hatten sogar Mikrophone in den Met-Panelen installiert, die bei Wartungsarbeiten entdeckt wurden.
In Italien gab es die zum Beispiel wunderbare alte Monteverdi-Popea unter Ewerhart (ehemals Vox), auch eine italienische Zauberflöte mit der Jurinac oder eine Turandot mit der Grob-Prandl (ehemals Remington) ebenso wie Übernahmen aus dem tschechischen Programm, so eine Bohéme mit dem betörenden Bariton Gianni Maffeo (Bohème), auch Aufnahmen mit der bezaubernden Margherita Rinaldi (Lucia oder Idomeneo neben Leyla Gencer), Adriana Guerrini (Gioconda-Querschnitt), Margherita Guglielmi (Lucia); geistliche Musik von Angelicum Mailand mit Petre Munteanu, Wanda Madonna oder Adriana Lazzerini. Und und und ….
Anders als heute im gleichgeschalteten Europa boten die Ricordi-Shops oder die Schallplattenläden in Bologna (damals schon Bongiovanni), Pesaro, Martina Franca (lange Jahre ein Grund zur Anreise), San Marino oder Rom Ungeahntes, Nationales. Eben LPs von kleineren Firmen, die die cisalpinen Nordländer nicht erreichten. Heute steht überall das Gleiche, Langweiliges, fast nur noch all zu bekannte DVDs. Damals waren die nationalen Märkte (vor allem auch Großbritanien) lohnende Ausflugsziele zum Stöbern (niemand wird die schmutzigen Keller mit dem zerrissenen Pappkartons voller LPs in der Londoner Duke Street vergessen, natürlich auch kein Transatlantik-Reisender den Sesam-Laden von Sam Goodies oder Tower Records in New York und San Francisco… oder die Cut-out-Lager ebendort) Ach ja, che tempi passati.
Zurück zu Paolo Silveri, meinem Italo-Bass-Bariton-Schwarm. Denn von seiner Stimme bin ich seit meinen Studententagen besessen, seit ich während meiner Tätigkeiten als Sprachcoach (u. a. Zauberflöte mit Kiri Ke Tanawa bei starker Resistenz gegen deutsche Rachenlaute wie in ich und Nacht) an der Santa Fé Sommeroper bei Freunden diese vom Material her hochverdächtigen LPs der Cetra- US–Tochter Everest kennenlernte – LPs in den weiß-goldenen Boxen, meist leicht gewellt, extrem schlecht gepresst (ganze Baumstämme ruinierten die Nadeln), mit krude getipptem Beiheft versehen. Das Repertoire umfasste neben der Mödl-Elektra weitgehend die Cetra-Serie der italienischen Rundfunk-Opern-Gesamtaufnahmen, namentlich die Verdi-Einspielungen von 1951 zum 50. Todestag des Komponisten. Sie gehörten zu meinen ersten eigenen Schätzen, haben sie doch meinen Musikgeschmack prägend italienisch gesungen und waren eben so wohlfeil, dass ich sie mir leisten konnte und schwerbepackt mit nach Hause schleppte (Übergewicht war damals noch teurer als heute). Auf mein Drängen importierte sie danach das Electrola-Musik-Haus auf dem Berliner Ku-Damm, wenn auch irre teurer. Dort walteten Herr von Malottky und sein „Bekannter“ Herr Teppich (mit Toupée), beide liebevoll uns Jungen zugewandt., sodass man ganze Opern an der Kopfhörerbar durchhören konnte, ohne sie kaufen zu müssen (sogar den ganzen Pelleas mit der De los Angeles auf Odyssee, eine Leistung). Was für Erinnerungen!
Paolo Silveri gehört zum eisernen Bestand der Verdi-Renaissance in Italien, und seine männliche, unverkennbar virile, körnige und hoch-individuelle Baritonstimme mit ihrer dunklen Färbung und auch etwas nasaler Tongebung in der leicht erreichten Höhe machte mich einfach „an“, bis heute. Es ist ja mit dem ersten Hören immer so eine Sache. Man ist von ersten Erfahrungen besonders geprägt. Und Silveris Doge Simon Boccanegra (neben dem gerade in Tenorfach gewechselte Bergonzi und der ganz jungen Stella) hat eben dieses gewisse Etwas, das mir unter die Haut geht: die Noblesse, die animalische Direktheit, das Pathos, die Menschlichkeit – später für mich mit der Wirkung Ingvar Wixells vergleichbar. Silveri besitzt nicht die Eleganz eines Bastianini oder den infamen Gestaltungswillen eines Gobbi. Angesichts der Weltkarrieren seiner Mitbewerber wie eben Gobbi, Bastiani, Panerai und anderer, später der vielen Amerikaner, sind seine weltweiten Auftritte umso erstaunlicher. Er singt – wie viele seiner Kollegen aus jenen Jahren – unverstellt und mit weniger Raffinement, dafür mit jenem „Herz“, jenem direkten Engagement, das sich bei Catarina Mancini, Maria Vitale, Giacinto Prandelli, Mirto Picchi aber auch bei Anita Cerquetti oder Gino Penno und so vielen anderen italienischen Stimmen der Zeit findet: eine unverstellte Leidenschaft und eine Wahrheit des Ausdrucks.
Die immense Kraft und unter die Haut gehende Virilität dieser nachdrücklichen Stimme sind nicht eben üppig, aber doch ausreichend dokumentiert. Der Simon Boccanegra mit der ganz jungen Antonietta Stella und dem nicht minder jugendlichen Carlo Bergonzi in einer seiner ersten Partien beim Rundfunk wurde bereits erwähnt. Auf Cetras Don Carlo mit Maria Caniglia ist er der Posa. Einige weitere Gesamtaufnahmen wie die Arlesiana und andere gibt es auch dort (alle Warner inzwischen, die sehr früh die Cetra aufkaufte). Bei Melodram-LP fand man den Trovatore mit Callas, Silveri und Lauri Volpi sowie heute bei Warner live die Callas- Alceste, auf der Silveri den Gran Sacerdote gibt. Beim Falstaff de Sabatas (Warner, Nuova Era u. a.) ist er als Ford zu hören. In einer Carmen mit Rise Stevens unter Fritz Reiner macht er den Escamillo (m. W. nur bei ehemals Cetra Opera Live als LP). Nur als LP hatte Cetra Opera Live eine Tosca mit ihm und der unterrepräsentierten Guerrini. Die abenteuerlicher Favorita von 1952 (Film der RAI bei Hardy, youtube) sollte man sich beim Ferienaufenthalt gönnen; es spielt neben Silveri eine gewisse Sofia Lazzaro, die sich als die später berühmte Loren herausstellt (was für ein Busen im machtvollen BH), dazu singen Palmira Vitali Marini und Piero Sardelli. Der Cetra-Nabucco stand am Kiosk in der Serie von Fabbri Editori (und hat die fulminante Catarina Mancini als Partnerin) und ist bei Warner herausgekommen. Melodram, Mailand, verfügte noch über das Doppel-LP-Album mit Auszügen aus Silveris Schaffen, darunter sein Boris, Otello und Don Giovanni – alles live. Die absolut wahnsinnige erste Gioconda-Aufnahme der Callas bei Cetra (von 1952, ebenfalls Warner, besser bei Naxos) hat ihn als maßstabsetzenden Barnaba (leider auch Gianni Poggi als Enzo). Seine RAI-Favorita mit Simionato und Poggi ist ebenfalls bei Warner. Bongiovanni, die Tüchtigen, haben ihm ein-zwei Recital-CDs gewidmet. Ein Tauschfreund schenkte mir seinen Macbeth live aus Montevideo, aus Dublin (wo er Künstlerischer Direktor war) gibt es einen Otello, an der Met, London und andernorts sang Silveri erfolgreich den Don Giovanni (in New York neben der Welitsch). Youtube hat vieles von ihm. Und Kenner fahnden nach dem EMI-Recital von 1953, das im Wesentlichen die genannten Partien, aber auch den machtvollen Posa, den Re de Lahore und vor allem seinen bewegenden Gugliemo Tell enthält. Bewegend: Das ist vielleicht die beste Beschreibung für die Wirkung dieser schönen Stimme. Geerd Heinsen
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Dazu ein Auszug zu Paolo Silveri aus dem tapferen Wikipedia: Paolo Silveri (* 28. Dezember 1913 in Ofena; † 3. Juli 2001 in Rom) war ein italienischer Opernsänger (Bariton) und Gesangspädagoge. Silveri begann seine Gesangsausbildung bei Don Diego, einem Franziskaner aus Capestrano und ging dann nach Rom, wo er bei Luigi Perugini studierte. 1933 wurde er zum Militärdienst einberufen. Wegen einer Verwundung entlassen, setzte er seine Ausbildung bei Perugini fort und studierte an der Accademia di Santa Cecilia bei Riccardo Stracciari. 1939 debütierte er halbprofessionell am Teatro dell’Opera di Roma als „Hans Schwarz“ in Die Meistersinger von Nürnberg. Mit Unterstützung von Nazzareno De Angelis konnte er seine Ausbildung an der Accademia di Santa Cecilia fortsetzen. Auf Anraten von Beniamino Gigli wechselte er 1943 vom Bass- zum Baritonfach und debütierte im Folgejahr am Teatro dell’Opera als „Germont“ in La traviata.
In den Folgejahren trat er vor allem in Theatern Süditaliens in Opern wie Il trovatore, Rigoletto, Der Barbier von Sevilla, La Wally, Tosca und Pagliacci auf. Mit dem Ensemble des Teatro San Carlo in Neapel gastierte er 1946 an der Covent Garden Opera, wo er im Folgejahr in der ersten englischsprachigen Aufführung von Rigoletto auftrat. Am Teatro alla Scala debütierte er 1949 als Vertretung für den erkrankten Gino Bechi in Il Trovatore. Er gehörte dem Ensemble der Oper bis 1955 an und spielte u. a. in Faust, I puritani, Otello, Carmen, Andrea Chénier und Lucia di Lammermoor.
An der New Yorker Metropolitan Opera debütierte Silveri 1950 unter der Leitung von Fritz Reiner als Don Giovanni und hatte so großen Erfolg, dass er einen Vertrag für die folgenden drei Saisons erhielt. 1959 sang er in Dublin mit Otello zum einzigen Mal eine Tenorrolle. Neben seinen Bühnenauftritten sang Silveri mehrere Gesamtaufnahmen von Opern auf Schallplatte, darunter La traviata, Don Carlo, Nabucco, Simone Boccanegra, L’Arlésienne, Tosca und La Gioconda (mit Maria Callas). 1967 zog er sich von der Opernbühne zurück und unterrichtete dann an der Accademia di Santa Cecilia in Rom und an der Royal Academy of Music in London. Quelle Wikipedia