Margarete Klose

 

Margarete Klose – von 1930 bis 1960 weltweit eine der gefragtesten und bedeutendsten Sängerinnnen im dramatischen Alt- und Mezzofach – hat ihren unbestreitbaren Weltruhm nie benutzt, um sich in den Mittelpunkt zu stellen. So verwundert es nicht, dass sie, die an der Berliner Staatsoper, in Bayreuth sowie weltweit an Häusern wie der Scala, der Staatsoper Wien, der Covent Garden Opera London, dem Teatro Colon in Buenos Aires und an vielen anderen deutschen und internationalen Bühnen ein unauslöschliches Stück Operngeschichte mitgeschrieben hat, nur noch den „Spezialisten“ unter den Opernfreunden in Erinnerung ist. Bedenklicher erscheint es schon, wenn ein Kompendium über die Sängereliten des 20. Jahrhunderts wie Kestings „Die großen Sänger“ Margarete Klose nur in einer Namensaufzählung erwähnt. Das Richtige hat dagegen wohl der Tenor Rudolf Schock, der oft mit ihr gemeinsam auf der Bühne stand, in seiner Biographie getroffen, wenn er sie in fairer Kollegialität eine Jahrhundertstimme nennt. (…)

Margarete Klose hat sich als Berlinerin ihrer Geburtsstadt stets auf besondere Weise verbunden gefühlt. Sie stammt aus dem mittelständischen Milieu einer Fleischerfamilie, die für die musikbegeisterte Tochter den Blick auf eine solide bürgerliche Berufsausbildung nicht aus den Augen verlor und ihr zunächst eine kaufmännische Ausbildung nicht ersparte. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Sie ließ ihre schöne, samtweiche Stimme bei Franz Marschalk am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium ausbilden und startete bereits 1927 als 25jährige ihre Bühnenlaufbahn am Stadttheater Ulm, von dem aus ein Jahr später Herbert von Karajan seinen Weg in die Weltkarriere als Chorleiter beginnen sollte.

Aber da war auf die junge, ehrgeizige Sängerin bereits das Nationaltheater Mannheim aufmerksam geworden, in dem zu jener Zeit sporadisch Dirigenten wie Furtwängler, Kleiber und Pfitzner ans Pult traten. Schnell wurde erkannt, welches außergewöhnliche Talent hier im dramatischen Altfach heranwuchs. Bereits 1929 wurde sie zu den Wagnerfestspielen nach Paris eingeladen und konnte hier besonders als Waltraute erste Triumphe feiern. Wien und Hamburg machten ihr verlockende Angebote. Aber als Berlinerin entschied sie sich dafür, 1931 in ihrer Heimatstadt an die Staatsoper Unter den Linden zu gehen, der sie erst bis 1949 ununterbrochen angehörte. Hier, wo sie mit ihren Idolen aus dem Sopranfach Frida Leider und Maria Müller gemeinsam auf der Bühne stehen sollte, sang sie zunächst unter Furtwängler in der Uraufführung von Pfitzners Oper Das Herz. Ihre Gestaltung von Glucks Orpheus beeindruckte in derselben Saison den Gastdirigenten Thomas Beecham so sehr, dass er alles daran setzte, die junge Frau für seine im nächsten Jahr an der Covent Garden in London vorgesehene Produktion der Oper zu gewinnen. In seiner Begeisterung für die Klose er sie in der für Pauline Viardot  geschriebenen französischen Version der Berlioz-Bearbeitung einsetzen wollte. Aber Tietjen, der Generalintendant der Preußischen Bühnen, zog glücklicherweise die Notbremse und erhob dagegen berechtigte künstlerische Einwände, denen sie klugerweise folgte. Und bereits hier zeigt sich ein Zug der Sängerin, den sie zeitlebens beibehalten sollte – sie vertraute stets dem Rat kompetenter Autoritäten.

Natürlich ließ Beecham auch später nicht locker und konnte die von ihm Hochgeschätzte endlich 1937 als Brangäne in London als Gast in zwei historisch gewordenen Aufführungen präsentieren (Live-Mitschnitt bei EMI). Die Aufzeichnung dieser Aufführung und der ersten Premiere des Tristan nach dem 2. Weltkrieg mit der Staatskapelle unter Furtwängler am 3. 10. 1947 im Admiralspalast, von der leider nur der 2. und 3. Akt erhalten geblieben sind (Fonit Cetra),  zeigt eine frappierende Ausnahmestimme, die ans Herz greift. Hier wird deutlich, weshalb die Brangäne der Klose als unübertroffen galt. Die Sängerin präsentiert hier in berückendem Ton wirklich eine junge Frau, die vokal mit grenzenlosem Farbreichtum und einer brillanten Diktion den inneren Gehalt jeder Sekunde leidenschaftlich widerspiegelt.

Aber die Stimme der Klose hatte noch mehr, was sie aus heutiger Sicht einzigartig macht. Die Premieren der 30jährigen im Jahre 1932 an der Staatsoper können dies ein wenig verdeutlichen. Sie war unter Furtwängler als Klytämnestra in Elektra, als Adriano im Rienzi unter Blech und unter Kleiber erstmals als Ortrud angesetzt. Die Künstlerin war einfach ein Stimmphänomen, das die hoch angelegten Mezzopartien  wie die Ortrud und später die Brangäne neben der tiefen Klytämnestra und sogar der Erda singen konnte, ohne dass ihre Stimme Schaden nahm. Dies ermöglichte ihr ein Rollenspektrum, das von der Fricka, der Waltraute, der Eboli, der Amneris, der Maddalena, der Carmen, dem Orpheus, der Klytämnestra in Glucks lphigenie in Aulis bis zur Azucena und Ulrica reichte und die Küsterin in Jenufa zu einer ihrer Glanzpartien machte. Das Geheimnis hierfür ist nicht allein die samtige Stimme, sondern die wunderbare Technik, mit der sie selbst die gewaltigsten vokalen Ausbrüche souverän meisterte. Ihre hohe Phrasierungskunst verband sich mit stupender Atemtechnik, die es ihr gestattete, gut abgestützt auf Linie zu singen und den Ton bis in die höchsten Regionen mit klangvoller Resonanz und Farbe zu versehen. Dies alles verband sich bei ihr mit einer hoch­ differenzierten darstellerischen Wandlungsfähigkeit, in der zum Beispiel ihre leider zu Unrecht vergessene Carmen eine seither kaum mehr überbotene Vielschichtigkeit erhielt. Regelmäßig hat die Altistin ihre Stimme kontrollieren lassen, zunächst durch ihren Ehemann, den Hofoperntenor Walther Bültemann, und nach dessen Tod durch den Heldentenor Hans Grahl, der auch Elfriede Trötschel, Günther Treptow und den für mich unvergessenen Ernst Krukowski betreute.

Der Berliner Riesenerfolg der Ortrud veranlasste Tietjen, der zugleich auch die Zügel in Bayreuth in der Hand hatte, sie in dieser Partie 1936 mit sensationellem Erfolg ans dortige Festspielhaus zu verpflichten, wo sie bis 1942 auch als Brangäne, Fricka, Erda, Waltraute und sogar als 1. Norn auftrat. 1935 hatte sie als Adriano in der wegen seiner Akustik berühmten Waldoper Zoppot reüssiert. Von 1941 bis Kriegsende gastierte sie ständig in Wien und war dort von 1949 bis 1955 Mitglied der Staatsoper.

Die Berliner Staatsoper, die nach dem 2. Weltkrieg wegen des zerstörten Hauses im Admiralspalast (Metropoltheater) eine Spielstätte gefunden hatte, blieb sie bis 1949 als Mitglied verbunden. Schweren Herzens sah sie sich nach der Spaltung Berlins als Westberlinerin veranlasst, dem im Ostteil liegenden Haus Adé zu sagen und wechselte an die Städtische Oper im Westteil. Dagegen gelang es Walter Felsenstein nach Gründung der Komischen Oper im Ostteil Berlins, sie bis 1960 immer wieder einmal als Gast zu verpflichten. Daneben gastierte die Sängerin in ihren Paraderollen in aller Welt, wobei sie erstmals in den USA (Los Angeles, San Francisco) und besonders häufig in Italien (Rom, Florenz, Palermo), aber auch wie­der in Paris auftrat.

Margarete Klose (r.) und Maria Müller in Glucks „Orpheus“ an der Berliner Staatsoper 1937/ auf dem Foto oben als Ortrud/ OBA

Im September 1955 wurde das wiederaufgebaute Gebäude der Staatsoper in Berlin erneut seiner Bestimmung übergeben. Erich Kleiber hatte zugesagt, erneut die Funktion des GMD zu übernehmen. Margarete Klose war aus alter Anhänglichkeit bereit, an ihr altes Haus zurückzukehren. Kleiber aber, der hier bereits von 1923 bis 1934 als GMD gewirkt hatte, sagte schließlich ab. Nun zögerte auch die Klose, die in Berlin so populär wie heute ein Popstar war, den Schritt zu vollziehen. Die seit langem  vom Markt verschwundene Tageszeitung Telegraf textete daraufhin im März 1955 auf der Titelseite: „Ganz ohne Kleiber geht die Chose nicht, ganz ohne Kleiber singt die Klose nicht“. Aber sie ist dann schließlich doch an ihr altes Haus zurückgekehrt, weil sie es als ihre künstlerische Heimat betrachtete. Mit dem Bau der Mauer verließ sie die geliebte Stätte und trat nur noch einige Male im Westteil der Stadt auf. Margarete Klose akzeptierte die Situation, wie sie nun eingetreten war. Sie begann zu unterrichten und übernahm später eine Professur am Mozarteum in Salzburg. Ich hatte sie schon einige Jahre vorher kennengelernt. Wenn sie nun von der Vergangenheit sprach, tat sie es immer wieder in tiefer Dankbarkeit. In Erinnerung  geblieben  ist mir der  Satz: „Es war eine wunderbare, große Zeit“.  Am 14. Dezember 1968 erlag sie in Berlin einem Schlaganfall.  Es gilt, eine wunderbare, große Menschendarstellerin nicht zu vergessen. Karl Klebe (Red. G. H.)

 

Margarete Klose/ Künstlerpostkarte/ Bach-Cantatas/Manfred Krugmann

Margarete Klose, die auf dem Berliner Friedhof am Olympiastadion begraben liegt, ist glücklicher Weise reich dokumentiert (ein Blick zu jpc oder Amazon zeigt manche Wiederauflagen, die website von cantabile-subito.de listet die meisten ihrer Dokumente auf). Ihr Orpheus ist sogar in Deutsch und Italienisch erhalten (was Historienkenner Heiko Cullmann in Frage stellt – ich meine aber, es gibt einen deutschsprachigen Orpheus von ihr, oder?), ihr Adriano und vor allem ihre Ortrud neben Franz Völker gehören zu meinen absoluten Lieblingsaufnahmen ebenso wie ihre Strauss´sche Klytämnestra, ihre Brangäne oder Waltraute. Auch für mich, der ich das Glück hatte, sie noch in ihren letzten Auftritten in West-Berlin zu erleben und dank Frida Leider auch kennen zu lernen, hat sich ihre wunderbare, unglaublich persönliche Stimme in die Erinnerung eingebrannt. Besonders – und gar nicht zentral in ihrem Spektrum – sind mir ihre Monteverdi- und Händel-Aufnahmen, aber auch die Brahms-Lieder. Schuberts „Du bist die Ruh“ oder von Strauss „Ruhe meine Seele“ haben auch heute noch zeitlose Gültigkeit. Dankenswerter Weise hatte die französische EMI in ihrer Edition Les Introuvables du Chant Wagnerien sie reichlich aufgeführt, eine weitere Electrola-LP „Das musikalische Selbstporträt“ lässt sie sogar mit ihrer tiefen Sprechstimme zu Worte kommen. Ihre deutsch gesungene Gräfin in der Pique Dame neben der Grümmer bleibt in Erinnerung. Aber auch das Heitere lag ihr: Ihre Lady Pamela im Frau Diavaolo ist ebenso komisch wie ihre Frau Reich oder die Baronin im Wildschütz. Lieder gab es auch auf der inzwischen verschwundenen Urania-LP geraubter Aufnahmen aus dem Reichsrundfunks Berlin, die in Teilen sich auf der Preiser LP/ CD wiederfinden. Aber vielleicht das beeindruckendste Dokument ist ihre Mitwirkung in der Furtwänglerschen Matthäuspassion 1950, die Archipel noch einmal in hervorragendem Klang veröffentlicht hatte. Die profunde Aussage, die tiefe Gläubigkeit in den Auftritten der Altpartie gehen mir wie die ihrer jüngeren Kollegin Marga Höffgen tränentreibend ans Herz. Was für eine Stimme. Geerd Heinsen

 

Zum Thema Orpheus mit der Klose schreibt unser Leser Carl Meffert: Zu der im Beitrag Nr. 8 genannten Aufnahme von Glucks „Orfeo ed Euridice“ kann ich mitteilen, dass es sich um eine Schallplattenaufnahme (in italienischer Sprache) für die ‚American Sound Corporation‘ in Belleville/New Jersey handelt, die lt. Beilageheft an einem einzigen Tag (2. 3. 1952) in Berlin entstand und unter dem Label ‚Urania‘ 1952 in den USA auf drei LPs veröffentlicht wurde.Dies ist m. W. auch die einzige Aufnahme, die eine eigene Sängerin – Fia Fleig von der Städtischen Oper Berlin – für die Rolle des ‚Seligen Geistes‘ im 2. Akt mit der Arie „Quest‘ asilo di placide calme“ einsetzt, was der hier eingespielten (französischen) Fassung von 1774 entspricht, wo Orpheus Eurydike erst am Ende des 2. Aktes sehen darf. Diese Praxis wurde bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts – hauptsächlich in Frankreich – beibehalten; z. B. sangen bei den Salzburger Festspielen 1948 unter Herbert von Karajan Maria Cebotari die ‚Eurydike‘ und Elisabeth Schwarzkopf den ‚Seligen Geist‘. Dass heutzutage beide Rollen von einer Sängerin gesungen werden, geschieht wohl den ‚Eurydike‘-Interpretinnen zuliebe, die nun noch eine zusätzliche Arie (ausser „Che fiero momento! Che barbara sorte!“ im 3. Akt) singen dürfen…Übrigens gab es 1955 einen deutsch gesungenen Querschnitt (LP / 30 cm) der ‚DGG‘ mit Margarete Klose, Anny Schlemm und Rita Streich, in dem ‚die‘ Schlemm die Arie des ‚Seligen Geistes‘ „Diese Auen sind seligem Frieden…“ singt; Artur Rother dirigierte den Chor des Bayerischen Rundfunks und drei verschiedene Orchester (Bamberger Symphoniker, Berliner Philharmoniker, Münchner Philharmoniker) – ich habe davon die Zweitpressung auf ‚Heliodor‘ von 1965. Von einer deutsch gesungenen Gesamtaufnahme mit Margarete Klose ist mir nichts bekannt. Carl Meffert

  1. Wagner

    Lieber Herr Meffert, es gibt von Margarethe Klose, die 1936 ihr Bayreuth-Debüt mit der Rolle der „Ortrud“ hatte, Gesamtaufnahmen: „Jenufa“ – Aufzeichnung im NWDR 1949. Deweitereren den 1, und zweiten Teil des „Lohngrien“ unter Rudolf Kempe (Konzertmitschnitt) und „Tristan und Isolde“ unter Hans Schmidt-Isserstett. Damit kommen Sie bestimmt auf Ihre Kosten!

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    1. Klaus Thiel

      Kleine Anmerkung zum Urania-ORFEO: Fia Fleig als Seliger Geist taucht kurioserweise nur in der CD-Edition der Urania-Aufnahme bei Preiser auf ! Wenn diese Sopranistin, die an der Städtischen Oper im Theater des Westens engagiert war und so wesentliche Partien wie die 1. Brautjungfer im FREISCHÜTZ sang, wirklich diese schöne Arie eingespielt hat, dann verfügte sie über die verblüffende Begabung, Erna Berger vollendet zu imitieren ! Natürlich singt die Berger selbst die Arie, es ist ganz unverkennbar. Keine namhafte Sopranistin hätte sich diese Arie, die in Deutschland leider stets im halben Tempo gesungen wurde, entgehen lassen – wenn der boshafte Karajan 1948 wirklich zwei verschiedene Sängerinnen einsetzte, dann wohl eher, weil er wusste, dass sich die beiden betreffenden Damen gerade lebhaft verfeindet hatten und kein Wort miteinander sprachen.

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  2. Kevin Clarke

    Ihre LOHENGRIN-Szenen mit Tiana Lemnitz sind das Wunderbarste, was ich kenne an Elsa/Ortrud-Aufnahmen. So schade, dass sie das nicht zusammen komplett eingespielt haben. Was mich immer wieder frappiert ist: wie eine solche Riesenstimme bei perfektem Legato in der Lage ist, jedes Wort superdeutlich zu singen. Während heutige Sänger_innen gern behaupten, das sei nicht möglich, wenn man Legato singen wolle. (So ein Quatsch.) Sie sollten alle zwangsverpflichtet werden, Klose, Lemnitz, Cebotari usw. zu hören (von Tebaldi & Co. mal ganz zu schweigen).

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