Erstmals seit 1867

 

Der Hund ist der beste Freund des Menschen. Auch Maïma hat solch einen guten Freund, dazu noch einen anderen, Saëd. Beide wurden ihr von Soldaten entführt. Nun klagt sie auf dem Markt von Lahore ihrer besten Freundin ihr Leid. Doch auch diese hat ihr Päckchen zu tragen, vermutet sie doch ihren Geliebten Xaïloum unter den Revoluzzern, die gerade den Gouverneur aus seinem Palast stürzten. Den zehnten innerhalb eines Jahres. Da wird es dem Großmogul zu bunt und er bestraft sein Volk, indem er ihm einen Hund vor die Nase setzt. Der Köter als Regent. Das Lahore hat natürlich nicht mit dem märchenhaft-exotischen Lahore zu tun, in dem 17 Jahre später Massenet seinen Roi de Lahore spielen ließ, sondern zielt auf Jacques Offenbachs Pariser Gegenwart von 1860.

Am Weihnachtsabend betrat er als gefeierter Komponist – zwei Jahre zuvor hatte Orphée aux enfers an seinem eigenen Theater Premieren – die Portale der Opéra Comique, durch deren Bühneneingang er rund ein Vierteljahrhundert zuvor als 14jähriger Teenie-Cellist gekommen war. Zusammen mit Eugène Scribe und Henri Boisseau hatte er sich eine Satire ausgedacht, bei der es nicht wundert, das die Zensur bei der Freigabe gezögert hatte. Das sittenlose Treiben der Götter wurde nochmals gesteigert: Ein Hund im Titel, ein Hund auf dem Thron, ein Hund als Retter von Lahore. Bakouf ou Le chien au pouvoir, also Bakouf oder Der Hund an der Macht, erlebte ein paar Aufführungen, verschwand dann von der Bildfläche, bis ihn Jean-Christophe Keck wieder aufspürte und ihn Mariame Clément an der Straßburger Rheinoper in seine Hundehütte setzte, neben der sich praktischerweise gleich ein Behälter für Hundekotbeutel befindet.

Natürlich bot Offenbach für sein Debüt an der Opéra Comique alles auf. Er ist feinsinnig und geschmackvoll, amüsant und witzig in den Couplets, Liedchen, Ariettes, die von gewitzten Ensembles umarmt und kleinen Duos durchsetzt werden, sentimental in den Romanzen der jungen Liebenden, manches klingt noch so verschämt wie bei seinem Vorgänger Hervé, anderes im flüssigen Gesangsparlando so raffiniert, dass noch zwei Generationen von Opéra-bouffe-Nachfolgern darauf aufbauen konnten. Vielleicht fehlt der letzte Kick, der grandiose Ranschmeißer, doch der dritte Akt mit den Verschwörern hat es in sich, das sind großformatige, aber leichthändig aufgeblätterte Ensembleszenen von virtuoser Vertracktheit und Kunstfertigkeit, wie auch der instrumental ausgeleuchte Orchestersatz, vor allem das Vorspiel zum dritten Akt. Jacques Lacombe und das Orchester aus Mulhouse spielen das, nach einer gewissen Anlaufzeit, mit der nötigen Beweglichkeit

Offenbachs „Barkouf“ an der Opéra du Rhin Strasbourg/ Szene/ Foto wie auch oben  Klara Beck

Natürlich findet Maïma ihren Hund wieder. Es ist just jener Barkouf, den der Großmogul als Strafe für das widerspenstige Volk als Gouverneur einsetzt. Allerdings hatte sich Bababeck, Inbegriff des fiesen, schleimigen Hofintriganten, ebenfalls Hoffnung auf den Posten gemacht. Nachdem der Eunuch fast von dem Hund zerfetzt wurde und Bababeck erkennt, dass Maïma ein Händchen für ihren wiedergefundenen Barkouf hat und dieser geradezu freudig auf sie reagiert, setzt er sie zur Dolmetscherin und Handlangerin ein, die seine eigenen Worte, mit denen er das Volk drangsalieren will, als Worte des Hundes und somit Befehle des neuen Gouverneurs ausgeben soll. Doch Maïma handelt eigenständig, lässt Milde walten, begnadigt die Aufständischen, darunter Xaïloum, worauf das Volk voll des Lobes auf Barkouf ist. Der Hund als der bessere Mensch. Am Ende bekommt auch Maïma ihren entführten Freund wieder, den schmucken Offizier Saëb, der eigentlich Bababecks schwer an den Mann zu bringende Tochter Périzade ehelichen soll. Als Napoleon III und Eugénie posieren Maïma und Saed vor der Hundehütte.

Bis sie allerdings in Offenbachs Gegenwart ankommt, legt Mariame Clément einen langen Weg zurück. Der Markt in Lahore spielt sich in einem jener tristen Jubelhallen ab, die es vermutlich von Weißrussland bis Nordkorea gibt, wo die Frauen in stramm sitzenden Röcken und Blusen und uniformem orange-weiß alles für den Empfang des Großmoguls vorbereiten, derweil Bababeck im Hinblick auf sein neues Junggesellendasein seine Macht auskostet. Zunächst verkündet das Staatsfernsehen vom „König der Könige, Stern der Sterne“ und vom Missgeschick des Gouverneurs. Der Großmogul macht böse Miene, zeigt sich aber auch ganz locker tänzelnd auf der Showtreppe im „Grand Mogul“. Clément führt das aber nicht weiter aus. Julia Hansens Bühne ist wieder großartig. Ein deprimierender Raum mit Holzverkleidung, umgeben von dichten Regalwänden, deren fünfzehn Reihen bis oben hin dicht gefüllt sind mit Akten, die den Menschen geradezu um die Ohren fliegen. Ein Amtsdiener wuselt hin und her. Mit seinen quietschenden Schuhen ein hübscher Pausenfüller. Clément hat viele hübsche Ideen, wozu auch die Verschwörer gehören, die Barkouf töten wollen, weil er Unrecht riechen kann, und sich für ihr umstürzlerischer Tun die Masken von Hollande, Sarkozy und Macron und ihrer Minister umhängen. Gelächter. Angesichts der Gewaltausschreitungen in Paris hätte man sich giftigere Pfeile vorstellen können. Welche Masken werden die Sänger wohl in Köln tragen, wohin die Produktion anlässlich der Feiern zu Offenbachs 200. Geburtstag wandert?

Offenbach verlangt nach singenden Schauspielern, parlierenden Komödianten und agilen Buffi. Große Operngesten sind verpönt. Selten versucht er sich an den virtuosen Mustern Rossinis oder Aubers, doch die Dressur-Arie der Maïma fordert einen glitzernd reschen Koloratursopran, wie er Pauline Texier zur Verfügung steht, die bereits wie eine Verbindung von Olympia und Antonia klingt. Auch ihr Saëb ist ein gestandener Amoroso, dessen lyrische Zurückhaltung Patrick Kabongo mit zarter Empfindsamkeit umgibt. Stefan Sbonnik ist der Revoluzzer Xaïloum, der mit süßem Klitzekleintenor sein Motto, wonach ihm der Sinne nach Zerstörung stehe, ins Lächerliche abbiegt. Rodolphe Briand als Bababeck, Nicolas Cavalier als Großmogul, Fleur Barron als Balkis und Anaïs Yvoz als Schnurrbart tragende Périzade kommen groß heraus an diesem Abend, mit dem die Opéra du Rhin in das Jahr von Offenbachs 200. Geburtstag gleitet (7. Dezember 2018) .   Rolf Fath