Fritz Wunderlich

 

Mehr als einhundertneunzigtausend Männer haben in Deutschland das neunzigste Lebensjahr und mehr erreicht. Fritz Wunderlich, geboren am 26. September 1930, könnte einer von ihnen sein, wäre er nicht am 17. September 1966 an den Folgen eines Unfalls zu Tode gekommen. Neun Tage vor seinem sechsunddreißigsten Geburtstag. Es fällt schwer, sich ihn hochbetagt vorzustellen. Durch die tragischen Umstände seines Todes ist ihm ewige Jugend gegeben. Er bleibt der Strahlemann, der niemals altert. Nicht stimmlich, nicht in seiner äußeren Erscheinung. Auf ihrem Höhepunkt ist seine einzigartige Begabung konserviert worden. Niemand kann sagen, wie sich seine Stimme weiterentwickelt hätte. Melomanen spekulieren gern. Die einen würden ihn am liebsten als Lohengrin, gar als Siegmund gesehen haben, wenigstens aber als Stolzing. Wagner gilt nach einer weit verbreiteten Auffassung immer noch als Ausdruck der höheren Weihen im Operngesang. Wunderlich hat – wenn auch nur in kleinen Rollen – zwei berühmte Plattenproduktionen geprägt – als Steuermann im Holländer und als Walther von der Vogelweide im Tannhäuser, beide bei der EMI/Electrola unter der Leitung von Franz Konwitschny eingespielt. Da es sich beim Tannhäuser um die so genannte Dresdener Fassung handelt, ist Walther sein betörendes Solo im Sängerkrieg vom Bronnen, den seines „Geistes Licht“ erschaute, geblieben. Den Steuermann sang er 1964 auch live im Münchner Nationaltheater. Karajan soll ihn sich als Froh für Rheingold gewünscht haben. Auch so eine Rolle, die von nur einer wirkungsmächtigen Szene lebt, nämlich von der Brücke, die zur Burg Walhall führt, „leicht doch fest eurem Fuß“.

Complete Studio Recordings on Deutsche Grammophon (4796438). Wie Karteikarten stecken die 32 CDs platzsparend in einer himmelblauen Schachtel, darauf der Sänger im Glanzfoto als Tamino.

So verlockend diese Träumereien auch sind, für die Beschäftigung mit Fritz Wunderlich gibt es hinreichend konkrete Anhaltpunkte in Form von Tondokumenten. Die Erinnerungen der Zeitzeugen, die ihn noch auf der Opernbühne oder auf dem Konzertpodium erlebt haben, verblassen. Jüngeren Generationen bleiben ohnehin nur die Platten. Bilden sie seine Kunst auch genau genug ab? Es ist ein Glück, dass seine Karriere mit dem Sieg der Stereophonie einherging. Auch die Mitschnitts- und Übertragungstechnik war so weit entwickelt, dass tatsächlich auch das bei den Menschen an den Radioapparaten oder am Fernseher ankam, was tatsächlich bei diversen Anlässen aufgeführt wurde. Und wenn es mal mit der Tonqualität haperte wie bei der 8. Sinfonie von Gustav Mahler von den Wiener Festwochen 1960, stellt sich ein ganz spezielles Phänomen ein. Wunderlich überwindet – wie hier als ideal besetzter Doctor Marianus – stimmlich Grenzen der Technik. Kunst trägt den Sieg davon: „Blicket auf zum Retterblick!“ Mit Wiederauflagen seiner Platten, mit Ausgrabungen seltener Tondokumente und immer neuen Zusammenstellungen, bleibt die Erinnerung an Wunderlich wach. In den letzten Jahren hatten vornehmlich Deutsche Grammophon, Warner, SWR Music und BR Klassik, die Labes der Rundfunkanstalten und das um historische Rundfunkdokumente bemühte Documents reichlich Nachschub geliefert und damit für Kontinuität gesorgt. Beim Surfen durchs Netz, beim Sortieren der eigenen Sammlung, in diversen Märkten oder in Bibliotheken – allenthalben trifft man auf Wunderlich wie auf einen Freund. Er macht es seinen Zuhörern leicht, indem er durch seine Art des Singens vermittelt, dass es nicht unbedingt zwingend nötig ist, Noten lesen zu können, um ihn zu verstehen. Er nimmt das Publikum mit, bleibt auf Augenhöhe mit ihm. Vielleicht ist er gerade deshalb auch bei denen so beliebt, die nicht viermal die Woche in die Oper gehen und keine großen Sammlungen ihr Eigen nennen. Wunderlich-CDs stecken schon mal in den Fächern der Schrankwände zwischen Peter Maffay, Caterina Valente und den Puhdys. Wunderlich, der Kumpel aus Kusel, wo er geboren ist und wohin er immer wieder gern zurückkehrte. Erst durch ihn habe ich von der Existenz dieser kleinen Stadt in der Pfalz mit gut fünftausend Einwohnern Kenntnis erlangt. Dort hat die Fritz-Wunderlich-Gesellschaft ihren Sitz und betreibt eine dem Sänger gewidmete Ausstellung im Heimatmuseum. Eine Straße trägt seinen Namen, und im Stadtpark steht seine Büste. Die enorme Popularität eines Sängers wie ihn braucht auch die Massen. Sie tragen die Stars nach oben – und nicht allein die gebildeten und bestens informierten Stimmenkenner.

Bronzebüste Fritz Wunderlichs von 1973 (Erich Koch fec) im Stadtpark seiner Geburtsstadt Kusel/ Foto: Wikipedia

Gewiss, Wunderlichs Name wird in der Musikgeschichte immer für Schubert, Schumann, Bach oder Mozart stehen. Letztlich aber hat er sich nicht immer eindeutig festgelegt. Wollte er frei sein? So frei, wie er mit diesem Hang zur Unbekümmertheit singt? Obwohl er mit zunehmender künstlerischer Reife sehr wohl kalkulierte und plante, kommt es mir immer so vor, als hätte er am liebsten gesungen, was ihm gerade unter die Finger kam. Oper, Oratorium, Lied, Operette, Schlager. Bis zum Schluss ist er in meinen Augen und Ohren der große Junge geblieben. Erst dieser Tage wanderte ich über einen Berliner Flohmarkt. Gleich am ersten Stand ragte eine Schallplatte mit krachbuntem Cover aus einer Kiste heraus. Jemand hatte sie wohl so auffällig drapiert, damit sie schon von weitem wie ein werbendes Transparent sichtbar werde. Wunderlichs Aufnahmen waren nicht für einen Moment vom Markt.

Es gibt auch Bücher und Filme. Die berühmte Münchner Produktion vom Barbier von Sevilla in strengem schwarzweiß kam Anfang der sechziger Jahre ins Fernsehen und erlangte Berühmtheit wie die Tagesschau. Die ganze Familie saß bei uns um den neuen Fernseher – und sie prägte für Jahre auch mein eigenes Rossini-Bild. Es brauchte lange, bis ich begriff, dass das nicht der echte Rossini war. Es war wunderlich‘scher Rossini. Auch Wunderlich-Aufnahmen können altern und werden im Einzelfall als zutiefst historische wahrgenommen, ohne dass sie vor sich hin knistern wie eine Caruso-Schelllack-Platte. Spätestens im Advent wird das Weihnachoratorium hervorgeholt, in Stereo unter Karl Richter von 1965. Kaum einer singt es so schön wie er. Und es könnte eben erst aufgenommen worden sein, so zeitlos kommt es nicht nur mir vor. Historisch informierte Aufführungspraxis hin oder her. Sein Alter hört man ihm nur deshalb an, weil heutzutage niemand mehr so singt wie er.

Eine der jüngsten Neuerscheinung mit Fritz Wunderlich: Gaetano Donizettis „Don Pasquale“ von 1962 aus dem Prinzregententheater in München. Erschienen ist der Mitschnitt bei Hänssler (PH19075).

Alphabetisch gesehen hat Wunderlich in Plattenregalen, die entsprechend geordnet sind, einen der hinteren Plätze. Hinter Wunderlich kommt nicht mehr viel. Windgassen ist da schon durch. Wittrisch auch. Seiner Bedeutung gemäß habe ich deshalb seine Aufnahmen zentraler platziert. Sozusagen außer der Reihen auf Augenhöhe. So, wie es ihm zusteht. Gehe ich daran vorbei, verlangt es mich, diese oder jene CD herauszunehmen. Die meisten sind schon am Rücken zu erkennen. Nicht zu übersehen sind die dreizehn Regal-Zentimeter Complete Studio Recordings on Deutsche Grammophon (4796438), die eine neue Auflage rechtfertigen würde. Wie Karteikarten stecken die 32 CDs platzsparend in einer himmelblauen Schachtel, darauf der Sänger im Glanzfoto als Tamino. Die Aufmachung macht viel her, zumal sich die einzelnen Alben in ihrer äußeren Erscheinung an den originalen Schallplattenhüllen orientieren. Nur beim Weihnachtsoratorium und bei L’Orfeo wurde gespart. Was wie die ersten Auflagen im Rahmen der eleganten Archiv Produktion der Grammophon aussehen soll, lässt eher an den Aufdruck einer Mehltüte im Supermarkt denken. Die drei echten Opernproduktionen mit dem Gelbetikett – Zauberflöte (Tamino), Entführung aus den Serail (Belmonte) und Wozzeck (Andres) sowie Beethovens Missa Solemnis und Haydns Schöpfung (nach Wunderlichs Tod mit Werner Krenn vollendet) – sehen tatsächlich so aus, als stünden sie noch als Kassetten im Schaufenster eines Plattenladens, den es so nicht mehr gibt. Sie gehören zum eisernen Bestand vieler Sammlungen und können immer noch mithalten mit den zahlreichen Einspielungen, die danach auf den Markt gelangten. Nur Orfeo ist ein durch und durch zeitgebundenes,  weil streng neu orchestriertes  Dokument. So wurde Claudio Monteverdi 1955 gespielt wurde – also meilenweit von dem entfernt, was heute als verbindlich gilt. Man wusste es nicht anders.

Lieder von Franz Schubert, Hugo Wolf, Richard Strauss und Stücke anderen Komponisten sind bei Electrola, nun Warner noch auf dem Markt (0190295928001).

Nach der EMI gönnte sich auch die Grammophon ihren Querschnitt durch die deutsche Spieloper Zar und Zimmermann, lässt Wunderlich als Marquis Chateauneuf seinem flandrisch Mädchen nochmals Lebewohl sagen. Ein weiterer Querschnitt, diesmal durch Verdis La Traviata, kommt als solcher viel zu spät. Während die Callas an der Scala in der opulenten Inszenierung von Luciano Visconti bereits in die Musikgeschichte eingegangen war, begab sich zehn Jahre später im gut fünf Autostunden von Mailand entfernten München Wunderlich mit einem deutschsprachigen Team aus Hilde Güden, Claudia Hellmann, Dietrich Fischer-Dieskau, Friedrich Lenz, und Karl-Christian Kohn ins Studio, um die Gläser „in vollen Zügen“ zu leeren. Mit dem ebenfalls deutsch gesungenen Onegin-Querschnitt (DG) wird nicht warm, wer das Werk im Original kennt. Schuberts Schöne Müllerin und Schumanns Dichterliebe sind zwei echte Grammophon-Klassiker.

Begleitet von Hubert Giesen hat der Liedersänger Wunderlich seine Begabung wie zu einem Konzentrat verdichtet. Mehr geht nicht. Er, Wunderlich, sei erst „sehr spät zum Lied gekommen“, zitiert Thomas Voigt in seinem wie stets höchst sachkundigen Booklet-Text den Sänger. „Aber nicht deshalb, weil ich vorher keine Beziehung dazu hatte, sondern weil ich wusste, dass ich nur dann Lieder singen kann, wenn ich meine Stimme dafür absolut beherrsche.“ Das sei die wichtigste Voraussetzung für das Lied. Die Winterreise, dieser Gipfel des Liedgesangs, kündigte sich an. In einem TV-Interview aus dem Jahr vor seinem Tod, welches erst kürzlich auf einem YouTube-Kanal auftauchte, ließ der Sänger durchblicken, dass er den Zyklus ausprobieren wolle. Erste Schritte im Genre war er schon früher gegangen. Bereits 1955 hat er – um nur zwei Beispiele von vielen zu nennen – wenigsten sechs Nummern aus dem Italienischen Liederbuch von Hugo Wolf und fünf Lieder von Johannes Brahms gesungen. Voigt selbst erwähnt die erste Schöne Müllerin von 1959, die er das „Dokument eines unbekümmerten Newcomers“ charakterisiert. Ja, das trifft es. Wunderlich klingt noch ungelenk, ziemlich hart, ist meilenweit von der Vollendung entfernt. Er ist mehr sein eigenes Versprechen, das er würde einhalten. Die ganze Bedeutung des Phänomens Wunderlich ist mir erst im Vergleich mit seinen ersten künstlerischen Versuchen aufgegangen. Ich kenne keinen anderen Sänger, dessen Aufstieg so lückenlos dokumentiert ist.

SWR Music hat gleich mehrere CDs mit Aufnahmen aus dem Archiv des Senders auf den Markt gebracht, darunter auch romantische Arien (SWR9032CD). Für das Remastering wurde großer Aufwand betrieben.

Übernahmen/Neuverwertungen: Warner geht mit den geerbten Electrola-Aufnahmen korrekt und archivarisch vorbildlich um. Fritz Wunderlich, die Tenor-Legende. Mit der so betitelten Box von 2016, die noch immer auf dem Markt ist, wird allerdings der Eindruck erweckt, als habe es EMI und Electrola, die dem Tenor neben der Deutschen Grammophon zu Ruhm und Ansehen verhalfen, nie gegeben (190295921545). Lediglich die Aufnahmedaten geben Aufschluss darüber, unter welchem Label die jeweiligen Titel erstmals an die Öffentlichkeit gelangt sind. Nicht genug. Ein Griff ins Regal, und die Neuerscheinung entpuppt sich als Eins-zu-Eins-Übernahme der EMI-Sammlung Great Moments of Fritz Wunderlich aus dem Jahr 2000. Noch immer lässt das rauschhafte Klangbild nichts zu wünschen übrig. Einem allgemeinen Trend folgend, packt Warner die drei CDs der Edition nun ebenfalls in Hüllen, mit denen optische Anleihen bei originalen Langspielplatten genommen werden. Dabei wird durchaus großzügig verfahren. Ein Foto, das Wunderlich in weißer Pinkerton-Uniform auf dem Cover des alten EMI-Querschnitts durch Puccinis Madame Butterfly zeigte, illustriert nun die Operetten-CD. Bedient werden außerdem die Genres Oper, Konzert und Lied. Gesondert produzierte Arien und Duette sind gemischt mit Auszügen aus den Gesamtaufnahmen und Querschnitten der EMI. Eingedampft auf zwei Nummern ist die Jagd-Kantate von Bach, in der Wunderlich vor dem Mikrophon mit Annelies Kupper zusammengetroffen ist. Schade, dass es wieder nur beim Ausschnitt bleibt. Das Werk hätte endlich eine vollständige Wiedergabe verdient.

BR Klassik griff bei seinem Album (900314) auch auf die Mitwirkung von Fritz Wunderlich bei den legendären Münchner Sonntagskonzerten zurück.

Sontagskonzerte und Radioaufnahmen: Mit seinem Eigenlabel BR Klassik ist auch das Münchner Rundfunkorchester an Fritz Wunderlich nicht vorbei gekommen (900314). Er hat in drei der sehr beliebten Sonntagkonzerte im Kongresssaal des Deutschen Museums in München mitgewirkt. Sie wurden von dem Orchester bestritten. Zwei davon sind auf der CD mit jeweils einem Titel berücksichtigt. Die Chateauneuf-Arie „Lebe wohl, mein flandrisch Mädchen“ von 1965 und der Robert-Stolz-Hit „Ob blond, ob braun, ich liebe alle Frau’n“ von 1966 sollen Wunderlichs „leichtere Seite seines Repertoires“ betonen, ist im Booklet zu lesen. Diesem Grundsatz folgt auch die übrige Auswahl, bei der sich Lortzing und Nicolai neben Fall, Millöcker, Lehár, Künneke, Spolansky und Willy Mattes wiederfinden. Nur die beiden Konzertauftritte sind live. Beim Hören fällt das auf. Der Sänger ist freier und lockerer als im Studio. Beim Stolz läuft der Vortrag auf den erwarteten Beifall hinaus. Im erhaltenen Mitschnitt der gesamten Veranstaltung tobt der Saal. Auf der CD ist dieser Teil erbarmungslos weggeschnitten. Alle Aufnahmen, heißt es, seien bisher unveröffentlicht gewesen. Das stimmt so nur eingeschränkt, weil sieben Nummer zuvor bereits bei The Intense Media/Membran auf CD in Umlauf gebracht wurden. Bei dieser Firma jagte nämlich über Jahre eine Wunderlich-Box die andere – wenngleich sich eine gesonderte über den oft muffigen Klang der radio-„geborgten“ Aufnahmen machen ließe. Auf vier Editionen mit jeweils zehn CDs und eine Zweierbox folgte vor nunmehr fünf Jahren der große Wurf, der alles in den Schatten stellt, was es dahin bisher gab: Fritz Wunderlich – Große Erfolge & Raritäten in einer 50 CD Collection (600271), die noch im Handel ist.

Diese CD aus der großen Edition der Deutschen Grammophon widmet sich der Liebe Wunderlich zu Wien.

Radio-Live-Mitschnitte: Um das Andenken an den beliebten Tenor wird seit Jahren gewetteifert. Neben den genannten Firmen mischen Hänssler, Sony, Audite und Arts mit. Hingegen saßen die Piraten Myto, Melodram oder Andromeda aus Rechtsschutz-Gründen am Katzentisch der Wettbewerber wie eine illegitime Verwandtschaft. Umso mehr wurden sie von Sammlern geliebt, weil sie die nicht ganz astreinen Raritäten oft zuerst hervorgeholt haben. Kaum einer wüsste mehr, wie eindringlich Wunderlich den Palestrina  von Pfitzner gesungen hat, wäre der Wiener Mitschnitt von 1964 nicht von Myto auf den Markt lanciert worden. Es scheint bizarr, warum eine Firma wie Orfeo sich nicht um diese so nach vorne blickende Aufnahme kümmerte. RCA hatte 2001 mit Szenen den Anfang einer offiziellen Aufarbeitung gemacht. Seither ist nichts mehr passiert. Selbst Intense Media/Membran machte in ihrer Zeit einen großen Bogen im diesen Monolith.

Aus den Frühtagen: Dafür gibt es dort immerhin Beethovens Christus am Ölberg vom Radio Hilversum (1957, Dank an Walter Knoeff!), Haydns Theresienmesse aus der Benediktiner-Abtei in Rohr (1962), Messias von Händel aus der Stuttgarter Liederhalle von 1959, Bachs h-Moll-Messe vom Deutschen Bachfest 1960 oder die Johannespassion aus der Freiburger Stadthalle (1958). Das „andere“ Weihnachtsoratorium wurde in etwas gekürzter Form 1955 in der Markuskirche in Stuttgart unter der Leitung von August Langenbeck mitgeschnitten. Intense Media neigte dazu, sich selbst Konkurrenz zu machen. Die Perlen sind allerdings geschickt verteilt. Das musste man den Herausgebern lassen. So fasst die dem Umfang nach einmalige Edition nicht nur bereits erschienen Produkte zusammen. Durch neue Mischungen ergibt sich erstens ein neues Bild, und zweitens liegt noch diese und jene Aufnahme, an die sich niemand mehr genau erinnern kann, oben drauf. Ich hätte wetten mögen, dass die Studentenlieder von Fritz Neumeyer (1900-1983) genauso exklusiv sind wie die Sieben Gesänge von Friedrich Zehm (1923-2007) aus dem Privatarchiv des Komponisten. Die Wette hätte ich verloren, denn der Neumeyer ist vor vielen Jahren in der bereits erwähnten Great-Moments-Box der EMI veröffentlich worden. Und nun bei Warner. Mir scheint, dass mit der Vergesslichkeit der Kunden durchaus gerechnet wird. So ist der Markt. Darf es eine Portion Wunderlich mehr sein? Es darf. Insofern haben jede Box und jedes Album ihren Eigenwert – und die Verehrer des Sängers kommen wohl nicht umhin, immer wieder zuzugreifen, weil sich erst peu à peu herausstellt, was schon vorhanden ist und was nicht. Rüdiger Winter 

 

Foto oben ist ein Ausschnitt des Booklet-Fotos der Complete Studio Recordings on Deutsche Grammophon (4796438). Es zeigt Fritz Wunderlich als Tamino in Mozarts „Zauberflöte“, der einer seiner zentralen Rollen gewesen ist. Die komplette Aufnahme der Oper unter der Leitung von Karl Böhm bei DG ist Bestandteil der großen Edition.