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Ewa Podles war ein Naturereignis. Stimmlich wie auch als Persönlichkeit. Raumgreifend, wunderbar, humorvoll, liebenswürdig. Stimmlich umwerfend. Ein Koloratur-Contralto mit der (3!) Oktaven, mühelosen Spitzentönen und erderschütternden tiefen Noten. Außer von Lucia Valentini-Terrani habe ich eine solche Orgie an Contra-Alt nie erlebt, bis heute nicht.
Ich hab´ sie oft gehört, bin ihr auch nachgereist, denn sie sang in den Neunzigern eben auch das Repertoire, das sich mir erstmals 1986 in Pesaro mit besagter Kollegin Valentini eröffnete: Rossini. Erstmals erlebte ich sie 1996 an der Berliner Staatsoper als Tancredi (mit und ohne lieto fine) und dann an der Deutschen Oper Berlin als absolut phänomenaler Arsace in der idiotischen Geranienproduktion der Intendantin Harms. Nicht einmal diese konnte von der fulminanten Wirkung Ewa Podles´ (und Simone Alaimos als glänzender Assur) ablenken. Was für ein Organ. Ihr Auftritt mit wirkungsvollem Rezitativ und nachfolgender Arie rockte das Haus, da störte auch der Lidl-Einkaufswagen nicht. Aber kaum jemand wusste, dass sich Ewa Podles eine akute Rückenverletzung zugezogen hatte. Das war Professionalismus.
Zuvor war Liége gewesen, dann Pesaro und später die Welt, dank Alberto Zedda, der sie erstmals in Warschau gehört und zu einer beneidenswerten Karriere an allen internationalen Belcanto-Zentren gebracht hatte. Ihre Auftritte waren Legenden, ob in Frankreich, Italien oder Amerika.
Nach und nach verließ sie Rossini und folgte dem eher angestammten Repertoire, das sie ja zu Hause am Wielki immer gesungen hatte, eben Verdi, Saint-Saens (ihre Dalila in Paris erntete berechtigte Lorbeeren), aber dann auch Wagner, Brahms, Mahler, sogar Haydn und vieles mehr. Dennoch denke ich, dass ihre bemerkenswerten Talente im Rossini-Fach zu finden waren und dort unerreicht bis heute sind.
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Sie hat nicht viele offizielle Aufnahmen gemacht, aber ihr Orphée von Gluck in der Viardot-Fassung bei Forlane sprengt schon den Rahmen des Konventionellen (sie hat auch die italienische Version eingespielt), ihre Rossini-Arien-CDs und ihr Tancredi bei Forlane, Naxos und anderen sind unschätzbare Memorabilien ihrer Kunst. Ein paar reife Rossini-Video-Dokumente aus Pesaro u. a. bei Dynamic kommen dazu. Aber Sammler haben natürlich alle ihre vikelen wunderbaren Live-Auftritte (auch die Semiramide aus Berlin und Liège, wohin Zedda sie oft holte).
Ich hab´ sie viele Male getroffen, namentlich in Pesaro und Liege und zuletzt noch in Posen als Arsace im Kostüm der Abigaille (das Theater hatte zum Gastspiel ihren alten Nabucco aktiviert, sehr putzig und sie natürlich überwältigend), aber nachstehend folgt das Interview unserer ersten Begegnung 1996 anlässlich ihres Tancredi in Berlin, wo ich sie mit ihrem liebenswürdigen Dirigenten-Ehemann Jerczy Machwinsky (der kurz vor ihr 2023 gestorben war) erlebte. Was für eine kluge und reizende Frau (geb. 26. April 1952 in Warschau, † 19. Januar 2024 ebendort). Was für Erinnerungen. Danke Ewa! Geerd Heinsen
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Contralto mit Hohen C: Unverstellt, engagiert, sensationell virtuos, mit reichem Pathos, zu Herzen gehend: alles Vokabeln, die sich beim Erleben der naturgewaltigen Stimme von Ewa Podles einstellen. Ihr Tancredi an der Berliner Staatsoper Unter den Linden im Marz (1996) war eine solche Tour de Force, verbunden mit einer das Herz rührenden Persönlichkeit auf der Bühne: Ich war gespannt, wie die Sängerin sich privat geben wurde – dies war einer der wirklich seltenen Fälle, bei denen ich mich als Musikjournalist förmlich nach einem Gespräch drängte, denn eine solche Leistung erlebt man nicht oft: Berlin stand wegen der Podles und wegen des Dirigenten Alberto Zedda (dazu natürlich die übrigen Mitwirkenden in Rossinis Oper) absolut auf bestem Pesaro-Niveau, damals noch der Maßstab der Dinge in Sachen Rossini, auf dem Kopf.
Ewa Podles‘ Ruhm war ihr bereits vorausgeeilt. Ich selber hatte sie in Venedig als Arsace (mit der Devia) erlebt, Freunde hatten von ihrem Tancredi an der Scala berichtet, aus Frankreich kamen viele gute Nachrichten über sie, und von dort stammte nicht zuletzt die prachtvolle Naxos-CD des Tancredi (ebenfalls unter Zedda, mit Sumi Jo und Robert Swenssen), während von Forlane vorher der umwerfende französisch gesungene Orphee von Gluck und zwei Recitals mit Arien von Händel und russischem Liedgut herausgekommen waren. Ihre CD mit Amor brujo (unter Pende- reckis Leitung) fiel mir erst später in die Hände. Alle diese Dokumente zeigten diese aufregende Stimme mit der exzeptionellen Reichweite eines wahren Contra-Alts, der mühelos das hohe C, aber auch eine geradezu „Baß“-Tiefe erreicht, der die makellos aneinander gebundenen drei Register durchmisst wie im Fluge, der vor allem eine fast altmodische Ausdrucksskala des Bedeutsamen besitzt – eine aus der Maske und Nase kommende Ehrlichkeit der Äußerung, besonders in den Rezitativen, aber auch – wie im Falle Glucks – in der großen Arie. So müssen die großen Sängerinnen der Vergangenheit gesungen haben.
Gegenüber in ihrem kahlen Miet-Apartment in Berlin saß mir eine temperamentvolle, attraktive Frau in den absolut besten Jahren, mit einem brandroten Haarschopf, mit schönen braunen Augen, mit lebhaften Bewegungen der Hände, die sie nicht ruhig halten konnte. Sie und ihr eleganter Ehemann Jerczy Machwilsky sprechen Französisch mit jenem liebenswerten gerollten -r-, das man von weitgereisten Polen und ihren Nachbarn kennt. Er wirkt mit seinen eleganten weißen Haaren auf mich als der Inbegriff eines Gentleman der alten Schule, ist ihr Coach und zudem selber ein bedeutender Musiker, Pianist, Begleiter (nicht nur seiner Frau, sondern auch anderer großer Sänger, so Maureen Forrester oder Rita Streich bei deren Abschiedskonzert bei Radio France 1979). Während er eher gelegentlich die eine oder andere korrigierende oder ergänzende Bemerkung beisteuerte, schwärmten seine Frau und ich von Rossini, den sie mir bereitwillig in einzelnen Tönen oder Phrasen beim Kaffee vortrug.
Sie besaß diese phänomenale Naturstimme schon immer, sagt sie, und die Begabung zu dunklen Stimmen liegt in der Familie. Ihre Mutter war eine außerordentliche Sängerin gewesen und verfügte ebenfalls über einen weitreichenden Contra-Alt, ihre Schwester ist ebenfalls ein runder Mezzosopran.
Contra-Alt: Die Sache bedurfte der Erklärung, denn normalerweise kennt man echte Contra-Altistinnen kaum noch, und wenn, dann nur im Konzert- und Kirchenrepertoire. Falsch, sagte Ewa Podles. Ein Contra-Alt war die wahre Stimme, für die z. B. Rossini schrieb, denn seine Frau Isabella Colbran war eine Contra-Altistin, kein Mezzosopran, der ohnehin erst zu Verdis Zeiten in Mode kam. Mezzosoprane sind, sagt sie, und ich nicke, meistens kurze Soprane mit guter Tiefe, die in heutiger Zeit viel zu häufig aufgefordert werden, Belcanto-Partien zu singen, für die ihnen die Tiefe und vor allem die Reichweite und das Passaggio fehlen – hier kann nicht wiedergegeben werden, über wen wir alles sprachen, die leider in diese Kategorie fallen, auch sehr hochdotierte. Contra-Altistinnen hingegen haben in ihrem und im idealen Fall diese nahtlose Durchbildung der Stimme, die bis zum hohen C reicht, die im Lauf nicht die Farbe ändert, die im unteren Bereich durchaus bis in die tiefe Brust herunterreichen kann. Ich mache ihr Komplimente wegen ihres diskreten Gebrauchs des Brustregisters, das sie im Tancredi nur wie spielerisch angetippt hat (wenn sie es nicht als gezielten Effekt einsetzte), und sie lächelt, denn sie weiß, dass das Publikum das tiefe, ausgesungene Register liebt. Es gibt eben Situationen und Partien, wo man ausgiebig in die Brust gehen muss, und es gibt andere, bei denen man sparsam damit sein soll. Die erstklassige Beherrschung der ganz hohen Lage hat natürlich auch etwas mit der gutsitzenden Tiefe der Stimme zu tun, und es gibt Tage, an denen alles zusammenkommt, und es gibt andere (vor allem im Leben einer Frau), an denen man sich auf seine Technik verlassen muss.
Aber generell singt Ewa Podles mit großer, kräftiger und gesunder Naturstimme und denkt nicht so viel in technischen Bereichen. „Madame de Langereux“ ist das Zauberwort, hinter dem sich für sie eine wunderbare Lehrerin und ein ganzes Programm verbergen.
Wie war denn das an der Hochschule zu Hause (früher Posen, heute Warschau)? Natürlich dachten die ersten Lehrer, dass sie ein Sopran sei, wegen der leichten Höhe. Aber ihre Mutter und andere erkannten sehr schnell ihre eigentliche Lage. Leicht war der Anfang nicht, denn zum einen war damals das Repertoire des Belcanto noch nicht erschlossen, das kam in den letzten zehn Jahren, und zum anderen wurde in Polen das konservative Repertoire gepflegt, wenngleich Ehemann Machwilsky auf die eine oder andere Rossini-oder Belcanto-Aufführung im Lande hinweist.
Während Ewa Podles im Ausland weitgehend für ihren Belcanto gefeiert wird, singt sie zu Hause am Teatr Wielki das ganze tiefe Fach, von der Marina über die Kontschakovna bis zur Dalila alles (Dalila war sie auch in der prestigereichen Inszenierung im alten Palais Garnier in Paris vor dem Umzug in die Bastille) – was den Zuhörer doch staunen macht, denn die Vorstellung, dass diese große, ungemein bewegliche Contra-Alt-Stimme Dalila oder Carmen singt, überrascht zwar nicht, spricht aber für ihre Kunst. Wie hat sie diese stilistische Sicherheit erworben, mit der sie eine Adalgisa, Rosina oder den Tancredi gibt, wie die überzeugende Kenntnis der Rezitative, die sie mit Pathos und Bedeutung füllt? Sie lacht und zeigt auf ihren Kopf: „So wie die Kadenzen und Verzierungen der Partien habe ich auch den Belcanto im Kopf, wahrscheinlich aus Instinkt. Wenmich ein Dirigent nach meinen Kadenzen fragt, ob ich sie ihm auf dem Papier zeigen könnte, sage ich nur, dass ich sie alle im Kopf habe. Das ist wohl angeboren.“ Und in der Tat variiert sie ihre Apoggiaturen und Kadenzen von Mal zu Mal, steht souverän in der Musik und im geforderten Ausdruck – was natürlich einen ähnlich kompetenten, kenntnisreichen Dirigenten erfordert, wie Zedda es ist.
Während wir uns bei einem Kaffee durch die Packung „Mon Cherie“ auf dem Couchtisch arbeiten, erlebe ich immer wieder, wie direkt, wie „unverdorben“ im Sinne einer Marketing-Promotion oder gestylten Karriere diese ungemein sympathische Sängerin ist – sie ist in der Tat so direkt, so unkompliziert wie auf der Bühne, wo sie zupackt und ganz sie selbst ist, kein Glamourgirl, keine Starallüren, sondern eine reelle, mit beiden Beinen auf dem Boden stehende Künstlerin mit einer prachtvollen Stimme. Und wann hat man das zum letzten Mal erlebt?
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(Mit großem, Dank an Wolfgang Denker für seine umfangreiche Kopier- und Archivarbeit. Foto oben Ewa Podles /privat)