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„Skúchno, Marina, akh, kak, skúchno-to!“ („Langweilig ist mir´s“) singt eine geheimnisvolle, dunkle, ungemein erotische Mezzo-Alt-Stimme in Russisch auf dem Boris Godunow unter Isaac Doubrowen, und Nicolai Geddas Dimitri verfällt dieser Ballung an müder Erotik der polnischen Fürstin nachvollziehbar, denn Eugenia Zareska (9. November 1910 in Rawa Ruska bei Lemberg, heute Polen – 5. Oktober 1979 – Paris) ist schlicht eine Wucht, nicht nur in dieser Partie. Was für ein Organ, was für eine Ironie in der wunderbar tief geführten Stimme – eine ganze Nachkriegs-Epoche tut sich mit ihr auf.
Begegnet bin ich ihr zum ersten Mal beim Hören der Grande-Duchesse de Gerolstein unter René Leibowitz auf einer alten und etwas zerkratzten Nixa-LP, die ich als Student auf dem Flohmarkt in Londons Bayswater kaufte (inzwischen bei Naxos digital). Ich wusste weder wer Leibowitz war noch wer Zareska. Aber ihre Grande-Duchesse, die da frech den Säbel ihres Vaters besingt („Ah le sabre, le sabre de mon pêre..“) und mir als Hörer keinen Zweifel lässt, was sie damit andeutet, eröffenete mir Offenbachs Welt der erotischen Zweideutigkeiten und der Ironie. Was für eine Stimme.
Genau das Gegenstück an Würde und Pathos ist ihre Ottavia in der für heutige und an Alte-Musik-gewohnte Ohren etwas konservative Poppea unter Ewerhart bei Vox (ah, der nervös-hysterische Nerone des Hans-Ulrich Mielsch!), ihr „Addio Roma“ verströmt Größe und Ruhe, Ergebenheit in ihr Schicksal, fast überirdische Abgehobenheit angesichts der Verbannung. Die Aufnahme fand ich am Kiosk neben der Scala vor vielen Jahren, und sie ist bis heute nicht wieder aufgelegt worden. Eine ganz wunderbare Leistung. Diese Brustigkeit, dieses Timbre! Unglaublich.
Sowas ist es auf modernen Aufnahmen nicht zu finden. Auch nicht die pathosreiche Jeanna d´Arc von Tschaikowsky, die sie bei youtube singt – große russische Oper (in Französisch, wie oft üblich) und große Gefühle… Kaum eine schafft das wie sie.
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Viel gibt es nicht von ihr dokumentiert – meint man auf den ersten Blick. Nicht mehr – muss man auf den zweiten sagen. Denn sie war fleißig und ganz offensichtlich von den großen Dirigenten ihrer Zeit in Paris sehr gesucht. Ein Blick zu Discogs (dem Eldorado gebrauchter LPs und CDs zu günstigen Preisen) zeigt eine recht lange Liste an Aufnahmen. Viel von Mahler („Urlicht“ aus der Zweiten ist eine absolute Wucht), Bach unter Redel, Lulu neben der Steingruber und Rehfuss unter Maderna, Martin unter Ansermet, eine abenteuerliche Aufnahme von Scarlattis Trionfo dell´onore bei Cetra (als rahmensprenge, lustige Rosina immerhin unter Giulini aus den tiefen Fünfzigern), eine Mucke im Onegin 1953 an der Scala auf einer Longanesi-LP ebenfalls am Kiosk, bei Disques Montaigne Oedipus Rex von Igor Stravinsky unter der Leitung des Komponisten, besagter Boris Godunow unter Isaac Doubrowen neben Christoff und Gedda sowie wirklich jede Menge Lieder von Reichardt, Schubert, Schumann (Frauenliebe und -Leben sind allerdings wirklich nur was für rabiate Fans), Chopin über Mussorsgsky bis zu ukrainischen und polnischen, letztere auch bei youtube zu finden. Wirklich eine enorme Vielfalt von einer Sängerin, die heute kaum jemandem bekannt ist.
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Sie war zudem – den Fotos nach zu urteilen – eine exotisch-schöne Frau mit dunklen Augen und Haaren (der Damenbart-Typ); ein kurzer Film-Clip bei youtube zeigt sie live mit ihrem Sohn in einem Garten lachend und sehr attraktiv (bei youtube steht dazu: What you are viewing are candid scenes – no sound added at this stage – that were left on the cutting room floor by Orbit Film Corporation of Toronto in 1957. The film is The Red Carousel, a Ukrainian language color movie produced in Canada. This is part of a segment filmed in Paris, France. The scene at the end with Ms. Zareska and the Orbit Film Corp. car is interesting. There are numerous recordings but film of Eugenia Zareska is nearly impossible to find. Julian Roffman had some connection with Orbit Film Corp. as his name and photo appear in an Orbit Film Corp. brochure.)
Ihre Stimme, stets ein wenig gaumig und ungemein individuell, in der Diktion auch nicht immer so wirklich präzise aber voller Empathie und Atmosphäre mit dem Gesungenen, bleibt auf diesen Aufnahmen erhalten – eine merkwürdige, sehr persönliche und für mich im Kopf bleibende. Geerd Heinsen
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Dazu eine kurze Biographie von Bach-Track: Die polnische (eigentlich ukrainische) Mezzosopranistin Eugenia Zareska studierte bei Adam Didur in Lwów und anschließend in Wien, wo sie 1938 einen Gesangswettbewerb gewann. Sie war auch Schülerin von Anna Bahr Mildenburg. Sie begann ihre Bühnenkarriere 1939. Ab 1940 lebte sie in Italien, wo sie ihre Ausbildung in Mailand abschloss, später an den bedeutenden Opernhäusern auftrat und vor allem ab 1941 an der Mailänder Scala wichtige Erfolge feierte (Startrolle: Dorabella). 1942 sang sie an der Oper von Rom, und nach dem Zweiten Weltkrieg gastierte sie häufig in Paris, etwa als Marina in Boris Godunow von Mussorgsky. 1952 verlegte sie ihren Wohnsitz nach London. Dort trat sie zunächst am Cambridge Theatre als Rosina in Il Barbiere di Siviglia auf, dann 1948-1949, 1952-1953 und 1957-1958 an der Covent Garden Opera London, an der sie ihre erste Rolle als Carmen sang. Gleichzeitig gastierte sie an den großen Opernbühnen in Italien, Frankreich, Belgien und Holland.
Eugenia Zareska war auch eine international geschätzte Konzertsängerin, wobei sie sich insbesondere im Liedgesang auszeichnete. Sie nahm an den Festivals von Edinburgh und Siena teil und sang die Dorabella beim Glyndebourne Festival 1948. Beim Festival von Venedig war sie 1949 als Pique-Dame-Gräfin. Sie gastierte auch bei den Festspielen von Aix-en-Provence und beim Maggio Musicale Fiorentino.