Es bleibt einem das Herz stehen!

 

Mit freudiger Überraschung entdeckte ich im Archiv des englischen Glyndebourne Festival einen Film, und nun in erster Farbqualität, der lange und nur in Teilen unter Sammlern kursierende: „On such a night“, ein faszinierender Einblick in Glyndebournes Nozze di Figaro mit so mythischen Sängern wie Sena Jurinac, Sesto Bruscantini, Franco Calabrese, Monica Sinclair oder Elena Rizzieri unter niemand Geringerem als Vittorio Gui. Ich hatte immer nur ein Teil dieses Films aus dem Netz heruntergeladen und war ganz aufgeregt, als ich in Glyndebournes Internet Shop dieses kostbare Dokument als DVD entdeckte. Rund 40 Minuten lang sind Ausschnitte aus dem Figaro in eine Rahmenhandlung gepackt.

Szene aus dem Film On Such a Night.

Szene aus dem Film On Such a Night.

Ein junger Amerikaner kommt 1955 am Londoner Bahnhof Victoria an, sieht jede Menge eleganter Menschen in Abendgarderobe mit Picknick-Körben in der Hand und hört, wie jemand zum anderen sagt: „Ah, die neue Gräfin!“ Was ist dies für eine geheimnisvolle Frau, eine Gräfin, die so viele Leute in einen klapprigen, dampfumflorten Vorortzug steigen lässt? Er folgt der Menge – ganz köstlich die alten englischen Züge mit den Türen, die unter Durchgriff aus dem offenen Fenster nur von außen zu öffnen sind – und fährt ins englische Sussex, in die berühmten Sussex Downs, eben nach Lewes, einem kleinen Ort ebenda. Busse holen die Leute ab, er nimmt ein Taxi, hat vorher einen winzigen Flirt mit einer hübschen jungen Dame in Begleitung einer formidablen älteren Lady – und landet vor dem (alten) Festpielhaus von Glyndebourne.

Junge Liebe in der Oper: Szene aus On Such a Night.

Junge Liebe in der Oper: Szene aus „On such a night“.

Dort entpuppt sich die Lady als Lady Falconbridge mit Nichte, die ihm eine Karte für die Opernaufführung besorgt (Gründer und Inhaber George Christie himself spielt den guten Geist), denn die Damen bestehen darauf, dass Mr. White sich die Oper ansehen muss – ganz amerikanisch ist dies seine erste überhaupt! Wo und wer ist nun die Gräfin? Er sitzt mit glänzenden Augen im Parkett – ganz klischeebedienend nur sportlich angezogen unter all den Pinguinen und Abendroben. Naja, englische Eleganz war auch schon damals sehr speziell.

Der Vorhang geht auf, und da ist sie, die neue Gräfin: Sena Jurinac unvergleichlich, absolut unvergleichlich mit „Dove sono“. Es bleibt einem das Herz stehen ob dieser Anmut, dieses Charmes, dieser wirklich wunderbaren, einmaligen Stimme (jaja, ich weiß, ich bin befangen). Im weiteren Verlauf entfaltet sich die Oper in großen Sprüngen. Sesto Bruscantini schickt die sonst kaum dokumentierte Frances Bible/Cherubino in den Krieg, die köstliche Monica Sinclair/Marcellina nebst der britischen Bass-Säule Ian Wallace/Bartolo konspirieren unter Unterstützung von Hughes Cuenod/Basilio (absolut umwerfend fies) gegen Franco Calabrese/Conte, und das alles unter der machtvollen Hand von Vittorio Gui in Carl Eberts Inszenierung (Dekor Oliver Messel) – alles mythische Namen inzwischen.

Da ist sie - die wunderbare Sena Jurinac als Contessa 1955 in Glyndebourne/Szene aus dem Film

Da ist sie – die wunderbare Sena Jurinac als Contessa 1955 in Glyndebourne/Szene aus dem Film

Begeistert stürzt der junge Mann ins Freie für die Pause, wird zu einem der klassischen Wolldecken-Picknicks (mit Kristallgläsern und Silberbestecken) von Lady Falconbridge nebst flirtender Nichte eingeladen, sieht die Musiker und Gui selbst beim Crockettspiel auf dem grünen Rasen Glyndebournes und bekommt die ganze Idylle pur vorgeführt. Zwischendurch eingeblendet sieht man Carl Ebert bei der Probe des Briefduetts mit Jurinac und Rizzieri, auch dies ein wertvolles Dokument.aplan für Glyndebourne als Werbefilm konzipiert, um vor allem weitere finanzstarke Amerikaner nach Glyndebourne zu locken. Viele waren an dem Unternehmen beteiligt (Ken Cameron, Malcolm Sargent, George Christie, Wilfred Eady und manche mehr, wie die Archivarin Julia Aries in ihrem informativen Artikel des Booklets beschreibt), das im Sommer 1955 in Glyndebourne gedreht wurde und eben die Besetzung der Produktion von Carl Ebert festhält, die dann 1960 bei der EMI mit einer veränderten Crew (namentlich die Sciutti und Stevens wurden eingeflogen und ersetzten Rizzieri und Bible) eingespielt wurde.

Sena Jurinacs Aufnahmen sind Teil des Westminster-Pakets, hier in Glyndebourne 1955 als "Figaro"-Contessa, die es in der Gesamtaufnahme bei EMI 1960 gab/GOF

Sena Jurinacs Aufnahmen sind Teil des Westminster-Pakets, hier in Glyndebourne 1955 als „Figaro“-Contessa, die es in der Gesamtaufnahme bei EMI 1960 gab/GOF

Der Film selbst war nur ein begrenzter Erfolg – er war den meisten Kinobesitzern im Verbund der Rank Film zu kurz, wie sollte man ihn zeigen?I Er wurde auf Betreiben des damaligen Managers Moran Caplan gedreht, um Glyndebourne vor allem reichen Amerikanern zu verkaufen. der Film selbst war kein Erfolg, er war den Kinobetreibern zu kurz und wurde nicht angenommen. Nach einer eher lauen Aufnahme beim allgemeinen Publikum, namentlich in Amerika, wurde er bei Festivals gezeigt (Edinburgh u.a.), kam ins Fernsehen (auch ins deutsche/ZDF.

Ich hoffe, meine Inhaltsangabe hat Appetit gemacht, diesen hinreißenden Film zu kaufen. Eben – die Kunst! In Oliver Messels Ausstattung ist diese ganz herrliche Besetzung zu erleben, angeführt von der gloriosen, jungen Sena Jurinac, ebenso poetisch wie bewegend: ein wunderbares Memento einer großen Künstlerin.

Geerd Heinsen

 

On such a night. Film von Antony Ashquith, Glyndebourne 1956, ca. 40 min. + Bonus A short History of Glyndebourne mit verschiedenen Regisseuren, re-released on DVD from the Glyndebourne archives and digitally restored. Glyndebourne online-shop