Zu den Stars seiner Epoche zählte er eher nicht, aber in der Ära der Callas und lange darüber hinaus war der Bariton Mario Sereni eine feste Säule im internationalen Opernbetrieb. Seine Karriere währte dreieinhalb Jahrzehnte. Am 15. Juli ist er im Alter von 87 Jahren in Perugia gestorben, wo er am 28. März 1928 zur Welt kam. Er erlernte erst den Beruf des Drehers, bevor er in seiner Heimatstadt mit dem Gesangsstudium begann, das er in Rom fortsetzte, bis er in Siena Schüler von Mario Basiola wurde, der Opernfreunden als häufiger Partner von Beniamino Gigli noch heute ein Begriff ist. Basiola wiederum war Schüler des legendären Antonio Cotogni (1831-1918), so dass Stimmenkenner wie Rodolfo Celletti und John B. Steane nicht falsch liegen, wenn sie Sereni als einen Abkömmling der „Grand Tradition“ einordnen.
Trotzdem lief seine Karriere im damals von starken Baritonisten geradezu überquellenden Italien nur zögerlich an. 1953 debutierte er beim Maggio Musicale Fiorentino in Il diavolo nel campanile von Adriano Lualdi, einer heute vergessenen Oper nach einer Erzählung von Edgar Allan Poe, die Arturo Toscanini 1924 aus der Taufe gehoben hatte. In den kommenden Jahren findet sich im Archiv der englischen Zeitschrift OPERA allerdings kein Eintrag über weitere Auftritte. Erst 1957 taucht sein Name dort wieder auf. So wirkte er in Parma in dem Einakter La figlia del diavolo von Virgilio Mortari mit und war Wolfram in einer italienisch gesungenen Tannhäuser-Produktion unter Heinrich Hollreiser, die am Teatro Massimo in Palermo herauskam und kurz darauf in Cagliari wiederholt wurde; Carlos Guichandut und Anna de Cavalieri waren seine arrivierten Partner.
Bekannt wurde Sereni aber erst fern der Heimat. Nachdem er 1956 am Teatro Colón in Buenos Aires als Valentin und Germont-père aufgetreten war, gab er ein Jahr später sein Debut als Carlo Gérard an der Metropolitan Opera, der er dann mehr als ein Vierteljahrhundert angehören sollte. Über 550 Vorstellungen hat er – laut dem Archiv des Hauses – in dieser Zeit gesungen, nicht wenige wurden vom Rundfunk übertragen. Viele große Vorstellungen waren darunter, etwa Lucia mit der Callas, Aida unter Solti, Falstaff unter Bernstein, Trovatore und Ernani neben Corelli – und und und. Einige Mitschnitte dieser Aufführungen liegen mittlerweile auf CD vor.
Im dramatischen Fach wurde ihm von Rudolf Bing allerdings Anselmo Colzani vorgezogen; der übernahm nach Leonard Warrens tragischem Bühnentod dessen Partie in La forza del destino, obwohl Sereni der offizielle understudy war, und auch den Part des Jack Rance in der Fanciulla del West, den ursprünglich Sereni singen sollte. Der hat immerhin die große Pokerszene aus dieser Oper mit Dorothy Kirsten im Fernsehen aufgenommen – das Dokument ist auf youtube zu besichtigen.
Von New York aus unternahm Sereni viele Gastspielreisen in Amerika und nach Old Europe. An der Mailänder Scala kam er 1964 als Germont in Herbert von Karajans Traviata-Produktiojn zu späten Ehren, auch die anderen großen Theater Italiens interessierten sich jetzt für ihn, sein europäisches Stammhaus wurde jedoch die Wiener Staatsoper, in der er von 1961 bis 1976 regelmäßig auftrat und 13 Partien in 118 Vorstellungen sang – neben seinen bewährten Verdi- und Puccini-Rollen auch Figaro, Escamillo und Valentin.
Von der Met verabschiedete sich Sereni 1984 in einer von Placido Domingo dirigierten Bohème-Serie, in der er diesmal nicht den Maler Marcello sang, eine seiner Paraderollen, sondern den Musiker Schaunard. Sein Sohn Rodrigo, eines von vier Kindern, hat bei youtube ein klavierbegleitetes Abschiedskonzert vom August 1986 eingestellt, in dem Sereni mit unvermindert stabiler Stimme die Arien einiger seiner Glanzpartien – Germont, Valentin, Belcore, Gérard – vortrug. Der letzte öffentliche Auftritt wie behauptet, war dies allerdings nicht. Ich habe den Sänger noch anderthalb Jahre später als Partner Luciano Pavarottis im Elisir an der DOB erlebt. Diese Produktion wurde kurz darauf auch in Monte-Carlo gezeigt. Das war dann – folge ich dem Archiv von OPERA – tatsächlich seine letzte Aktivität als Sänger.
In Wikipedia wie auch in diversen Nachrufen wurde immer wieder betont, dass Sereni zeitlebens im Schatten großer Kollegen wie Warren, Bastianini oder Gobbi gestanden habe. Das ist sicher nicht falsch und gilt wohl auch für seinen Nachruhm. Ein unterschätzter oder gar verkannter Sänger war er trotzdem nicht. Er war an einem vollen Dutzend Studio-Gesamtaufnahmen renommierter Firmen wie EMI und RCA beteiligt, die alle den Übergang in die CD-Ära überlebt haben – eine Zahl, von der seine Kollegen und Konkurrenten Colzani oder Giangiacomo Guelfi nur hätten träumen können. Dazu kommen wenigstens 30 Live-Mitschnitte. Die Erklärung für diesen Erfolg liegt in der hohen Kompatibilität von Serenis geschmeidiger, anschmiegsamer Stimme, die sich ausgezeichnet mit den Stimmen anderer Sänger in anderen Stimmlagen mischte, ob Callas, Tebaldi, Price oder Freni, ob Corelli, Bergonzi, Gedda oder Domingo.
Oft wurde Serenis Stimme mit der von Ettore Bastianini verglichen – so in John B. Steanes „The Grand Tradition“ -, und was Wärme und Klangfülle angeht, konnte er es mit dem großen Kollegen aufnehmen, über dessen Pathos und vokales Charisma er allerdings nicht verfügte. Serenis Qualitäten lagen in der Gleichmäßigkeit der Klangemission, dem bruchlosen Registerwechsel und einer mühelosen Höhe, weniger im dramatischen Biss und in der scharfen Charakterisierung der Figuren. Nicht ohne Grund fehlt Scarpia in der Galerie seiner etwa 30 Bühnenrollen. Er war ein Meister des Legato und er konnte seine im Wesen lyrische Stimme organisch expandieren lassen. Deshalb hatte er in Partien wie Germont-père oder Carlo Gérard nur wenig Konkurrenz, aber auch sein Luna, sein Marcello, sein Belcore waren erste Klasse. In dramatischen Partien wie Macbeth und Amonasro verstand er es, stimmgewaltig aufzutrumpfen. Ob er auf der Bühne ein guter Rigoletto gewesen wäre, weiß ich nicht, in einer konzertanten Aufführung von 1979 macht er rein vokal einigen Effekt.
Was wird von ihm bleiben? Ich denke, eine ganze Menge. Von seinen Studio-Aufnahmen dürften vor allem Madama Butterfly (mit Björling und de los Angeles), „Andrea Chénier“ (mit Corelli und Stella), La Bohème und L’elisir d’amore (beide mit Gedda und Freni) zeitlos bleiben. Bei La Traviata ziehe ich die Lissaboner Kult-Aufführung mit der Callas, aber auch den Mailänder Mitschnitt mit der Moffo unter Karajan der Studio-Aufnahme mit de los Angeles vor, bei Ernani den Live-Mitschnitt von der Met mit Corelli und Siepi der RCA-Aufnahme mit Bergonzi. Für Sammler unverzichtbar sind die Aida von 1963 unter Solti (mit Price, Gorr, Bergonzi und Siepi) und der Wiener Don Carlo von 1968 (mit Jurinac, Cossotto, dem jungen Domingo und Siepi). Doch auch die Fedora aus Neapel (1961) mit Renata Tebaldi und Giuseppe di Stefano ist eine feine Sache. Rundfunkmitschnitte der RAI von Macbeth (1961) und – aus den frühen 70er Jahren – La favorita (mit Fiorenza Cossotto), Alzira, Giovanna d’Arco und La battaglia di Legnano ergänzen Serenis diskographische Hinterlassenschaft überzeugend. Anders als bei manchen Livies etwa von Bastianini oder Taddei würde ich keine der genannten Aufnahmen allein wegen des Baritons empfehlen, aber die Mitwirkung Serenis ist in jedem Falle ein zusätzliches Gütesiegel. Ekkehard Pluta