Werner Rackwitz

 

Barrie Kosky / Intendant und Chefregisseur der Komischen Oper Berlin schreibt: Ich habe die traurige Pflicht mitzuteilen, dass der ehemalige Intendant der Komischen Oper Berlin, Prof. Dr. sc. Werner Rackwitz (Foto Arwid Lagenpusch/KOB), am 14. März 2014 nach kurzer schwerer Krankheit im Alter von 84 Jahren in Berlin verstorben ist.

1980 war er zum Intendanten berufen worden und hatte dieses Amt bis 1994 inne. Als Nachfolger von Walter Felsenstein und Joachim Herz bewahrte und beförderte er den künstlerischen Weltruf der Komischen Oper und schuf dank seiner umsichtigen und diplomatischen Arbeitsweise die Basis für eine international Aufsehen erregende Theaterarbeit. Mit Harry Kupfer und Rolf Reuter band er Spitzenkräfte des Musiktheaters als Chefregisseur bzw. Chefdirigent an das Haus und formierte mit ihnen gemeinsam ein leistungsfähiges und innovatives Ensemble. Am 3. Dezember 1929 in Breslau geboren, studierte Rackwitz in den Nachkriegsjahren in Halle/Saale Musikwissenschaft. Er gehörte als junger Wissenschaftler zu den Initiatoren der Halleschen Händel-Pflege, insbesondere der Internationalen Georg-Friedrich-Händel-Gesellschaft und der Internationalen Händel-Festspiele, die 1952 ins Leben gerufen wurden. 1963 wurde er in das Ministerium für Kultur der DDR berufen und wirkte dort zunächst als Referent, dann als Leiter der Abteilung Musik und von 1969 bis 1981 als Stellvertreter des Kulturministers.

Als Eröffnungsstück als neuer Intendant der Komischen Oper Berlin präsentierte Rackwitz »Die Meistersinger von Nürnberg«, ein Sensationserfolg für den neuen Chefregisseur Harry Kupfer und das ganze Ensemble. Das Repertoire der kommenden Jahre blieb klassisch dominiert wie bei Felsensein – ein Mozart-Zyklus mit »Die Entführung aus dem Serail«, »Die Hochzeit des Figaro«, »Così fan tutte«, »Die Zauberflöte« und »Don Giovanni« folgte, doch Kupfers Mozart war anders: dunkel und durchdrungen von Zweifel und Verzweiflung. Eine erschütternde »Bohème«, eine zynisch gegen das Unterhaltungstheater gerichtete »Lustige Witwe« vervollständigten das Programm des Hauses, aber auch Händels Triumph mit der unbekannten Oper »Giustino« und dem noch unbekannten Jochen Kowalski in der Titelrolle. Eingesprengt in den Rahmen dieser gegen den Strich gebürsteten Klassizität erschienen einige wenige Preziosen der Moderne: »Judith« von Siegfried Matthus, die Oper über die Tragödie von Liebe und Macht, »Lear« von Aribert Reimann, ein Lehrstück über die Hybris der Macht, und »Antigone« von Georg Katzer, entworfen 1988 als Kassandraruf und aufgeführt 1991 als ein Requiem des Untergangs.

Rackwitzs Spielplan wurde ergänzt durch eine bisweilen spektakuläre Serie von Konzerten. Daniel Barenboim gab sein erstes Ostberliner Konzert in der Komischen Oper, Rolf Reuter führte zum ersten Mal seit über 100 Jahren die Bühnenmusik Felix Mendelssohn Bartholdys zur »Antigone« des Sophokles auf. Schon kurz nach dem Mauerfall 1989 kam auf Einladung von Werner Rackwitz der Intendant der Deutschen Oper Berlin (West), Götz Friedrich, in die Komische Oper, und in einem öffentlichen Podiumsgespräch besprachen beide Intendanten künftige Kooperationen. Ein spektakulärer Schritt, denn Friedrich war bei Felsenstein einer der Star-Regisseure des Hauses gewesen, aber in Unfrieden von ihm geschieden.

Werner Rackwitz gehörte zu der Generation deutscher Kulturpolitiker, die über die Komplikationen und Querelen des Kalten Krieges und der Spaltung der Nation hinweg die Kontinuität der deutschen Kultur zu bewahren suchten. Das führte den einstigen Pfarrerssohn und idealistischen Sozialisten auf einen widersprüchlichen Weg. Es bleibt jedoch seine Lebensleistung, das Erbe der Felsensteinschen Theaterkunst bewahrt und den Künstlern seiner Zeit Wege geöffnet zu haben.

Berlin, 18.3.2014