„Wer war doch noch …?“: In unserer Serie über weitgehend vergessene Bühnenkünstler erinnern wir an uns wichtige Personen, die oft nur wenige oder keine Spuren hinterlassen haben, die aber für ihre Zeit und für den Fortbestand von Oper und Konzert so immens wichtig gewesen sind. Es waren und sind ja nicht allein die Stars, die die Oper am Laufen halten, sondern die Sänger der Nebenrollen und Komparsen, auch die Provinzsänger, die Diven und Heroen aus den kleineren Orten, wo Musik eine ganz andere Rolle spielte als hochgehypt in den großen Städten. Vor allem vor dem Krieg, aber auch in den Fünfzigern und Sechzigern hatte allein in Deutschland jedes der 36 und mehr Theater seine eigene Primadonna, seinen Haustenor und langlebigen Bariton, die von der Operette bis zu Mozart und Wagner alles sangen. Das macht Oper aus. Nicht (oder nicht nur) die Auftritte der umjubelten Stars.
Wir beginnen unsere Serie „Wer war eigentlich noch…?“ mit Luisa Mandelli, die am 15. August 2018 im Alter von 95 Jahren in Mailand verstarb (geboren Oktober 16, 1922 in Saronno, Lombardei) und die – vielleicht zu ihrem Leidwesen – eigentlich nur als Annina neben der Callas 1955/56 an der Scala in Erinnerung bleibt (Daniel Barenboim verpflichtete sie noch einmal 2015 an die Berliner Staatsoper für eben diese Rolle). Dass sie das alleine durchaus nicht war, berichtet das nachstehende Interview von Antonio Sanfrancesco mit der Sängerin, das wir mit freundlicher Genehmigung der website der Famiglia Christiana übernommen haben (credits s. unten).
Die Sopranistin Luisa Mandelli, aus Saronno stammend,starb am 15. August 2018 nach kurzer Krankheit. Am 16. Oktober, wäre sie 96 Jahre alt geworden. Sie lebte seit fast fünfzehn Jahren in der Casa Verdi, dem Werk des Schwans von Busseto, der es erbauen ließ, um Künstler jenseits der Karriere zu beherbergen. Wahrscheinlich hatte sie auch in diesem Jahr bereits die feierliche Messe in Erinnerung an Maria Callas geplant, die seit 1997 jeden 16. September, dem Jahrstag des Todes der großen Künstlerin, stattfand. Mandelli ließ sie in der Kirche Santa Maria della Passione neben dem Konservatorium zelebrieren. „Sie hatte sich für die nächsten Tage deswegen mit mir verabredet“, sagt Armando Ariostini, der die Facebook Seite der Casa Verdi betreut.
In der Casa Verdi wurde sie „General“ genannt wegen ihres unternehmungslustigen und entschlossenen Auftretens.„Ich habe mich in die Musik verliebt, als ich das Dies Irae von Verdis Requiem gehört habe“, sagte sie vor einigen Jahren in einem Interview für La Famiglia Cristiana. Sie wurde gerührt, wenn sie daran dachte, dass der Meister La Traviata an dem Klavier komponierte, dass sich in der Casa Verdi befindet.
Sie selbst war es, die ihr Curriculum, das eine halbe Seite umfasste, diktierte (und auch das ist ein Indiz für die Demut eine Künstlerin mit so langer und ruhmreicher Karriee wie der ihren). Im Jahre 1947 hatte sie ihre Prüfung in Gesang am Konservatorium „Giuseppe Verdi“ von Mailand als Privatista ( „dreimal in der Woche legte ich dreißig Kilometer mit dem Fahrrad zurück, um, zu meiner Lehrerin zu gelangen, Elisabetta Oddone, auch wenn es regnete und auch bei Schnee. Dann Starb sie plötzlich.“) Als sie ohne Lehrerin dasatand und ein Unterkommen brauchte, wurde ihr von Dr. Curi geholfen, einem Apotheker und von dessen Familie, die sich auch darum kümmerte, dass sie ein Vorsingen an der Scala erhielt, das sie mit Bravour absolvierte, um dann am 20. Juni 1953 engagiert zu werden. Ihr Debüt an der Scala war mit Rigoletto als Page der Duchessa. 1964 verließ sie die Bühne und wurde musikalische Beraterin bei Ricordi, wo sie zwanzig Jahre lang blieb.
Außergewöhnliche Künstlerin, eine Frau mit starkem Glauben, Freundin der „Divina“ und „ewige Annina“ – so feierte sie Maestro Barenboim. Luisa Mandelli war nie wirklich „in Pension“ gegangen:“ „Für Künstler existiert dieses Wort nicht“, meinte sie während eines Interviews, in dem sie über ihren Tagesablauf berichtete:„Ich studiere, höre Musik, kümmere mich um die Kapelle der Casa Verdi und gehe fast jeden Abend in die Scala um Opern zu sehen, Konzerte und auch die Proben. Die Musik ist das Geheimnis eines langen Lebens in schöner Heiterkeit. Meine Lehrerin sagte mir immer:“Nie den Gesang aufgeben und die Musik, denn im Leben findest du in ihnen großem Trost. Und das ist die Wahrheit“.
Den Loggionisti der Scala war sie quasi eine Beschützerin, eine Art Göttin. In den Pausen empfing sie sie auf ihrem Sessel in der Zweiten Galerie, um ihre ihre Ideen und Meinungen mitzuteilen. Und alle wollten wissen, was Luisa von diesem oder jenem Sänger hielt. „Ich bin stolz darauf, Loggionista zu sein“, meinte sie. „Heute fehlt es an der ersten Voraussetzung: der Stimme. Zu meiner Zeit mussten die Comprimari wie ich auf der gleichen Höhe sein wie die Protagonisten. Das verstehen die Sänger nicht, und die Dirigenten und die für das Theater Verantwortlichen nehmen es nicht zur Kenntnis: ohne große Stimmen kann man keine Oper machen.Wenn ich von hier fortgehe, möchte ich dem Herrn dafür danken, dass er mich die Musik hat lieben lassen und mir die Stimme zum Singen gegeben hat.“
In ihrem Zimmer in der Casa Verdi in Mailand hob sie sorgsam zwischen Klavierauszügen und Opernplakaten das Briefchen und die drei Orchideen auf, die ihr Luigi Visconti nach der Premiere von Traviata an der Scala im Jahre 1955 geschickt hatte: „Für die tüchtige Annina mit Glückwünschen von ganzem Herzen.“ Und vor drei Jahren, mit 93 Jahren, war Luisa Mandelli bereit, von neuem auf die Bühne der Staatsoper Unter den Linden zu steigen und eine ganze Oper von Giuseppe Verdi zu singen und die Rolle zu interpretieren, mit der sie in die Geschichte der Oper an der Seite von Maria Callas eingetreten ist:die Dienerin Annina, genau, in der historischen Traviata, die von Carlo Maria Giulini dirigiert und,in der Regie von Visconti in der Scala aufgeführt wurde. Dann scheiterte das von Daniel Barenboim gewollte Revival durch die „Schuld“ der avantgardistischen Regie mit schrägen Ebenen.und abrupten Aktionen. Sie reagierte diplomatisch: „Ich fürchtete, nicht bei Stimme zu sein.Aber dem war nicht so,“, meinte sie. „Zu gefährlich ein Bühnenbild dieser Art. Ich hatte Angst zu fallen. Und ich habe die Ratschläge befolgt, die mir einen Verzicht auf die Teilnahme nahelegten.“
In Mailand war sie die große Bewahrerin der Erinnerung an Maria Callas. „Ich habe sie kennen gelernt, als sie 1953 an die Scala kam“, erzählte sie. „In diesem Jahr machte sie Medea. Sie war wunderbar, unerreichbar.. Aber auch zugänglich, freundlich, lieb, besonders gegenüber den einfachen Leuten“. Eine Freundschaft, die auch die Bühnenkarriere überdauerte.„Sie war ein Mythos. Sie wusste alles.Sie wechselte von einer ungemein tragischen Norma zu einer Sonnambula von fünfzehn Jahren. Ich habe ihr immer meine Gefühle für sie gezeigt. Aber auch sie war sehr liebevoll mir gegenüber. Sie war freundlich, auch wenn man das Gegenteil von ihr behauptete. Sie haben ihr soviel angetan, der armen Frau. Sie hat sehr gelitten. Sie war unsterblich in Onassis verliebt. Ich glaube, dass ihr Sterben begann, als sie erfuhr, dass er Jacqueline heiratete. Für eine Frau wie sie war das ein schrecklicher Affront. Aber als er erkrankte, besuchte sie ihn im Krankenhaus in Frankreich. Nur zwei Jahre nach ihm ist sie gestorben.“ „Sie liebte Papst Francesco („Er ist wunderbar mit seinem Lächeln.“) Es scheint so, als ob sie nie ernsthaft an den Tod dachte. „Wer weiß, was sein wird, wenn wir von hier gehen“, vertraute sie mir einmal mit einem Lächeln an, „wenn ich mich davon mache, will ich nur von Angesicht zu Angesicht dem Herrn dafür danken, dass er mich die Musik lieben ließ und mir meine Stimme zum Singen schenkte.“
Und sie war sicher, dass ihre Freundin Maria Callas sie nie verlassen hatte. „Ich spüre sie immer an meiner Seite. Und ich weiß, dass sie mich vom Himmel aus beschützt.“ Nun, wer weiß das so genau, leisten sie einander wieder Gesellschaft. Antonio Sanfrancesco/ Übersetzung Ingrid Wanja
Mit sehr liebenswürdiger Genehmigung von Antonio Rizzoli, dem Chefredakteur der Famiglia Christiana (der uns mitteilen ließ: a nome del Direttore don Antonio Rizzolo, diamo l’autorizzazione per la pubblicazione dell’articolo „Addio a Luisa Mandelli“, articolo di Antonio Sanfrancesco del 30/8/2018, tratto dal sito www.famigliacristiana.it); Foto oben Luisa Mandelli als Madama Butterfly an der Mailänder Scala/ Foto Piccagliani/ Teatro alla Scala, dazu auch die Würdigung der Scala auf dieser Seite.