Manfred Jung

 

Jahrzehntelang war Manfred Jung Heldentenor auf dem Grünen Hügel: In Bayreuth sang er den Siegfried, Mime und Parsifal. Jung – auch Ensemblemitglied an der Deutschen Oper am Rhein – war einer der gefragtesten Heldentenöre. Jetzt ist Jung am 16. 4. 2017 im Alter von 76 Jahren gestorben.Aus diesem Anlass wiederholen wir noch einmal das Portrait, das uns Ekkehard Pluta  zu seinem 75. Geburtstag 2015 schrieb. G. H.

 

Zwar ist und bleibt sein Name eng mit den Opern Richard Wagners und mit Bayreuth verbunden, doch ist der Sänger und Dirigent Manfred Jung (fünfundsiebzig am 09. Juli), ein so vielseitiger Musiker, dass man ihm mit dem Etikett „Wagner-Tenor“ nicht gerecht wird. Als gelernter Elektrotechniker kam der gebürtige Oberhausener als Beleuchter in Essen zum Theater, bevor er an der dortigen Folkwang-Hochschule das Gesangsstudium aufnahm. Bei den Bayreuther Festspielen war er erstmals 1963 tätig, auch hier als Beleuchter. Sieben Jahre später wurde er von Wilhelm Pitz in den Festspielchor aufgenommen. Dazwischen (1967) liegt ein Auftritt in der Stadthalle beim Jugendfestspieltreffen als Arindal in Wagners Früh-Oper Die Feen. Ekkehard Pluta zeichnet ein Portrait des vielseitigen Künstlers.

Manfred Jung: als Feenkönig von Purcell in Essen 1965/Jooss & Ponelle/Foto privat/Jung

Manfred Jung: als Feenkönig von Purcell in Essen 1965/Jooss & Ponelle/Foto privat/Jung

Jung begann seine Sängerkarriere im lyrischen Tenorfach, debütierte 1968 nach Abschluss seiner Studien in Essen an der Kölner Kammeroper und trat 1971 ein vier Jahre währendes Engagement in Dortmund an, wo er 27 Rollen erarbeiten konnte, darunter Tamino, Ernesto (Don Pasquale) Hans (Die verkaufte Braut) und Barinkay (Der Zigeunerbaron). Den Übergang ins lyrisch-dramatische Zwischenfach vollzog er dann im nächsten Engagement am Pfalztheater Kaiserslautern, wo Max und Don José zu seinen herausragenden Partien zählten. Schon damals gab er schon auswärtige Gastspiele, das bemerkenswerteste ist wohl das in Jerusalem, wo er in der Jüdin den Eléazar in hebräischer Sprache sang. Wie das geklungen hat, ist auf seiner Homepage nachzuhören (www-jung-manfred.de), die auch andere Fundstücke wie die Arien des Cavaradossi und des Lenski enthält.

Seinen Durchbruch erlebte Jung 1976, als er nach einem Gastspiel als Loge in der Deutschen Oper am Rhein von Grischa Barfuß einen Festvertrag erhielt, der bis zum Ende der Amtszeit dieses Intendanten (1988) währte. Im selben Jahr sang er seinen ersten Parsifal in Wuppertal und seinen ersten Siegfried (Götterdämmerung) in Saarbrücken. Auf Empfehlung von Eugen Jochum (nach einem Freischütz in Berlin) wurde er dann 1977 in derselben Partie von Wolfgang Wagner zu den Bayreuther Festspielen eingeladen, wo er im gerne so genannten Jahrhundert-„Ring“ von Patrice Chéreau und Pierre Boulez später auch noch den Jung-Siegfried (von René Kollo) übernahm. Beide Partien spielte er auch in der bis heute maßstäblichen (DVD-)Verfilmung dieser Produktion von 1979/80.

Manfred Jung als Canio in Gelsenkirchen 1976/Krämer/Foto privat/Jung

Manfred Jung als Canio in Gelsenkirchen 1976/Krämer/Foto privat/Jung

Nach dem Bayreuther Erfolg setzte eine internationale Karriere ein, die ihn erst als Siegmund in die Carnegie Hall (1980), die Jahre darauf als Siegfried und Tristan an die Metropolitan Opera führte. Vor allem als Wagner-Tenor war er in Wien, Paris, Brüssel, Madrid, Barcelona, Warschau (Everding-Ring) gefragt und in der Heimat regelmäßiger Gast an den Staatsopern von Hamburg, München und Stuttgart. Auch Bayreuth hielt er die Treue und rettete 1983 als Einspringer den Ring von Peter Hall und Georg Solti. Hausherr Wolfgang Wagner wusste solche Verlässlichkeit zu schätzen. Ohne einen Sänger wie Jung, der immer auf der Matte stehe, selbst wenn er einmal nicht gut disponiert sei, könne ein Festival wie das in Bayreuth gar nicht existieren, erklärte er freiweg in einem Interview. Auch sein Düsseldorfer Intendant Barfuß rühmte ihn als einen vorbildlichen Ensemblesänger ohne Starallüren.

In den 90er Jahren wechselte Jung vom heldischen mehr und mehr ins Charakterfach, vom Siegfried zum Mime, den er zunächst im Bayreuther Ring unter Alfred Kirchner und James Levine (1994-98) gestaltete, dann auch am Staatstheater Kassel, dessen Produktion in einer künstlerisch interessanten, klanglich sehr ansprechenden CD vorliegt. Als Aegisth und Herodes hatte er auch international große Erfolge, in der letztgenannten Partie war in Barcelona Fiorenza Cossotto seine Bühnen“gattin“ (das hätte ich gerne miterlebt!).

Manfred Jung: als Siegfried an der Met/Foto Met Opera Archive/Jung HP

Manfred Jung: als Siegfried an der Met/Foto Met Opera Archive/Jung HP

Ich habe Manfred Jung nur zweimal live auf der Bühne erlebt (Froh in Hamburg, Tristan in Stuttgart), und das ist ein paar Jahrzehnte her. Die Verfilmung des Chéreau-„Rings“ hat mich bei ihrem ersten Erscheinen sehr beeindruckt und sie tut es heute, beim Wieder-Hinein-Sehen, sogar noch mehr, denn sie zeigt viele Qualitäten, die in der heutigen Wagner-Regie und im heutigen Wagner-Gesang – nicht nur in Bayreuth – verloren gegangen sind.

Das ist besonders gut an Jungs Siegfried zu studieren, dem eine vollkommene Synthese von Sprache, Musik und Darstellung gelingt, wie sie Wagner vorgeschwebt haben dürfte. Die helle, schlanke Stimme ist noch eindeutig dem Zwischenfach zuzuordnen, verleugnet ihre Herkunft aus dem lyrischen nicht, hat andererseits schon die schneidende Schärfe des späteren Charaktertenors. Sie entwickelt aber auch trompetenhafte Strahlkraft in der Höhe, so dass sie heldentenoralen Ansprüchen genügen kann, die Schmiedelieder etwa werden mühelos gemeistert. Das Rollenporträt Jungs ist – durch die Regie, aber auch den Dirigenten Boulez unterstützt – reich an Zwischentönen, Siegfrieds Naivität wird mit vielen komödiantischen Details ausgestattet, das Schlussduett mit Brünnhilde hat die Intimität eines Kammerspiels. Wagner hat das so komponiert, aber die Dirigenten und die Sänger müssen es halt umsetzen. Jungs Textverständlichkeit ist im übrigen vorbildlich, da braucht man keine Unter-(oder Über-)titelung zum Verständnis – tempi passati!

 

Noch auf dem Höhepunkt seiner Sängerlaufbahn übernahm er 1989 die Leitung der Städtischen Chorgemeinschaft Herne, bei deren zahlreichen Konzerten er auch als Orchesterdirigent hervortrat, so in einer Aufführung der 9. Symphonie von Beethoven, in der Karl Ridderbusch den Basspart sang.  Seit neun Jahren nun ist Manfred Jung künstlerischer Leiter der Jungen Musiker Stiftung und in dieser Funktion gleichzeitig als Manager, Pädagoge und Dirigent tätig. Die in Liechtenstein gegründete Stiftung mit Sitz in Bayreuth betreibt die künstlerische und finanzielle Förderung begabter Sänger und Instrumentalisten durch Meisterklassen, Orchesterkurse, Wettbewerbe und Stipendien. Ich habe Jungs Arbeit in dieser Funktion über die Jahre mitverfolgt, als Beobachter, aber auch als Juror, und freue mich, bei dieser Gelegenheit ein paar Eindrücke wiedergeben zu können, die das Bild des Musikers um einige wesentliche Facetten ergänzen.

Manfred Jung: als Parsifal an der Met (wie oben)/Foto met Opera Archive/Jung HP

Manfred Jung: als Parsifal an der Met (wie oben)/Foto Met Opera Archive/Jung HP

Zwei bis dreimal im Jahr findet in Bayreuth eine fünftägige Meisterklasse statt, zu der sechs ausgewählte fortgeschrittene Studenten zugelassen sind, die für den Unterricht nichts bezahlen müssen. Als Lehrer waren in den letzten Jahren viele Sänger aufgeboten, die in Jungs aktiver Zeit im Opernbetrieb Rang und Namen hatten: Kurt Moll, René Kollo, Caterina Ligendza, Helen Donath, Brigitte Fassbaender, Hans Sotin, Harald Stamm, Anna Reynolds – die meisten verfügten über eine längere Erfahrung auch im Lehrbereich. Während die Kollegen im Saale vor Publikum ihre Gesangslektionen erteilen, nimmt sich Jung, selbst ein erfahrener Pädagoge, gern im Korrepetitions-Zimmer die gerade nicht beschäftigten Sänger gleichsam „privatissime“ zur Brust und analysiert die noch bestehenden Mängel ihrer Technik und ihres Vortrags. Anders als die meisten Gesangslehrer besteht er dabei zunächst einmal auf der skrupulösen Einhaltung des geschriebenen Notentextes, insbesondere auch der dynamischen Vorgaben. Das Piano scheint für die meisten Hochschul-Absolventen ein Fremdwort zu sein. Und bei Wettbewerben und Vorsingen gehen ja leider meist die Brüller als Sieger hervor. Doch Jung kennt in diesem Punkt keine Gnade, und das ist gut so. Auch die Textverständlichkeit steht bei ihm zuoberst auf der Agenda. In beiden Belangen scheinen ihm die Musikhochschulen keine ausreichenden Grundlagen mehr zu liefern. So quälend ein solches Jungsches Privatissimum für die jungen Sänger auch sein mag, am Ende steht doch immer die Erkenntnis, dass die genaue Umsetzung der geschriebenen Musik und des Textes bereits die halbe Interpretation ist; erst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann man sich auf technische, stilistische und gesangsästhetische Fragen einlassen, zu denen Jung ebenfalls eine ganze Menge zu sagen hat, wobei auffällt, dass er dabei oft auf die Terminologie der Belcanto-Schule zurückgreift.

Besonders gern denke ich an die vielen Konzerte zurück, mit denen die zweimal jährlich stattfindenden Orchesterkurse für junge Instrumentalisten ihren Abschluss finden und für die Mitglieder renommierter Orchester als Lehrkräfte zur Verfügung stehen. Da kommen stets Talente zusammen, die noch unberührt sind von den Verschleißerscheinungen des Theater- und Konzertalltags und mit Begeisterung und musikantischer Frische ans Werk gehen. In der Probenarbeit bringt sie Jung, auch hier pingelig in der Umsetzung der Vortragsbezeichnungen, zuerst einmal dazu, einander zuzuhören. In einem großen Orchester muss jeder Musiker so sensibel reagieren wie in einer Kammermusik-Formation.  Das Ergebnis am Abend hat mich jedes Mal überzeugt.

logoIm Gedächtnis bleiben Entdeckungen wie das Melodram Medea von Georg Benda zum Nürnberger Gluck-Festival 2012 (mit Martina Gedeck in der Hauptrolle) oder das Violinkonzert von Siegfried Wagner 2013 in der Wartburg (mit dem fabelhaften jungen Geiger Tobias Feldmann). Die Oratorienabende – darunter Der Messias in der Basilika zu Kevelaer, Die Schöpfung in der Leipziger Nikolaikirche und die Johannes-Passion im Altenburger Dom – zeigten Jungs Fähigkeit als Dirigent, die richtige Klangbalance zwischen Orchester, Chor und Solisten herzustellen. Mit knapper, aber klarer Zeichengebung versenkt er sich in die Partituren, ausgreifende Armbewegungen macht er nur, um die Lautstärke abzudämpfen. Dabei steht der geistige oder religiöse Gehalt der Musik immer im Mittelpunkt. Jung macht keinen Hehl daraus, dass er sich keinen der glamourösen Pultstars zum Vorbild nimmt, sondern den alten Eugen Jochum, unter dessen Leitung er häufig gesungen hat.  In den letzten beiden Jahren hat Jung seine vielseitige Tätigkeit für die Stiftung einer schweren Krankheit abgetrotzt und nie einen Termin abgesagt. Meine besonderen Geburtstagswünsche gehen dahin, dass sich sein Gesundheitszustand weiter stabilisieren möge und ihm seine unverwüstliche Energie erhalten bleibe. Ekkehard Pluta