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Es war um 1995. Eine Kollegin besuchte Renate Holm, mit der sie befreundet war. Unbekannterweise trug ich meine Empfehlung für die verehrte Sängerin auf. Bei der Rückkehr in die Redaktion überreichte sie mir ein schönes Foto mit persönlicher Widmung und bestellte herzlichste Grüße – als hätte auch ich die Künstlerin persönlich gekannt. Dem war nicht so. Ich hatte sie nicht einmal mehr in ihrer Glanzzeit auf der Bühne erleben können. Sie aber unterhielt eine große Nähe zum Publikum, die nicht nur professionell gesteuert gewesen ist. Sie entsprach ihrem gewinnenden Wesen.
Obwohl am 10. August 1931 in Berlin als Renate Franke geboren, galt sie als Wienerin. In dieser Stadt feierte sie ihre größten Erfolge. Am Anfang stand ein Jungmädchentraum. Sie hatte den Kinofilm „Premiere der Butterfly“ mit Maria Cebotari gesehen und wollte unbedingt Opernsängerin werden. Durch die Bombenangriffe während des Krieges auf Berlin inzwischen in den nahen Spreewald verschlagen, mussten es vorerst der Schul- und Kirchenchor tun. Ins Berufsleben entlassen, arbeitete Renate als Zahnarzthelferin, um das Geld für die musikalische Ausbildung zu verdienen. Ihr Ehrgeiz führte sie sogar zur berühmten Maria Ivogün, bei der auch Elisabeth Schwarzkopf studiert hatte. In einem vom RIAS veranstalteten Gesangswettbewerb belegte sie den ersten Platz. Um Verwechslungen mit der Schlagersängerin Renée Franke auszuweichen, wurde aus Renate Franke Renate Holm. Nun ging es Schlag auf Schlag. Sie wirkte in Heimatfilmen mit und sang beim Rundfunk, der seinerzeit eine enorme Verbreitung hatte, vornehmlich in Operetten.
1957 wurde die Wiener Volksoper auf sie aufmerksam, wo sie als Helene im Walzertraum von Oscar Straus debütierte. 1960 erfolgte dann gastweise der Wechsel an die Staatsoper, deren Ensemble sie von 1964 bis 1991 angehörte. Die erste Rolle im Haus am Ring, dessen Kammersängerin sie 1971 wurde, war das Gretchen in Lortzings Wildschütz. Gastspiele führten sie an Opernhäuser in aller Welt. 1964 machte sie erstmals in Salzburg als Papagena in der Zauberflöte auf sich aufmerksam. Herbert von Karajan lud Renate Holm 1975 zu den Osterfestspielen an die Salzach ein und übertrug ihr in Puccinis Bohéme die Musette neben Mirella Freni und Luciano Pavarotti. Auf einundsiebzig Auftritte in dieser Partie brachte es Renate Holm in ihrem Wiener Stammhaus, gefolgt von Blondchen in Mozart Entführung (57) und Beethovens Marzelline (32). Zu nennen sind auch Zerbinetta in der Ariadne auf Naxos (16) und die Sophie im Rosenkavalier (24). Ihr Ännchen im Freischütz (26) ist von Orfeo im Mitschnitt der Premiere unter Karl Böhm von 1972 auf CD dokumentiert worden. Die meisten Plattenaufnahmen stammen aus Operetten. Zu ihrem besonderen Markenzeichen wurde denn auch die Adele in der Fledermaus, die sie in der Wiener Staatsoper in siebenundzwanzig Vorstellungen gab. Die Verfilmung in der Regie von Otto Schenk lief im Fernsehen rauf und runter.
Der Sopran von Renate Holm hat einen hohen Wiedererkennungswert. Stets ist sie in ihrem Fach geblieben. Wann und wo immer sie sang, nahmen Publikum und Hörer an den Lautsprechern gute Laune, Optimismus und Wohlgefühl mit. Sie war der lebendige Beweis dafür, dass Kunst auch unterhalten will – und kann. „Sie begeisterte nicht nur mit ihrer Stimme, sondern war auch für ihr Spieltalent bekannt“, heißt es im Nachruf der Wiener Staatsoper. Am 21. April 2022 ist Renate Holm gestorben. Rüdiger Winter / Wikipedia (Foto © Dimo Dimov/Volksoper Wien)