Der griechische Komponist Mikis Theodorakis ist am 02.09.2021 im Alter von 96 Jahren in Athen verstorben. Das Leben des 1925 geborenen Griechen war in einzigartiger Weise vom Kampf um Freiheit und Gerechtigkeit, vom Suchen nach gültigen und verständlichen Ausdrucksformen der Musik und vom Ringen um die Bedeutung der Kunst geprägt. Über seine Anfänge sagte Theodorakis:
„Meine Laufbahn als Komponist ‚ernster Musik‘ begann ich Anfang der Vierzigerjahre, als es in meinem Umfeld eigentlich keine Voraussetzungen dafür gab: kein Orchester, keine sinfonischen Konzerte, keine Musikhochschulen, ja nicht einmal einen Flügel. Als ich bei einer Kinovorführung Beethovens 9. Sinfonie hörte, erklärte ich meinen Lehrern am nächsten Tag in der Schule, dass ich mich ab jetzt nur noch mit Musik beschäftigen werde. Und das tat ich dann auch.“
Aus dieser tiefen Sicherheit erwuchs ein Schaffen, das mehr als hundert großformatige Kompositionen, darunter Symphonien, Ballette, Opern, Kammer- und Schauspielmusiken umfasst. Vieles davon brachte der Komponist als Dirigent selbst zur Aufführung, aber auch Dirigenten wie Thomas Beecham, Charles Dutoit und Zubin Mehta verbreiteten seine Stücke. Im Zentrum des Werks jedoch steht eine einzigartige Reihe von mehr als 1.000 Liedern. Deren Popularität ist bis heute unübertroffen, eine ganze Nation, ja fast die ganze Welt singt diese Lieder.
Bevor Theodorakis die Gattung des „zeitgenössischen Volkslieds“ begründete, hatte er bei Olivier Messiaen in Paris Handwerk und Kunst der „ernsten“ Musik erlernt. Förderer und Bewunderer des jungen Komponisten waren Dmitri Schostakowitsch, Hanns Eisler, Benjamin Britten und Darius Milhaud. Sie sagten dem hochgewachsenen, vitalen und vor musikalischen Ideen nur so sprühenden Theodorakis eine glänzende Karriere voraus. Doch seine beeindruckende Produktivität im symphonischen und kammermusikalischen Bereich endete 1960 mit der Rückkehr nach Athen. Über 20 Jahre schrieb Theodorakis nun keine reine Instrumentalmusik mehr. Liederzyklen, Oratorien, Filmmusik – das waren fortan seine Betätigungsfelder, hier gelang ihm die Verbindung seiner politischen und sozialen Botschaft mit der Musik. Schon als sehr junger Mann hatte er Lieder komponiert, nun besann er sich darauf zurück: Kunstvoll ja, aber im Volk verwurzelt sollten sie sein, eine Botschaft vermitteln, ungezügelt sein und immer neu. Bald trugen Künstler wie Agnes Baltsa, die Beatles, Dalida, Maria Farantouri, Mary Hopkin, Maria del Mar Bonet, Marino Marini, Milva, Georges Moustaki, Nana Mouskouri, Edith Piaf, Herman van Veen und viele andere seine Melodien und damit seine Botschaften in die Welt.
Ein Spätberufener war Theodorakis als Opernkomponist: Erst im Alter von fast sechzig Jahren widmete er sich dieser Gattung, der er von da an im olympischen Rhythmus von vier Jahren einen Beitrag hinzufügte. Alle fünf Opern sind Neuinterpretationen der klassischen griechischen Mythologie. In der Oper verband er die europäische Musiktradition, in der er tief verwurzelt war, mit seiner ureigenen Melodik und dem charakteristisch griechischen Idiom.
Theodorakis nimmt in der Musik- und Geistesgeschichte unserer Zeit eine singuläre Stellung ein. Seine weltweite Popularität, die Vielfalt seines künstlerischen Schaffens, sein persönliches Schicksal und seine politische Karriere machten ihn zu einer der bedeutendsten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte. Er war – trotz des ausgeprägten griechischen Elements in seiner Musik, das sich aus byzantinischen, demotischen und kretischen Quellen speist – in jeder Hinsicht Kosmopolit. Lebenslang setzte er sich, auch unter erlittener Folter und Verbannung, aufopferungsvoll für die internationalen Menschenrechte ein. Er war ein Humanist aus tiefer Überzeugung, der sich niemals in seine Kunst zurückzog, sondern sich bis an sein Lebensende immer wieder in die Tagespolitik einmischte und gerade in schwierigen Zeiten Stellung bezog.
Die Verehrung, die ihm in Griechenland und weit darüber hinaus entgegengebracht wird, fußt nicht nur auf seinem Freiheitskampf und seinen Leiden in den Gefangenenlagern zur Zeit der Diktatur. Vollendete Kunst mit der Sprache des Volkes zu verbinden, das ist das nachhaltige Vermächtnis des Meisters Theodorakis. Was könnte dafür exemplarischer stehen als seine berühmteste Komposition: Die Melodie zu Anthony Quinns Tanz in Michalis Cacojanns‘ legendärem Film Alexis Sorbas wurde zur heimlichen griechischen Nationalhymne und steht mit ihrer Bedeutung für die Menschen in einer Reihe mit Verdis Va pensiero und mit der Melodie, durch die Theodorakis als Komponist zu dem wurde, was er war: Beethovens Ode an die Freude (Foto Bilios/ Quelle Schott Music/ 2. 98. 2021)