Am 21. November 2018 starb der russische Bass Maxim Michajlov. Den Namen seines mythischen Vorgängers im Ensemble des Bolschoj-Theaters (Maxim Dormidontovič Michajlov, 1893-1971), trug er zu Recht – er war nämlich dessen Enkel. Sein Vater, Igor Maximovič Michajlov (1920-1983), war – eine wohl einmalige Dynastie – ebenfalls als Bass Mitglied des Bolschojensembles; er hat weniger Spuren als sein Vater und sein Sohn hinterlassen, ist aber immerhin auf zwei offiziellen Melodija-Gesamtaufnahmen der 50erj Jahre zu hören (als König in Aida unter Melik-Pašaev 1954 und als Zareckij in Onegin unter Chajkin 1955).
Maxim Michajlov der Jüngere wurde 1962 in Moskau geboren. Er schlug zunächst nicht die Sängerlaufbahn ein, sondern studierte am Moskauer Gnessin-Institut Posaune. Ab 1981 war er Soloposaunist im Bolschoj-Orchester, und da fiel er dem Bassisten Artur Ejzen auf (ob er bei Proben mitgesungen hat?). Unter Ejzen absolvierte er nun parallel zu seiner Posaunistenanstellung eine Gesangsausbildung und wechselte – auch dies wohl ein Unikat – 1987 fliegend vom Orchester auf die Bühne. Im selbem Jahr gewann er den 2. Preis des Glinka-Gesangswettbewerbs. Von da an sang er, wie auf der Homepage des Bolschoj-Theaters nachzulesen ist, praktisch das gesamte Bassrepertoire und einige Bassbaritonpartien. Explizit erwähnt werden Sarastro, Figaro (Nozze), Golaud, Méphistophélès, Ramfis, Susanin, Gremin, Kontschak, Varlaam, Chovanskij, Sobakin, Dodon und der Baron (Rachmaninovs Geiziger Ritter) – eine Tendenz ins Charakterfach lässt sich erkennen, eben eher Varlaam und Chovanskij und nicht oder seltener Boris, Pimen und Dosifej. Darin liegt eine klare Parallele mit seinem Lehrer Artur Ejzen, mit dem ihn neben der beeindruckenden, im Zweifelsfall eher expressiven als balsamischen Stimme auch ein herausragendes darstellerisches Talent verband. Das soll nun aber nicht heißen, dass Michajlov nicht auch mit Rollen wie Zaccaria oder Banco reüssiert hätte.
Seine internationale Karriere begann 1993 mit dem 1. Platz im Belvedere-Wettbewerb. Er hat von der MET über Covent Garden bis zur Scala praktisch an allen großen Opernhäusern gastiert – nicht immer in großen Partien, aber er wusste eben jede Rolle einprägsam zu gestalten. Dabei reichte sein Repertoire von Giove (Cavallis Calisto, Wien 1998) über Masetto (Covent Garden 1996), Sarastro (Wien 1996), Banco (Oslo 2000) bis zu Polonius (Thomas, Hamlet, MET 2010); vor allem aber war er natürlich im russischen Repertoire häufiger Gast „im Westen“ (Dodon in Graz 1996/7, Müller in Dargomyschskijs Rusalka in Wexford 1997, Nikititsch und Tschernjakovskij unter Abbado im Salzburger Boris 1998, Pope in Lady Macbeth in Bruxelles 1999 und an der Scala 2007 u.v.m.). Eine besonders enge Zusammenarbeit verband ihn mit der Dirigentenfamilie Jurovskij. Michajlovs Repertoire umfasste auch zeitgenössische Partien; sein bärbeißig-kraftvoller Lear in Sergej Slonimskijs Shakespeare-Oper unter Vladimir Jurovskij z.B. ist in der Videosammlung des Moskauer Tschajkovskij-Konzertsaals vollständig zu sehen (https://meloman.ru/concert/korol-lir/).
In den letzten Jahren arbeitete Michajlov auch als Regisseur; am Northern Lights Music Festival in Minnesota inszenierte er Gianni Schicchi, I Pagliacci und Evgenij Onegin.
Meine eigenen Live-Erlebnisse mit Maxim Michajlov begannen mit seinem Dolochov in Krieg und Frieden 2005, zum letzten Mal habe ich ihn als Nikitisch und Offizier im Boris im Juni 2018 gehört, beides an der Bastille und unter Vladimir Jurovskij. Unter dem selben Dirigenten war er im November 2016 in der konzertanten Aufführung von Prokofjevs Semjon Kotko am Concertgebouw Amsterdam der zwielichtige Tkatschenko, dem er auch in diesem Rahmen schillerndes Profil zu verleihen mochte, vom griesgrämigen unwilligen Schwiegervaterbuffo in den ersten Akten bis zum rücksichtslosen Verräter in der zweiten Hälfte. Solche zwischen komisch und bedrohlich lavierenden Charaktere lagen ihm besonders gut (ich erinnere mich an seinen Lady Macbeth-Polizeichef in Antwerpen 2014), aber auch im Buffofach war er ein Vergnügen (etwa als Teufel in Tschajkovskijs Pantöffelchen in Covent Garden 2009).
Über die Todesursache schweigt sich auch die Bolschoj-Homepage aus; es ist in jedem Fall ein Verlust (Foto Mariinski Theatre St Petersburg). Samuel Zinsli