Er war über Jahrzehnte hinweg das dirigentische Aushängeschild seines Landes Lettland und wurde zu den bedeutendsten lebenden Dirigenten überhaupt gerechnet. Die Rede ist von Mariss Jansons, geboren am 14. Jänner des so furchtbaren Jahres 1943 in Riga. Schon damals hatte er, der Sohn des lettischen Dirigenten Arvids Jansons und der jüdischen Mezzosopranistin Iraida Jansone, Glück im Unglück. Ein erheblicher Teil der Familie seiner Mutter wurde von den Nazis ermordet. Wie sein Vater vor ihm, schlug Mariss Jansons eine musikalische Laufbahn ein, widmete sich am Konservatorium von Leningrad, wo Arvids Jansons Assistent des berühmt-berüchtigten Chefdirigenten Jewgeni Mrawinski war, zunächst dem Klavier- und Violinstudium. Gegen anfängliche Vorbehalte des Vaters schlug auch er letztlich eine Dirigentenkarriere ein, vollendete seine Studien ab 1969 in Wien bei Hans Swarowsky und in Salzburg bei Herbert von Karajan, wo er bereits 1971 den zweiten Preis des Herbert-von-Karajan-Dirigentenwettbewerbs erhielt. Zwar wurde Jansons junior bereits damals eine Assistenzstelle bei den Berliner Philharmonikern offeriert, doch verhinderten die sowjetischen Behörden, dass er seinerzeit davon überhaupt erfuhr. So blieb er zunächst in Leningrad, ab 1973 als assoziierter Dirigent bei den Leningrader Philharmonikern. Ab 1979 war er für über zwei Jahrzehnte Chefdirigent der Osoloer Philharmoniker. In diese Ära fällt auch sein zunehmendes internationales Renommee. Erste Schallplatteneinspielungen kamen zustande und trugen seinen Namen in die Welt. In Olso blieb Jansons bis es im Jahre 2000 zu Meinungsverschiedenheiten über die Akustik des dortigen Konzertsaales kam und er seinen Rücktritt erklärte. Bereits 1992 war er zum Ersten Gastdirigenten des London Philharmonic Orchestra berufen worden und gastierte auch mit dem London Symphony Orchestra. Schon während seiner Zeit in Oslo schloss er einen Kontrakt als Musikdirektor des Pittsburgh Symphony Orchestra in den USA ab, dem er zwischen 1997 und 2004 zusätzlich vorstand. Diese parallele Belastung durch die Leitung mehrerer Orchester gleichzeitig wurde über viele Jahre zu einem Markenzeichen, forderte aber auch früh seinen Tribut. Bereits 1996 erlitt Jansons in Olso bei einem Dirigat von Puccinis La bohème einen beinahe fatalen Herzinfarkt (er war der Oper mehr zugetan, als man landläufig annimmt). Sein Vater Arvids war einer ebensolchen Herzattacke 1984 in Manchester zum Opfer gefallen. Die ärztlich verordnete Zurückhaltung hielt Mariss Jansons, wie bereits angedeutet, indes nur kurz ein. Aufgrund eines zunehmenden Jetlag entsagte er zwar seinem Posten in Pittsburgh, wurde dafür kurz nacheinander Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks (2003) sowie des Königlichen Concertgebouw-Orchesters Amsterdam (2004). Sage und schreibe elf Jahre leitete er diese beiden Weltklasseorchester zugleich, ehe ihn abermals gesundheitliche Gründe 2015 zum Rückzug vom Concertgebouw zwangen. Obgleich sein Schwerpunkt danach München gewidmet war, führten in Gastdirigate insbesondere zu den Wiener Philharmonikern, wo er insgesamt dreimal das dortige Neujahrskonzert leitete (2006, 2012, 2016). 2007 dirigierte er mit dem BR-Symphonieorchester Beethovens Neunte im Vatikan vor Papst Benedikt XVI. Vielfach dekoriert und ausgezeichnet (u. a. Ehrenmitglied der Berliner und Wiener Philharmoniker), verordnete sich Jansons bis zuletzt Optimismus, so noch im Juli 2018, als er seinen Vertrag in München ambitioniert bis zum Jahre 2024 verlängerte. Sein gesundheitlicher Niedergang war indes nicht mehr zu aufzuhalten und sorgte in den letzten Monaten vermehrt für Diskussionen, musste er doch zahlreichen Konzertverpflichtungen entsagen. Sein letztes Konzert in München dirigierte er am 25. Oktober 2019; seinen letzten Auftritt auf dem Podium überhaupt hatte er während der Gasttournee des Symphonieorchesters des BR am 8. November 2019 in der Carnegie Hall in New York. Jansons, der zweimal verheiratet war und eine Tochter aus erster Ehe hatte, starb am späten Abend des 30. November 2019 in seinem Haus in St. Petersburg im Alter von 76 Jahren im Kreise seiner Familie. Er hinterlässt eine gewaltige Diskographie, hauptsächlich eingespielt für EMI und die Eigenlabels des BR – sowie des Concertgebouw-Orchesters (Foto BR/ Peter Meisel). Daniel Hauser