Goldmarks „Merlin“

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Nach seinem Welterfolg Die Königin von Saba (1875) wartete Carl Goldmark (1830-1915) über zehn Jahre, bis er seine Oper Merlin 1886 herausbrachte. Dies zeigt seine Akribie bei Komposition und Instrumentation; außerdem verzichtete er bei der neuen Oper auf jede Orientalistik, die ihm in der Königin von Saba auch Kritik eingebracht hatte. Wie damals bei anderen auch, ist der Einfluss Richard Wagners übermächtig: So gibt es Leit- und Erkennungsmotive für Merlin und seine geliebte Viviane, aber ebenfalls für den Dämon und die Fee Morgana.

Goldmarks „Merlin“: Felsengegend, Bühnenbildentwurf von Hermann Burghart zur Uraufführung am 19. November 1886/ Wikipedia

Merkmale der ganz großen Oper wie der prächtige Aufzug zum Auftritt des Königs Artus, dessen Ansprache oder das an Tristan und Isolde erinnernde Liebesduett Viviane/Merlin weisen unüberhörbar auf Wagner. Auf der anderen Seite löst sich Goldmark vom Bayreuther Meister, indem er Elemente der französischen grand opéra  und des italienischen Belcanto einfließen lässt. Eigenes findet sich in impressionistischen Anklängen im Geisterchor oder in Naturbeschreibungen. Überhaupt ist der Farbenreichtum der Komposition beachtlich, wenn der Dämon und auch die Fee Morgana eher düster daher kommen, während die Welt des König Artus mit seinen Rittern mit hellen, festlichen Klängen versehen werden.

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Nach einer kurze Renaissance durch Aufführungen 1997 in Trier, auch als Kurzfassung in der Kinderoper Köln, die 2008 auch in Bremen herauskam, gab es 2009 als Welt-Ersteinspielung die hier besprochene Studio-Aufnahme; danach wurde Merlin offenbar wieder vergessen. Wie ich finde, zu Unrecht, denn wie angedeutet gibt es alles, was an romantischer Oper beeindruckt, prächtige Chorszenen, Charakterzeichnungen vom Feisten und spannende dramatische Entwicklungen. Dies wird auch auf der verdienstvollen Aufnahme deutlich, die in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk entstand. Der Gründer und musikalische Leiter des Ebracher Musiksommers Gerd Schaller sorgt als Dirigent der Philharmonie Festiva(!)-Orchesters für vorwärtsdrängendes Musizieren, lässt die lyrischen Passagen mit der nötigen Ruhe ausspielen und –singen und bändigt die opulenten Klangfluten des großen Apparats. Insgesamt überzeugt das homogene Sängerensemble, das von Anna Gabler (Viviane) mit frischem, aufblühendem Sopran angeführt wird. Merlin wird von Robert Künzli (Foto oben) sicher gestaltet; routiniert führt er seinen nur selten etwas stumpf klingenden Heldentenor in fließenden Gesangslinien und mit Strahlkraft durch die Klippen der sehr  anspruchsvollen Partie. Dem kernigen Bass von Frank van Hove (Dämon) fehlt einiges an unheimlicher Ausstrahlung. Dagegen passt der abgerundete Mezzo von Gabriela Popescu gut zur Fee Morgana; würdevoll klingt Sebastian Holecek als König Artus. Aus seiner Ritterschaft sollen genannt werden Brian Davis mit markantem Bariton als der treue Lancelot, Daniel Behle als schönstimmiger Verräter  Modred, während In-Sung Sim als Glendower mit sonorem Bass auffällt. Ausladende Klangpracht verbreitet der durch Andreas Herrmann bestens vorbereitete Philharmonische Chor München. Das Hören der Aufnahme wird durch das ungemein informative Beiheft erleichtert, das einen klugen Artikel über Komponist und Werk des Dirigenten Gerd Schaller und das vollständige Libretto enthält (Edition Hänssler Profil PH09044 3, 3 CDs). Gerhard Eckels

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.Bisherige Beiträge in unserer Serie Die vergessene Oper finden Sie hier