.
Hurrah! Große Freude für Liebhaber der französischen Grand Opéra: Félicien Davids Vesuv-Oper Herculanum gibt´s bei Palazzetto Bru Zane/ Edciones Singulares (ISBN 978-84-606-8439-8; Note 1). Nun endlich, nachdem die Aufführung in Versailles wegen der akuter Heiserkeit der Mezzosopranistin Karine Deshayes in der zentralen Rolle der verführerischen Königin Olympia nur gekürzt stattfinden und ebenso bei Radio France nur so übertragen werden konnte. Rund ein Viertel der Oper fehlten (und man hört auf dem In-house-Mitschnitt die Arme nur ihre Rezitative kraftlos murmeln). Aber keine Sorge, man war bereits im März 2014 in die Brüsseler Oper La Monnaie gegangen, und es gibt das Ganze nun ungekürzt. auf CD im eleganten CD-Buch mit Infos und einführenden Artikeln nebst zweisprachigem Libretto.
.
Was für ein bemerkenswertes Werk – 1859, ein Jahr vor Wagners umgearbeitetem Tannhäuser (Livret en francais de M. Nuitier, dem Bibliothekar der Opéra und von dem unglücklichen M. Dietsch dirigiert, der mit dem Vaisseau phantôme), stellt es so etwas wie den Apex der konservativen französischen großen Oper dar: ausladend, üppig, mit allen Griffen in die Trickkiste der Pariser Oper. Da bebt die Erde, schwingen Nackte die Hüften, und der alte Streit zwischen Christentum und heidnischer Fleischeslust feiert Urständ´. Die wollüstige Olympia versucht kurzfristig erfolgreich , den keuschen Christen Hélios vom rechten Weg abzubringen, und als Bestrafung für ihre und seine Sünden spuckt der Vesuv die todbringende Lava aus – was für ein Sujet!!! Das Ganze dazu wirklich wunderbar gesungen (Véronique Gens, Karine Deshayes, Edgaras Montvidas, Nicolas Courjal und Julien Véronèse; Choer de la Radio Flamande) und fesch gespielt (Brussels Philharmonic; Hervé Niquet) – man kann sich freuen!!! Sowas hört man nicht alle Tage, und die Champagnerkorken poppen beim „Hoch“ auf alle Beteiligten.
.
Die Aufnahme: Dabei stehe ich nicht an, diese Einspielung zu den best besetzten der letzten zehn Jahre zu zählen. Selten hat man ein so stimmiges Ensemble gehört: Die Solisten alle in extrem guter und vor allem auch engagierter Form, der fabelhafte Flämische Radio-Chor als Hofgefolge der Olympia superb, die Brüsseler Philharmoniker mit Avec und Schwung, aber auch mit seidiger Sinnlichkeit. Musikalisch ist dies eine ebenfalls interessante Sache, denn David gönnt sich einen beinahe rossinianisch geführten Mezzo für die anspruchsvolle der Olympia, der Karine Deshayes absolut und mit Elan gerecht wird – man weiss erst jetzt, was man in Versailles verpasst hatte. Gleich zu Beginn hat sie eine höllisch schwere Koloraturarie, und sie stirbt ebenso. Véronique Gens habe ich kaum je so leuchtend und höhenstark-dramatisch (in der Partie der srandfesten Christin Lilia) gehört, in besserer Form als jüngst in Montpelliers Lalo-Oper. Der junge Tenor Edgares Montvidas glänzt als Hélios zwischen der Frauen (und eben zwischen lustvollem Heidentum und entsagendem Christenglauben – die Parabel ist mehr als offensichtlich) mit heroisch-jugendlichen, feurigen Noten und wie seine Kollegen mit absolut erster Diktion: Es ist eine Freunde, dieses wichtige Werk des Grand Repertoire so idomatisch von nur Francophonen zu hören. Sexy Bariton Nicolas Courjal lässt Körnig-Sonores für den fiesen Verführer/Satan selbst hören und erfreut das Ohr, während Julien Vénonèse gebührend dräuend als der Prophet Magnus zu hören ist. Stilistisch/musikalisch horcht man bei den verdianischen Wendungen auf, die man in manchen Ensembles erkennt.
Und überhaupt schlägt das zeitgenösische Idiom zwischen Rossini, Meyerbeer (Nonnenballett und ganze Teile aus Robert le Diable wie auch Le Prôpète), Verdi oder Gounod immer wieder durch – eine Hörstunde in Sachen Musik aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Und eine Lektion in Orchestrierung, denn mir scheint, die musikalische Erfindung steht hinter der üppigen, einfallsreichen Orchestersprache zurück. Die Melodien werden gerne parallel geführt und vermeiden, bis auf die beiden Soli der Königin Olympia, das Ausladend-Virtuose. Bewundernswert sind allerdings die Übergänge in die großen Ensembles, an denen die Oper reich ist. Ein wenig wie bei Spontini: Kaum ist wer auf der Bühne kommt der nächste und noch einer, und schon haben wir wieder ein Ensemble. Dies bei sehr abwechslungsreichem Einsatz namentlich der Holzbläser. Was sehr schöne Wirkungen erzielt und vom belgischen Orchester mit Glanz wahrgenommen wird.
Ausgestattet ist dies CD-Buch im etwas unbequemen Format beispielhaft, wenngleich die groben Drucke der Abbildungen doch stören. Die Texte über David und seine Oper, ob Einschätzungen von Alexandre Dratwicki, Etienne Jardin, Günther Braam oder anderen, breiten eine Palette an Aspekten aus, und das zweisprachige Libretto (französisch-englisch) ermöglicht das Verfolgen des Gesungen. Fabelhaft – in der Reige der bislang veröffentlichten französischen Opern dieses Projektes, ob nun die Ediciones, Decca oder Glossa etc. will mir diese Aufnahme die wichtigste und bestdurchgeführte scheinen. G. H.
.
.
Zum Werk: Félicien David (1810-1876) war einer der wichtigsten Repräsentanten der Grand Opéra in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Er war vor allem mit meist orientalisch inspirierten Werken erfolgreich, und sein Herculanum, das am 4. März 1859 in Paris uraufgeführt wurde, festigte seine enorme Popularität. Diese Grand Opéra in 4 Akten auf ein Libretto von Joseph Méry ist von der Vulkan-Katastrophe im Jahre 79 n. Chr. inspiriert und reiht sich in die in dieser Epoche angesagten religiösen Interpretationen der Zerstörung antiker Städte ein – mit dem offensichtlichen Ziel der Förderung der katholischen Doktrin. In dieser Sicht galt der Ausbruch des Vesuvs als eine Strafe Gottes, die über eine dekadente antike Welt der Vielgötterei hereinbricht, in der die ersten Christen verfolgt werden. Es finden sich ab den vierziger Jahren des Jahrhunderts zahlreiche Opern- und Bühnenwerke (und auch reichlich Belletristik) mit diesem Sujet. Man denke nur an Les Martyrs, Le Dernier Jour de Pompei, L´Ultimo Giorno di Pompei oder Bulwer-Lyttons Roman.
Davids cinematographische, an Meyerbeer orientierte (und deshalb eigentlich beim Nur-Hören um die Hälfte ihrer Wirkung beraubte) Oper beginnt im Palast der Olympie in Herculanum, in einem antiken, orientalisch angehauchten Dekor, das an der Pariser Oper entscheidend zum Erfolg beitrug. Die Menge führt der Königin (gleichzeitig Oberpriesterin eines nicht näher bezeichneten Kultus) zwei junge Christen zu, Hélios und Lilia, und verlangt ihren Tod als Ketzer. Olympie entbrennt sofort für den schönen jungen Mann und beschließt, ihn zu verschonen, während ihr bruder, der grausame Prokonsul Nicanor, der sich zeitweise auch mal schnell in den Satan selbst verwandelt, versucht, die unschuldige Lilia zu verführen. Was nicht klappt. Der Vesuv grummelt so vor sich hin. Hélios, berauscht von einem Zaubertrank, verfällt der Königin, begeht Voraussehbares und leugnet seinen Glauben. Nach einigem Hin und Her verzeiht ihm aber schließlich die ihn liebende Ilia (die Dramaturgie lässt wirklich zu wünschen übrig, ebenso auch die Musik in den entscheiden Momenten, denn der vom Blitz erschlagene Bösewicht sinkt bei nur leichtem Trommelrumpeln zu Boden, da hätte man mehr erwartet). Ballette und Bacchanale, Chöre, virtuose Melodien und Donnerhall des Orchesters folgen aufeinander, während der Vesuv grollt und die Erde bebt zu den Verwicklungen der wüsten Handlung. In einem Schwall von Lava, Flammen und Blitzen begräbt die endgültige Eruption des Vesuvs die Stadt und ihre Bewohner: eine Bestrafung der Ungläubigen und die Erlösung für die die beiden Christen (im Himmel, denn sie sterben natürlich auch, wenngleich fröhlich).
Die Uraufführung 1859 war ein stürmischer Erfolg. Hector Berlioz schreibt eine genaue und begeisterte Kritik in Le Journal des débats : „Ich glaube nicht, dass man je in der Oper etwas Großartigeres gemacht hat als die Aufführung von Herculanum. Man ist geblendet durch die Pracht der Kostüme, der antiken Waffen: Etliche Bühnenbilder sind wahre Wunderwerke; das der letzten Szene, die an das berühmte Gemälde von Martin Die Zerstörung von Ninive „ist ein Meisterwerk.“. Man stelle sich die üppigen Bühnenbilder und die genialen Einfälle vor, die allein technischen und pyrotechnischen Kunstgriffe, um den Vulkanausbruch am Ende der Oper zu bewerkstelligen. Es war eine absolut cinematographische Schöpfung, ganz im Geiste der Meyerbeerschen Bühnenwerke.
Der zeitgenössische Musikkritiker Paul Scudo äußert sich zwar weniger lobend als Berlioz in seiner Rezension über Herculanum in der Revue des deux mondes im Jahr 1859, aber er hebt wie sein Kollege hervor, was er als unzweifelhafte Erfolge bezeichnet, nämlich stupende Wirkung der Bühnenbilder. Und er verspottet geistvoll die zu ausladenden oder zu schlichten Melodien ebenso wie die Schwächen eines Librettos, dessen Urheberschaft auch Gegenstand heftiger Debatten unter den zahlreichen Mitstreitern Davids war.
Als Beispiele: „Die Melodie dieser Art Gesanges ist ein wenig traurig und erinnert eher an alte Weihnachtslieder, als dass sie die Idee dieser ursprünglichen Kirchenhymnen vermittelt, von denen der heilige Augustinus mit solcher Begeisterung in seinen ´Konfessionen´ spricht“ oder bei der Verwandlung von Nicanor in den Satan: „Nach dieser Szene vollzieht sich eine Verwandlung, die man nur schwer versteht, selbst wenn man das Libretto in der Hand hat.“… Die Gazette de Paris vom 26 März 1859 bringt eine sehr unterhaltsame Satire über das Werk von David, voll von Stilblüten und Anachronismen. Die Personen sind nun Ricanor und Camélia geworden. Man befindet sich in der Babylonstraße in Herculanum. Und nicht genug, dass die Libretto-Texte parodiert werden, schreibt die Gazette sie zu allem Überfluss diesen oder jenen Mitarbeiter Davids zu, die sich eben darüber gestritten hatten. Aus dem Zaubertrank ist eine „Zauberpflaume“ geworden, dargereicht durch Lamm-ehr-mohr-oh (orientalisierende Übersetzung, die gleichzeitig an die Oper von Donizetti erinnert und an die Mère Moreau, ein Argot-Ausdruck für einen Pflaumenschnaps). Und man macht sich über den Propheten lustig, dessen Arie nur aus einem einzigen Ton komponiert zu sein scheint, einem H. Fleißige Musikverlage machen zudem aus den bekanntesten Melodien Lieder und Tänze, die den Erfolg der Oper verlängern (so eine sehr beliebte Quadrille und eine Polka). Mehr kann man von der Nachwirkung einer Oper nicht verlangen… Antoinette Parcour (Übersetzung wie stets durch die liebenswürdige Ingrid Englitsch – danke!)
.
.
Foto oben: The last day of Pompei/ Karl Bruellow/Ausschnitt /Wiki; und auch der Bericht auf der Seite von Radio France ist informativ. Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.
.