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Ein eigenartiger Zwitter ist La Conquista di Granata des spanischen Komponisten Emilio Arrieta in bester italienischer Belcanto-Manier und in italienischer Sprache, wie sie auch das iberische Publikum im 19. Jahrhundert in der Oper über alles schätzte. Es geht um die Vertreibung der Mauren aus dem Emirat Granada unter der spanischen Königin Isabella von Kastilien, auch Sponsorin von Columbus, deren historisch ebenso wichtiger Gatte Ferdinand von Aragon in der Oper nicht erwähnt wird.
Übrigens fällt im Libretto auf, dass mit „moro“ Maure und nicht etwa Mohr gemeint ist, was aufschlussreich für die Herkunft Otellos sein dürfte. Stoff und Ausführung sind nicht nur patriotisch, sondern erzkatholisch und recht heikel, wenn von „il gregge vil di Allha“ (tatsächlich so geschrieben) und der „razza impura“ die Rede ist, von political correctness also nicht die Spur. Der Inhalt ist schnell erzählt: Der Kampf um die Alhambra soll durch ein Duell zwischen dem Sohn des arabischen Fürsten Muley-Hassem und einem spanischen Ritter entschieden werden. Der von Isabella Auserwählte lässt für sich jedoch den verkleideten Freund kämpfen, da der Feind der Bruder seiner Geliebten ist. Es gibt viele Missverständnisse, aber am Schluss wird alles aufgeklärt, und nach der längst heimlich dem Christentum zugehörigen Zulema wird nach einem frommen Traum auch ihr Vater Anhänger des in einem Schlusschor als siegreich gepriesenen Glaubens.
Sicherlich ist es nicht der so martialische wie frömmelnde Inhalt der nach erfolgreicher Uraufführung 1850 in Madrid in Vergessenheit geratenen Oper, der Jesús López Cobos 2006 veranlasste, sie konzertant den Madrilenen wieder vorzustellen und sie nun erneut bei Dynamic herauszubringen. Es ist die eng an Donizetti angelehnte, äußerst melodienreiche Musik des Komponisten, der in Mailand seine Ausbildung erhalten und in Italien auch erste Erfolge gehabt hatte. Einige wenige Passagen, so der Chor der Frauen, die die angeblich glückliche Braut preisen, erinnern an Ernani und damit an den frühen Verdi. Nach der Conquista schrieb Arrietta keine weitere Oper, sondern widmete sich ganz der Zarzuela.
Wie eindeutig Cobos das Werk der Donizetti-Tradition zuordnet, zeigt auch seine Besetzung, vor allem die der Tenorpartie mit José Bros, bewährtem Belcantosänger in unzähligen Aufführungen und Aufnahmen. Auch als spanischer Ritter Gonzalo bewährt er sich mit durchgehend über alle Register hellem Timbre, obertonreich und mit beeindruckender Höhensicherheit. Ihm zur Seite steht Mariola Cantarero mit einem Sopran von bitterer Süße und feiner Höhe als zum Christentum konvertierte Zulema, mit vorzüglicher Diktion und nur im „Non più pace“ ein wenig scharf klingend. Fein beseelt singt sie die Ballade „Nella terra di Giudea“. Mit einem Mezzosopran besetzt ist die Königin Isabel, der Ana Ibarra deliziöse Farben, aber auch Schärfe und Härte verleiht. Sie ist koloratursicher, weist aber in der Extremtiefe Schwächen auf. Ihren großen Moment hat sie mit dem voller Furor gesungenen „Prendi, la lama“. Eine große Enttäuschung ist Alastair Miles als Muley-Hassem, sonst doch ein zuverlässiger Sänger und hier mit Intonationsschwierigkeiten, hohl und holprig klingend und von allen guten Singegeistern verlassen. Ángel Ódena ist mit virilem, nicht optimal gestütztem Bassbariton der treue, aufopferungsbereite Freund Lara, David Menéndez singt mit schwergängigem Bass den Möchtegernbräutigam Alamar, David Rubiera hat für den Boabdil einen soliden Bariton. Ganz vorzüglich ist der Chor unter Jordi Casas Bayer, voller Elan und in den Melodien schwelgend, dazu mit guten Solisten bestückt, das Orquesta Sinfoníca de Madrid unter Jesús López Cobos (Dynamic CDS 618/1-2). Ingrid Wanja
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge dieser Serie Die vergessene Oper hier.
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