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Nach dem überwältigenden Erfolg der Salierischen Danaides im November 2013 im Theater an der Wien ging der Dirigent Christophe Rousset mit seiner Equipe in das historische Theater von Versailles und schließlich in das Arsenal von Metz, um einen rauschenden Triumph nach dem anderen zu feiern. Wie bereits bei anderen Projekten des Palazetto Bru Zane in seiner Restaurierung der Romantischen französischen Oper fragt sich der deutsche Opernfan, warum sich in Deutschland oder der Schweiz kein Haus fand, sich dieser Tournee anzuschließen? Hier gibt’s Figaro und den x-ten Macbeth, aber keine Hinwendung zur Französischen Musik des Sixieme Siècle, wie beklagenswert. Aber nun ist bei Ediciones Singolares (ES 1019; Note 1) die CD des Konzertes aus dem Arsernal von Metz von 2013 erschienen. „Kein Geringerer als der Erzromantiker Hector Berlioz äußerte sich bewundernd über Les Danaides von Antonio Salieri. Mit dem Werk über den Massenmord der Töchter des Danaos an ihren frisch angetrauten Ehemännern war dem ehemaligen Gluck-Schüler tatsächlich eine der revolutionärsten Opern des Ancien Régime gelungen. Christophe Rousset und Les Talens Lyriques unterstreichen die Bedeutung des Werkes und bereiten uns ein spannendes Opernerlebnis.“ (schreibt jpc).
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Es ist ja nicht so, dass man dieses Werk nicht kannte – Montserrat Caballé hatte sich (ungeeignet) der Oper an verschiedenen Orten angenommen. Gianluigi Gelmetti war ein weiterer Champion für diese Oper, die er nicht wirklich überzeugend bei EMI eingespielt (namentlich Margaret Marshal war der Schwachpunkt), vorher aber in Ravenna fulminant geleitet hatte (Dessi, Gimenez u. a.). Oehms hat einen gelungenen Mitschnitt unter meinem stets bewunderten Dirigenten Michael Hofstetter (mit der etwas klein- und scharfstimmigen Sophie Marin-Degor). Aber die neue Aufnahme setzt ganz andere Maßstäbe und ist für mich diejenige, welche man haben muss, wenn man sich für diese spannende Übergangszeit interessiert. Hier gibt es Drive, Drama, ersten Gesang und eine packende Musik.
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Die Aus- und Aufführungen hätten nicht glanzvoller sein können. Christophe Rousset dirigiert mit Feuer und Elan, ungemein rythmisch und zupackend, seine Chöre und Orchester folgen ihm gespannt-kongenial, und die Solisten verströmen Kompetenz und Idiomatik. Allen voran der wunderbare Bass Tassis Christoyannis als Danaus mit markantem, mal balsamischem, mal zynischem Bass, eine ganz große Leistung. Der junge Philippe Talbot als Lyncée profiliert sich mit wirklich süßem Tenor, und mit der jungen Judith Van Wanroij steht als Hypermnestre ein leuchtender Mittelpunkt des Abends auf dem Podium. Und dies alles ist nun auf die CD gelangt dank des Palazetto Bru Zane, der einen Edelstein seiner inzwischen beträchtlichen Sammlung an Aufnahmen dieses Repertoirs hinzugefügt hat. Das Ganze wieder verpackt in die bewährten Buch-Editionen von Ediciones Singolares, der Haus-Marke vom Palazetto Bru Zane, mit gewohnt düsteren Abbildungen in grauem Schwarz-Weiß, dazu Aufsätze von Benoit Dratwicki und Marc-Henri Jordan (letzterer hochinteressant über die Bühnenausstattung und die architektonische Sprache der Danaides-Dekorationen) sowie zeitgenössische Kritiken zur Oper, zweisprachig (und nicht in Deutsch).
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Nachstehend ein Aufsatz mit einer Werkeinschätzung des Dirigenten Christophe Rousset, bevor die Aufnahme auf den Markt kam (website der Talens Lyriques).
Antonio Salieri [1750 – 1825] „Die Danaiden“ Lyrische Tragödie in fünf Akten, uraufgeführt am 26. April 1784 in der königlichen Musikakademie in Paris. Libretto von Tschoudi und Roullet. Mit den „Danaides“ von Salieri setzen die ‚Talents Lyriques‘ die Erforschung des von Italienern komponierten französischen Repertoires am Ende des 18. Jahrhunderts fort, nach „Medée“ von Cherubini und „Renaud“ von Sacchini letzte Saison. Salieri kam aus Wien nach Paris, vor allem um hier, wo die Oper einen so starken Platz einnahm, von den Mitteln zu profitieren, die er in Wien nie gehabt hätte. Er entwickelt eine ehrgeizigere und kühnere Form als in seinen italienischen Opern. Die Wichtigkeit der Chöre ist so groß, dass wir, wenn wir auch nicht der Mitgliederzahl der damaligen Zeit entsprechen können, einen doppelten Chor einrichten müssen. Wir gehen an diese post-barocke Ästhetik mit einem Gefühl des Entdeckens und Staunens heran, das die Orchester der damaligen Zeit empfunden haben müssen, als sie sich mit diesem neuen und im Vergleich zum alten Stil revolutionären Stil beschäftigten. „Die Danaiden“ sind sicherlich eines der großen Meisterwerke.
Werk und Komponist: 1784 erfährt die Pariser Oper eine gewisse Beruhigung, nachdem sie sich in einem Streit, der zehn Jahre vorher begonnen hatte, halb zerrissen hatte. Der Misserfolg von „Echo et Narcis“ von Gluck im Jahr 1779 und der enttäuschende Erfolg von „Iphigénie en Tauride“ von Piccinni im Jahr 1781 setzen den Polemiken zwischen den Anhängern von Gluck und denen von Piccini ein Ende, wobei die einen die französische Musik hochhielten und die anderen Anhänger einer Öffnung für die italienischen Einflüsse waren. Gluck zieht sich also nach Wien zurück und beendet seine Karriere. Allerdings kündigt er im Frühjahr 1758 an, noch einmal mit einem letzten Meisterwerk auf die Bühne der königlichen Musikakademie zurückzukehren, den „Danaides“, inspiriert von der Tragödie „Hypermnestre“ von Le Mierre (uraufgeführt im Jahr 1758 an der Comédie française, damals ein gewisser Erfolg), nach dem Jean-Georges Noverre im Jahr 1764 ein Ballett schuf („Les Danaides ou Hypermnestre“, nach einer Musik von Rodolphe). Gluck, der selber 1744 in Venedig eine „Ipermnestra“ komponiert hatte , hätte damit an eines der ersten Themen, das er behandelt hat, wieder angeknüpft.
Das Thema eignet sich perfekt für die Tragédie lyrique, eine Gattung, mit der Gluck die französische Oper revolutioniert hatte, indem er sich auf die Wildheit der antiken Mythologie stützte. Die Erben des ägyptischen Königreiches, Ägyptus und Danaos haben beide viele Nachkommen: Der eine hat fünfzig Söhne, der andere fünfzig Töchter. Als sich ein Krieg zwischen den beiden Brüdern ankündigt, zieht es Danaos vor, mit seinen Töchtern nach Griechenland zu fliehen, aber die Söhne von Egyptus verfolgen sie, weil sie ihre Kusinen als Gattinnen haben wollen. Danaos heuchelt ihrem Wunsch nachzukommen, aber er inszeniert den kollektiven Mord an seinen Neffen durch die Frauen in ihrer Hochzeitsnacht. Nur Hypermnestra, die Älteste der Danaiden, verschont Lynceus, den Mann, dem sie bestimmt war. Ihre Verbindung wird besiegelt, während die anderen Danaiden im Tartaros bestraft werden.
Der Librettist Calzabigi schuf 1778 für Gluck ein Libretto auf Italienisch. Wenn das Fiasco von „Echo et Narcisse“ auch die Realisierung des Projekts verhinderte, wurde der Text doch von Roullet und Tschoudi ins Französische übersetzt, und man überträgt die Komposition dem Wiener Antonio Salieri. Aber „Les Danaides“ werden in der ersten Folge ihrer Aufführung in Paris als ein von Gluck und Salieri gemeinsam geschriebenes Werke dargestellt. Erst nach der 6. Vorstellung gibt das Journal de Paris Salieri als einzigen Verfasser der Oper bekannt. Dieses Desinformationsspiel erlaubte dem Werk, sich im Repertoire der königlichen Musikakademie zu behaupten (es wird bis 1828 immer wieder aufgeführt.) und Salieri die Türen zu den französischen Bühnen zu öffnen, als dem neuen Anführer der Gluckschen Schule, die auch „ Les Horaces“ 1786 und vor allem „Tarare“ im Jahr 1787 hervorbrachte.
Die düsteren Akzente der „Danaides“ – genährt von verminderten Septakkorden, von frenetischen Tremoli und viel Verwendung von Posauen – und die Geschicklichkeit Salieris, sich den Gegebenheiten der französischen Tragédie lyrique anzupassen, haben der Oper lange den Vorwurf einer Imitation von Gluck eingebracht, der gegenüber die Kommentatoren das Original vorzögen. Der große Erfolg der gewalttätigsten Szenen (insbesondere im 4. Akt) und auch die überzeugende Qualität der Ouvertüre genügen, um dieses Urteil als übereilt zu betrachten. Dieses Werk von 1784 öffnet klar den Weg für neue Komponistengenerationen: die Behandlung des Chors der „Danaides“ wie einen ganz eigenen Protagonisten, gewisse Passagen des 5. Akts oder auch die Konzentration der Handlung um die Person Hypermnestras deuten schon auf die „Medee“ von Cherubini (1797) oder auf „Les Bajadères“ von Catel (1810) und im Allgemeineren auf die Anfänge der romantischen Oper hin.
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Antonio Salieri, geboren am 18. August 1750 im Nordosten Italiens in Legnago, der Sohn eines reichen Kaufmanns, verlässt rasch sein Heimatland und zieht nach Österreich. Er lässt sich mit 16 Jahren in Wien nieder. Hier wird er der Schüler von Florian Leopold Gassmann, dem Wiener Hofkomponisten und Dirigent der italienischen Oper, der ihn fördert. Gassmann verschafft Salieri eine vielfältige Ausbildung: Er lehrt ihn Geige, Cembalo, Gesang, Kontrapunkt, aber auch Rhetorik, Latein, Deutsch, Französisch und Dichtkunst… Salieri wird Christoph Willibald Gluck und dem Dichter Metastasio vorgestellt.
Mit 24 Jahren wird Salieri Gassmanns Nachfolger in dessen Funktionen und 1778 eröffnet er die Scala in Mailand mit der Oper „Europa riconosciuta“. Sein Ruf steigt ständig in ganz Europa, denn mehrere seiner Opern werden an der Pariser Oper aufgeführt (Tarare, 1787, mit einem Libretto von Beaumarchais). 1778 wird Salieri zum Chordirigenten ernannt und bleibt es bis 1824. Sein letztes Erfolgswerk ist die Oper „Palmira, regina di Persia“ (1795). Aber am Ende des Jahrhunderts versteht er, dass seine Zeit vorbei ist und dass er sich nicht dem neuen musikalischen Genre anpassen kann. Daher hört er bis zu seinem Tod fast gänzlich mit dem Komponiern auf. (Dank wie stets an die hilfsbereite Ingrid Englitsch für ihre Übersetzung!)
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Antonio Salieri Les Danaides, (après les Concerts Autriche, Vienne, Theater an der Wien Samedi 16 novembre 2013; Versailles, Opéra Royal, Mercredi 27 novembre 2013; Metz, Arsenal Vendredi 29 novembre 2013); Enregistrement discographique Palazzetto Bru Zane; Distribution: Hypermnestre | Judith Van Wanroij Danaüs | Tassis Christoyannis Lyncée | Philippe Talbot; Plancippe | Katia Velletaz; Pélagus, officiers | Thomas Dolié; Les Talens Lyriques; Direction musicale | Christophe Rousset; Les Chantres de la Maîtrise du Centre de musique baroque de Versailles; Direction des chœurs | Olivier Schneebeli
Foto oben: La représentation des Danaïdes à l’Académie Royale appogiatura.net
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.