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Im Karolinischen Jahr 2014 (vor 1200 Jahren – am 28. Januar 814 – starb Karl der Große in Aachen) gab es am 5. Dezember 2014 eine absolut unbekannte Oper von Giuseppe Nicolini (1762 – 1842) in Frankfurt als konzertante Aufführung beim Frankfurter Motettenchor unter dem Dirigenten Thomas Hanelt.
Die konzertante Aufführung im Frankfurter Cantate-Saal war eine gelungene. Allein schon die mit vielen witzigen Wendungen durchsetzte Ouvertüre zeigte die Schönheiten des Werkes und die beeindruckende Klangsprache des Russischen kammerorchesters aus St. petersburg unter der leitenden hand von Thomas Hanelt. Jeweils den solistischen und Chor-Auftritten fügte Michael Quast (Schauspieler und Intendant der Fliegenden Volksbühne Frankfurt) humorvolle texte zur erheiternden Erhellung der abenteuerlichen Handlung (im Karolinischen Germanien) ein, die die vorhersehbaren Verwicklungen und Beziehungen klar stellten (Liebeswirren um Karl den Großen). Der Motettenchor Frankfurt schlug sich opernhaft-ehrenvoll und begleitete die etwas dünne Aktion mit Verve. Solistisch war man mit dem Bariton Michael Mrosek am glücklichsten, der eine schöne sonore Stimme als Hohepriester vernehmen ließ (Timothy Sharp sag die Partie an den übrigen beiden Abenden). Auch Ralf Simon, der in der Tenor(!)-Rolle des Carlo Magno auftrat, schuf aus seiner Partie eine greifbare Persönlichkeit, dazu verfügt er über eine gutsitzende Tenorstimme. Ich bin ja nicht wirklich ein Fan von Falsettisten und habe Robert Crowe auch in Berlin und Potsdam erlebt, also gebe ich meine Befangenheit zu – mir wäre ein satter, hochagiler Mezzo für die Velutti-Partie des Karl-Gegenspieler Vitekindo, Anführer der Sachsen, lieber gewesen. Ein Sopranist ist eben kein Kastrat.. Bernadette Schäfer blieb als Rosmilda ein wenig höhenängstlich und im ganzen mir zu mädchenstimmig, aber sie machte einen sicheren, guten Job als einzige Frau zwischen der kriegerischen Männlichkeit, die von Boyan Di als Statthalter Arbantes ergänzt wurde. Ich selber hätte gerne einige Rezitative mehr gehört, aber das ist wohl unter diesen Umständen nicht zu schaffen. So war man/ich dankbar, diese hochinteressante Oper zu hören, deren Klangsprache doch ungewöhnlich ist, die mit fast schon galanten Wendungen bereits zum klassischen Belcanto tendiert (Nicolini starb erst 1842), wenngleich vieles noch im Seria-Stil des späten 18. Jahrhunderts verhaftet ist. Es ist wirklich das Verdienst Hanelts, dieses Werk ausgegraben und vor allem den absolut unterrepräsentierten Komponisten vorgestellt zu haben – namentlich in Deutschland kennt ihn wirklich kaum jemand, und selbst in Italien gab´s nur Heiteres bislang. Was für ein spannender Abend, danke! A. H. Commert
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Ein paar Worte zum Ereignis und zum Komponisten: Im Juni 2013 entdeckte Hanelt in der Bayerischen Staatsbibliothek in München ein Libretto der Oper Carlo Magno Giuseppe Nicolinis (1762-1842). Schnell wurde klar, dass es sich hier um das einzige Werk der Operngeschichte handelt, in dem die Person Karls des Großen und seine Zeit im Mittelpunkt stehen.
Nicolini, der um die Jahrhundertwende des 19. Jahrhunderts größte Popularität mit seinen mehr als 50 Opernkompositionen erlangte, geriet in der Folgezeit mit dem Aufkommen eines neuen Opernstils zunehmend in Vergessenheit, und ist vielen Opernliebhabern, vor allem in Deutschland, bis heute unbekannt geblieben. Nicolini wurde am 29. Januar 1762 in Piacenza geboren. Seine ersten musikalischen Unterweisungen erhielt er von seinem Vater Omobono Carletti, genannt Nicolini, Organist und Kapellmeister in Piacenza. Von 1778 bis 1784 studierte Nicolini am „Conservatorio napoletano di Sant’Onofrio“. Sein Lehrer war Giacomo Insanguine und später Dominico Cimarosa. In dieser Zeit schrieb er seine erste Komposition, das Oratorium „Daniele nel lago dei leoni“ (1781). Laut zeitgenössischen Berichten machte er anschließend als Organist der Kirche San Paolo in Piacenza auf sich aufmerksam. Im Jahre 1793 debütierte Nicolini als Opernkomponist in Parma mit La famiglia stravagante. Es folgen über 50 weitere Bühnenwerke. Als Aufführungsorte dieser Werke sind alle berühmten Opernhäuser Italiens überliefert, wie die Scala in Mailand, das Teatro La Fenice in Venedig oder das Teatro San Carlo in Neapel. Besondere Aufmerksamkeit erregt Traiano in Dacia, uraufgeführt 1807 in Rom, sowie die Uraufführung der Oper I baccanali di Roma am 21. Januar 1801 in der Mailänder Scala.
1819 erfolgte Nicolinis Ernennung zum Kapellmeister an der Kathedrale seiner Heimatstadt. Nach 1820 gelang es ihm, seine Erfolge in Italien und Europa fortzusetzen, ab 1831 finden seine Opernkompositionen jedoch mit einer Änderung des Publikumsgeschmacks keinen Beifall mehr. Er wandte sich völlig der Kirchenmusik zu. Sein geistliches Werk umfasst unter anderem 40 Messen, 13 Kantaten und 7 Oratorien. Giuseppe Nicolini starb am 18. Dezember 1842 in Piacenza und wird heute als letzter Vertreter der klassischen Neapolitanischen Schule gesehen, die ab 1800 an Bedeutung verlor und in der Folge in einem neu aufkommenden, national geprägten Musikgeschmacksstil aufging. Der Hauptvertreter dieses Wechsels war Gioachino Rossini. Seit einer Umstrukturierung im Jahre 1977 trägt das vormalige „liceo- musicale“ seiner Heimatstadt den Namen Conservatorio di Musica „Giuseppe Nicolini“ Piacenza. Thomas Hahnelt
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Der Motettenchor Frankfurt, der in den letzten Jahren einige Bühnenwerke vom Barock bis zur Moderne aufgeführt hat, wollte diesen sensationellen Fund wieder zugänglich machen und die Oper 2014 anlässlich des 1200. Todestages Karls des Großen in Frankfurt und in der Rhein-Main Region nach 200 Jahren erstmals wieder aufführen. In diesem so genannten Melodramma serio geht es um eine Episode zur Zeit der Unterwerfung des Sachsenherzogs Widukind im Jahre 785. Ort der Handlung ist die Eresburg im heutigen Westfalen, in der Nähe von Karls Königspfalz Paderborn. Der Librettist Antonio Peracchi hat ein mehr oder weniger fiktives Intrigenspiel am Hofe Karls des Großen entwickelt, dessen Ausgang auf historischen Fakten beruht.
Thomas Hanelt hat anhand alter Programmhefte herausgefunden, dass die Partie des Widukund in vielen Aufführungen (u. a. in München) von dem damals weltberühmten Kastraten Giovanni Battista Velluti gesungen wurde. Dies ist ein weiteres Indiz für Nicolinis herausragende Bedeutung als Komponist, da er seine Partien den besten Solisten seiner Zeit gewissermaßen auf den Leib schneidern konnte. Und auch Gioachino Rossini schrieb zur selben Zeit einige Rollen eigens für Velluti. T. H.
Carlo Magno: Melodramma serio von Giuseppe Nicolini (1762 – 1842) Konzertante Aufführungen; 5. Dezember 2014; mit Bernadette Schäfer, Sopran; Ralf Simon, Tenor; Robert Crowe, Sopran; Boyan Di, Bariton u.a.; Männerstimmen des Motettenchor Frankfurt; Michael Quast, Moderation; Thomas Hanelt, Leitung
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.