E. T. A. Hoffmanns „Aurora“

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Am 25. Juni 2022 jährte sich der 200. Todestag des Allround-Künstlers E. T. A. Hoffmann. Schriftsteller, Musiker, Theatermann und natürlich (gern vergessen) Jurist in Preußischen Diensten in Bamberg, Posen, Würzburg und Berlin. Die berühmte Darstellung von Hoffmann (eigentlich Ernst Theodor Wilhelm Hoffmann, * 24. Januar 1776 in Königsberg, Ostpreußen; † 25. Juni 1822 in Berlin) und seinem Freund, dem Schauspieler Devrient im Schauspielhaus-nahen Lutter & Wegner ist heute, auch Dank des noch immer verkauften Sektes, allen Weinkennern bekannt, weil auf dem Etikett abgebildet. Und natürlich hat ihm Offenbach ein – wenn auch verzerrendes – Denkmal gesetzt.

Aber Hoffmann als Komponist ist in Vergessenheit geraten. Gelegentlich tauchen Aufführungen seiner kurzen, heiteren Stücke auf, aber seine großen Opern wie Undine oder Aurora oder auch Dirna liegen wie Blei und existieren nur in vergriffenen Einspielungen bei Bayer-Records unter dem verdienstvollen Hermann Dechant (1995) und  und (Dirna) bei cpo als WDR-Übernahme von 1998 unter Johannes Goritzki. Undine gibt es zudem unter Sammlern in einer schönen Rundfunkeinspielung vom BR/1971 mit Rita Streich in der Titelrolle – die CD-Übernahme fiel dem Copyright-Bann zum Opfer. Ähnlich erging es der Radioübertragung unter Robert Heger mit der anmutigen Antonia Fahberg aus Bamberg 1959, die Musikliebhaber natürlich ihr Eigen nennen.  Glaube, Liebe und Eifersucht, eines der lässlicheren Singspiele wurde in Schwetzingen vom Theater Heidelberg 1982 wiederbelebt.

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E.T.A. Hoffmann und sein Zechkumpan, der Schauspieler Ludwig Devrient, im Weinkeller von Lutter und Wegner in Berlin/ Staatsbibliothek Berlin/ E. T. A. Hoffmannportal

Hoffmanns Undine folgt mit Abweichungen dem vom Kollegen Lortzing bekannten Plot. Unbekannt ist hingegen seine Aurora, die wir als Hommage an den genialen Theatermann und Literaten Hoffmann in seinem Todesjahr 2022 vorstellen wollen. Sein Chef und Freund, der Bamberger Theaterleiter Franz von Holbein, verfasste das Textbuch zu Aurora und Cephalus (so der Originaltitel). Auch von dieser Oper sind kaum Aufführungen bekannt, wurde sie doch durch widrige Umstände erst 1933 in Bamberg in malträtierter Fassung erstaufgeführt. Ein Gastspiel aus Posen 2008 ließ in einer drastisch gekürzten Form (neuer Titel: Cephalus und Procris) das Bamberger Publikum ratlos zurück, Rainer Lerwandowskis Inszenierung galt als nicht besonders werkdienlich. Der Bayer-CD unter Hermann Dechant ging eine Konzertante Aufführung in Bamberg 1999 voraus. So war es die geniale Bearbeitung von Librettist und Regisseur Peter Lund an der Neuköllner Oper 1993 (Doppel-l weil nach dem alten Berliner Vorort Neu-Kölln benannt), die dem Berliner Operngänger bleibend im Gedächtnis ist.

Zu dieser Aufführung schrieb Jürgen Maier für das Programmheft den nachstehenden Artikel, den wir mit Dank an den Autor und die Neuköllner Oper Berlin wiederholen. E. T. A. hätte sich darüber sicher gefreut – denn von weiteren Ehrungen an den Opernhäusern von Berlin (wo sein Grabstein auf dem Friedhof am Halleschen Tor und das ehemalige Kammergericht/ heute Jüdisches Museum von seinem Wirken zeugen), Bamberg (immerhin sitzt dort die E. T. A. Hoffmann-Gesellschaft), Posen und anderen Stationen seines Lebens hört man 2022 gar nichts. Deutschland und seine Künstler eben … G. H.

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E. T. A. Hoffmanns Aurora“ an der Neuköllner Oper in Berlin1993/ Szene/ NKO

Und nun eine Einführung von Jürgen Maier: „Zum Musiker bin ich nun einmal geboren, das habe ich von meiner frühesten Jugend an gefühlt und mit mir herumgetragen. Nur der mir innewohnende Genius der Musik kann mich aus meiner Misere reißen – es muss jetzt etwas geschehen, etwas Großes muss ge­schaffen werden im Geiste der Bach, Händel, Mozart, Beethoven!“ So begeistert und überzeugt von seiner mu­sikalischen Sendung äußert sich E.T.A. Hoff­mann noch 1812, dem Jahr der Fertigstellung der Aurora. Aus unserer 180 Jahren späte­ren Perspektive verwundert es immer wieder, wie sehr der Literat Hoffmann sein Schicksal mit der Musik verband und wie spät er erst zur Literatur und damit zum Erfolg fand.

1776 in Königsberg geboren, wächst Hoff­mann nach der Trennung der Eltern unter der Obhut der Familie seiner Mutter auf. Er erhält früh musikalischen Unterricht durch seinen Onkel, später dann durch den Domorgani­sten Podbielski. Aus familiärer Tradition her­aus studierter Jura, vertieft aber parallel seine musikalischen Kenntnisse und versucht sich, der Zeitströmung entsprechend, im Verfassen von Romanen. Nach einer ersten Anstellung am Gericht in Glogau kommt Hoffmann 1798 nach Berlin ans Kammergericht. Hier gerät er erstmals in Kontakt mit den modernen Strö­mungen in der Musik und Literatur und lernt u. a. auch den herumreisenden Gitarristen und späteren Librettisten der Aurora, Franz von Holbein (1779-1855), kennen. 1799 schreibt und komponiert er seine erstes Singspiel Die Maske, das er in der Folgezeit vergebens dem Königlichen Nationaltheater zur Aufführung anbietet.

E. T. A. Hoffmanns „Aurora“ als „Cephalus und Procris“ im Gastspiel aus Posen in Bamberg 2008 / Bayern3

1800 wird Hoffmann nach Posen befördert, von wo er aber nach nur zwei Jahren in das Provinznest Plock strafver­setzt wird. Der Grund hierfür sind von Hoffmann gezeich­nete Karikaturen der Posener Gesellschaft, die auf einer Karnevalsredoute verteilt werden und offenbar so treffend sind, daß die Posener Honoratioren einen Regierungs-As­sessor Hoffmann für nicht mehr tragbar halten. In Plock lernt Hoffmann seine spätere Frau Mischa kennen, mit der er nach dem Tod einer gemeinsamen zweijährigen Tochter alleine bis an sein Lebensende zusammenbleiben wird. 1804 gelingt es Hoffmann, seine Versetzung nach War­schau zu erwirken. Dort bietet sich ihm in der von ihm mit gegründeten „Musikalischen Gesellschaft Warschau“ endlich auch ein weites Betäti­gungsfeld für seine vielseitigen künstlerischen Fähigkeiten. Er besorgt die Inneneinrichtung der neuen Räume, er komponiert und diri­giert, gestaltet Programmzettel und Bühnen­bild und ist bald ein angesehenes Mitglied der Warschauer Gesellschaft.

Das Glück währt aber nur kurz. Ende 1806 marschieren die Franzosen ein, und der preu­ßische Beamte Hoffmann verliert seine Stel­lung. Hoffmann geht deshalb 1807 zum zweiten Mal nach Berlin, wo er ein Jahr großer Not erlebt, gleichzeitig aber versucht, die Kunst zum Mittelpunkt seines Lebens zu machen.

E. T. A. Hoffmann/ Selbstbildnis/ Alte Nationalgallerie Berlin/ Winter

Mit einer 1807 veröffentlichten Anzeige gelingt es Hoffmann, eine Anstellung als Musikdirektor am Bamberger Theater zu be­kommen, die er im Herbst 1808 antritt. Der erhoffte künstlerische Erfolg tritt aber zunächst nicht ein. Das Theater hat finanzielle Proble­me, es gelingt Hoffmann aber auch nicht, das Orchester für sich zu gewinnen, sodass er die Orchesterleitung niederlegt und als Theater­komponist mit geringerem Gehalt angestellt wird. 1810 übernimmt Franz von Holbein die Leitung des Theaters, und es beginnt nun eine fruchtbare Zeit der Zusammenarbeit, in der das Bamberger Theater auch überregionale Bedeutung erhält. Holbein, dem die Leitung des Theaters angetragen wurde, ist ein erfah­rener, weitgereister Theatermann. Er wird später seine Karriere als Direktor des Burgthea­ters und der Hofoper in Wien beschließen. Hoffmann lernt von Holbein viel über die Theatermaschinerie und die Dramaturgie des Theaters. In dieser Zeit beginnt er, seine Theorien zur wahren romantischen Oper zu entwickeln.

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Hoffmann hat umfangreiche Schriften zur Musik hinterlassen. Hier ist er ein Erneuerer, und seine Einflüsse reichen weit ins 19. Jahr­hundert. Mit seinem musikalischem Werk gelingt ihm dies nicht, wenngleich diese Werke in technischer wie künstlerischer Hinsicht durchaus auf der Höhe ihrer Zeit waren und viele Elemente der Romantik beinhalten und vorwegnehmen. 1811, als Hoffmann mit der Aurora beginnt, liegt seine letzte Oper drei Jahre zurück. Er hat in diesen Jahren eine Wandlung durchgemacht, die ihn von Mozart zu Gluck führte und die er erstmals 1 810 in einer Rezension von Glucks Iphigenie in Aulis zum Ausdruck brachte Hoffmann kritisiert dort sicherlich auch sein früheres Schaffen, weshalb die Aurora als ein erster Schritt in jene Richtung zu werten ist, die später mit Wagner ihren Höhepunkt hatte: das Posen als die höchste Verschmelzung von Musik, Wort und Bild.

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E. T. A. Hoffmanns „Aurora“ in der bislang einzigen Aufnahme bei Bayer Records, inzwischen vergriffen/ Hermann Dechant dirigiert in der Folge des Konzertes in Bamberg 1990.

Die Oper: Ob die Aurora damals jene Lust ausgelöst hätte – man weißes nicht. Der Stoff der Aurora, die Geschichte von Cephalus und Procris war damals ein durchaus bekanntes und eingeführtes Theater- und Opernthema. Es ist von Holbein im Stile der Opera seria dahingehend bearbeitet, dass der Ehebruch und die politischen Intrigen völlig fehlen und alle Hauptfiguren recht emotional angelegt sind. Die Liebe, deren Erfüllung und die Entsagung aus Größe sind die Themen des Librettos, ganz im Stile der frühen Romantik. Der dramaturgische Aufbau ist sehr zielsicher auf die damaligen Möglichkeiten der Theatermaschinerie gesetzt, die Handlung ist nicht zwingend, aber einigermaßen logisch, auch wenn die Titelfigur Aurora erst ab dem 2. Akt recht spärlich auftaucht und die Geschichte letztendlich auch ohne ihr Zutun ihre Lösung finden würde. Für unsere heutigen Ohren nur schwerlich nachvollzieh­bar ist das Pathos der Verse und insbesondere der Sprechdialoge. Hoffmann mag aber seinen Gefallen daran gefunden haben, denn „der Plan, die Idee der Oper, wie der Dichter sie gibt, muss den Komponisten begeistern; und war sie dazu geeignet, die Phantasie aufzuregen, so wird ihre im Einzelnen matte oder verfehlte Ausführung ihn nicht aus der Begeisterung reißen“.

Die spärlichen Tagebucheintragungen Hoffmanns aus dem Jahre 1811 zeigen jedenfalls, dass Hoffmann sich mit viel Energie an die Arbeit machte. Ist der Stoff eigentlich ein Opera-seria-Sujet, so weist die Dominanz der Ensemble-Nummern in Richtung Opera buffa. Die Dialoge dürften, da Hoffmann sie eigentlich nicht mochte, dem damaligen Trend zum Singspiel geschuldet sein. Was schon beim ersten Hören für diese Oper einnimmt, sind die Transparenz und Leichtigkeit des Orchestersatzes. Dies wird erreicht durch die meist große Selbständigkeit der Streicher- und Bläsergruppen, die in ständigem Dialog miteinander stehen. Nur selten setzt Hoffmann den vollen Orchesterapparat ein. Auch verzichtet er auf große virtuose Anforderungen an das Orchester. Vielmehr versucht er überzeugend, die Musik in den Dienst des dramatischen Verlaufs zu stellen. Die Singstimmen entfalten sich frei über dem Orchester, die Ensembles sind meist Dialogszenen, in denen die Handlung spannungsreich und musikalisch stringent vorangetrieben wird. Nur selten werden die Stimmen vom Orchester gestützt, unnötige Verzierungen findet man kaum, und die Koloraturen sind ausgeschrieben. Auch zeigt Hoffmann ein sehr genaues Gefühl forden Sprachduktus. Ungewöhnlich vielfarbig ist die Einbindung der großen Chöre. Hoffmann setzt sie zur Erzeugung räumlicher Effekte ebenso ein wie als Hinter­grund-Rahmen und vor allem als handlungshemmendes und damit spannungsförderndes Element. Ungewöhnlich zart und stilistisch neu ist der Einsatz von Orchester und Chor bei der Zeichnung stimmungsvoller Bilder, wie z. B. der Sphärenwelt der Aurora. Nicht nur hier, sondern auch beim Einsatz von Erinnerungsmusiken, die in Richtung Leitmotiv weisen, verlässt Hoffmann seine Vorbilder, so dass die Aurora zu einem spannungsreichen Werk zwischen Klassik und Romantik wird.

E. T. A. Hoffmann und Frau in der Berliner Taubenstrasse/ eigenhändige Zeichnung/ Berliner Staatsbibliothek

Das Scheitern des Ideals: Im Vergleich zu den ersten beiden Aktschlüssen wirkt das große Finale sehr zerfahren und kann überraschenderweise nicht die geweckten Erwartungen erfüllen. Man kann spekulieren, dass Hoffmann, während er die Aurora schrieb, in seine fünfzehnjährige Gesangsschülerin Julia Marc verliebt war, die mit dieser Liebe zwar kokettierte, jedoch nie ernsthaft eine Beziehung in Erwägung zog. Diese Liebe machte ihn, wie sein Tagebuch belegt, ob ihrer Unmöglichkeit in der engstirnigen Bamberger Gesellschaft beinahe wahnsinnig, und Hoffmann konnte sich bei der Fertigstellung der Aurora vermutlich weder in ein erfülltes Liebesgefühl noch in stille Entsagung einfinden.

Das Problem der gebrochenen Darstellung der Erfüllung und des Glücks begegnet uns aber auch in Hoffmanns literarischem Werk. Hier gelingt es ihm jedoch mit den Mitteln der Ironie, die ihm in der Musik seiner Zeit noch nicht zur Verfügung standen, diese Unzulänglichkeit, die zwangsläufig aus dem irdischen Dasein entspringt, zu umgehen und das wahre Empfinden seinen Lesern zu überlassen. Dass nach der Aurora nur noch die Undine folgte, ist neben äußeren Umständen sicher auch der Tatsache geschuldet, dass Hoffmann die Zerrissenheit seiner Existenz, aber auch das nahe Scheitern des rein poetischen Lebensgefühls der Romantik spürte. Dies darzustellen, fiel ihm als Schriftsteller offenbar leichter.

Der überbordende Idealismus der Aurora macht es schwer, heutzutage an eine Inszenierung zu denken. Jedoch bietet das Werk neben seiner wichtigen musikgeschichtlichen Stellung gerade durch sein leises Scheitern viele Ansatzpunkte, die auf das Abgleiten der poetischen Romantik in das Biedermeier verweisen.

E. T. A. Hoffmanns Aurora“ an der Neuköllner Oper in Berlin 1993/ Szene/ NKO/Peter Lund

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Die weitere Geschichte: Dem Bamberger Theater geht das Geld aus, eine geplante Auffüh­rung der Aurora in Würzburg entfällt wegen des Krieges. Hoffmann verlässt 1813 Bamberg und wird Musikdi­rektor der Secondaschen Operntruppe in Leipzig und Dresden. Auch hier eckt er schnell an, offen­bar gibt es Differenzen mit dem Direktor darüber, wie dem Publikumsgeschmack Genüge getan werden kann. Nach der Kündigung nimmt Hoff­mann wieder, zunächst kostenlos, eine Stellung als Staatsbeamter in Berlin an. Mittlerweile eilt ihm durch seine Erzählungen Der goldene Topf und Ritter Gluck schon ein gewisser Ruf voraus, so dass er problemlos weitere Geschichten verkaufen kann. Mit der Aufführung der Undine im August flackert noch einmal kurz die Möglichkeit einer musikalischen Karriere auf, die Hoffnung, eine Kapellmeisterstelle zu bekommen, erfüllt sich aber nicht. Mit dem Brand des Schauspielhauses werden unter anderem die Dekorationen der Undine zerstört und damit offenbar auch alle weiteren Ambitionen Hoffmanns in diese Rich­tung.

Bis zu seinem Tode 1822 schreibt er noch einige Gelegenheitskompositionen. Anerkennung und Ruhm aber wird ihm nun endlich durch sein überaus reges literarisches Schaffen zuteil. Er verbringt seine letzten Jahre als anerkanntes Mit­glied der Künstlergemeinde Berlins und erlangt auch durch seine gesellige Trinkfestigkeit eine stadtweite Bekanntheit. Sein Tod ist überschattet von dem Konflikt um die Novelle Meister Floh, in der er die restaurative Gesinnung der Restauration persifliert. Die sich vermutlich zu Recht getroffen fühlenden juristischen Kollegen Hoffmanns starten eine Kampagne, die der kränkelnde Hoffmann nicht überlebt. Wenn sich die schnöde Wirklich­keit der Poesie annimmt, dann scheint die Poesie verloren.

E. T. A. Hoffmanns Aurora“ / Staatsbibliothek Berlin

Von der Partitur der Aurora verbleibt das Original in Würzburg und wird dort vergessen. Eine Abschrift landet in Wien, geht durch mehrere Hände und ist bis 1962 verschollen, als sie auf einer Auktion auftaucht und von der Staatsbiblio­thek Bamberg erworben wird. Im November 1933 findet eine auf dem Würzburger Material basie­rende Aufführung des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“ statt. Musik und Text erfahren dabei aber starke Eingriffe, die das Werk unkenntlich ma­chen, so dass von einer Uraufführung nicht gespro­chen werden kann. Somit ist die Inszenierung der Neuköllner Oper in Berlin 1993 tatsächlich die erste szenische Aufführung, ziemlich genau 180 Jahre nachdem Hoffmann die letzten Stimmen und Ab­schriften fertiggestellt hat.

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Der Seltenheit wegen nun der Inhalt der Oper:  1. Akt: Procris, eine Königstochter, hat auf der Jagd einen flötenden Hirtenjungen kennen und lieben gelernt. Als Pfand überreicht Procris ihm eine Blumengirlande. Der junge Hirte mischt sich unter das Jagdgefolge und folgt Procris.

Im königlichen Garten teilt Erechtheus seinem Feldherrn Polybius mit, daß er Procris mit König Dejoneus vermählen will. Überraschend teilt Poly­bius mit, daß er selbst auch Procris zu heiraten wünscht. Als Procris mit dem Jagdgefolge eintrifft, stellt er sie vor die Wahl. Verzweifelt verlangt Procris Aufschub. In ihrem Gemach offenbart sie Polybius ihre neu gefundene Liebe, der daraufhin großmütig verzichtet und Procrisverspricht, ihrbei der Erfüllung ihrer Liebe zu helfen. Sie solle zum Schein ihn als Bräutigam wählen.

Hoffmanns Grabstein auf dem Friedhof am Halleschen Tor, Berlin/ für uns Heutige überraschend ist das W. als drittes Inizial/ A. für Amadeaus war ein selbstgegebener Vorname, aber auf dem Grabstein musste der originale Wilhelm erscheinen/ Foto Winter

Im Inneren eines prächtigen Tempels sind Volk und Priester anwesend, und alle harren der Ent­scheidung Procris‘. Wie vereinbart wählt sie Poly­bius. Dejoneus will zu den Waffen greifen, der Vater ist entsetzt. Plötzlich tritt der junge Hirte hen/or und will sich in sein Schwert stürzen, da er sich von Procris verraten glaubt. Procris wirft sich in seine Arme. Die Priester sind bestürzt über diese Entweihung des Tempels. Philarcus, Leibwächter des Dejoneus, scheint etwas an dem Hirten zu erkennen, doch wagt er nichts darüber zu sagen. Die Fürsten und Priester fordern den Tod des Hirten, und Polybius bietet sich an, das Urteil zu vollstrecken.

2. Akt: Im Tempel der Aurora am Meeresrand versteckt Polybius den jungen Hirten. Der Hirte bittet die Göttin um Gnade und Schutz. Die Mor­genröte naht, und Aurora steigt aus den Fluten. Sie nähert sich dem Jüngling und verliebt sich sogleich in den Unglücklichen. Sie lockt ihn in ihr Reich, indem sie verspricht, ihm bei der Erlangung seiner Liebe zu helfen, dabei sich selbst meinend. Polybi­us meldet unterdessen Erechtheus den Vollzug des Todesurteils. Der hinzukommende Dejoneus will die erlittene Schmach nur vergessen, wenn ihm Procris als Sklavin übergeben wird. Dies versetzt Erechtheus in Rage, und er will das Schwert ziehen, als Procris, um Gnade für den Hirten flehend, hereinstürzt. Erechtheus verweist auf die Meldung von Polybius, woraufhin Procris sich endgültig verraten glaubt. Es gelingt jedoch Poly­bius, im Verlauf des Streites Procris unauffällig die Wahrheit mitzuteilen. Ihre freudige Reaktion er­klärterden beiden Königen als Geistesverwirrung aus Liebesschmerz. In ihrem Palast gesteht Aurora dem jungen Hirten ihre Liebe, unterstützt von Flötenspiel und Sirenengesang. Der Jüngling bleibt jedoch standhaft, allein Procris gilt seine Liebe. Aurora gibt sich geschlagen. Sie will ihm helfen.

“ L´Aurore“/ Gemälde von Fragonard/ Louvre Paris

3. Akt: Im königlichen Garten findet Dejoneus Philarcus im Schlafe redend. Ersprichtvon Diome- des, der verstorbenen Frau des Dejoneus, die offenbar die Tötung ihres gemeinsamen Sohnes Cephalus befohlen hatte. Ein Leibwächter gesteht, daß Diomedes ihm aufgrund eines Orakels, worin es hieß, der Sohn werde einst dem Vater das Teuerste entreißen, befohlen habe, Cephalus zu töten. Er sei hierzu aber unfähig gewesen und habe das Kind mit einem Brandzeichen versehen in einem Kahn ausgesetzt. Eben dieses Zeichen habe er nun bei dem jungen Hirten wiederent­deckt. Durch das erneute Todesurteil sei der Sohn nun endgültig verloren. Dejoneus will Philarcus daraufhin töten. Die hinzukommenden Procris und Polybius verhindern dies. Im Laufe des Gesprächs gesteht Polybius, daß er Cephalus nicht getötet habe. Für Dejoneus hat sich so sein Orakel erfüllt: Der Sohn entreißt ihm die teure Procris, was er aber nun gutheißt. Cephalus beschließt, als Frem­der aufzutreten und Procris auf die Probe zu stellen. Im Tempel werden schon Hochzeitsvorbe­reitungen getroffen. Cephalus tritt als fremder König auf, der um die Hand der Königstochter anhält. Erechtheus bedeutet ihm, daß seine Toch­ter bereits vergeben sei. Cephalus ziehtdas Schwert, woraufhin sich Dejoneus ihm entgegenstellt. Just in diesem Moment taucht Polybius auf und gesteht, daß er den Tempel der Aurora leer vorgefunden habe. Cephalus hat unterdessen begriffen, daß es um ihn geht, nimmt seinen Helm ab und gibt sich zu erkennen. Vater und Sohn umarmen sich. Cephalus führt Procris zu Aurora, vor der beide niederknien. Die Göttin verwandelt sich, und die Aussicht „zerfließt in einen ganz rothen Horizont, in deßen Milte Aurorens Stern, den ganzen Tem­pel roth überstrahlend, schwebt. Alle sinken auf die Knie, Aurora winkt allen, sich zu erheben“. Jürgen Maier

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Der Autor des Artikels, Jürgen Maier, war zum Zeitpunkt der Aufführung Geschäfts­führer der Neuköllner Oper, die das Werk 1993 in ihrer Originalfassung szenisch uraufführte; Winfried Radecke hatte die musikalische Lei­tung, Peter Lund besorgte die Regie in der Ausstat­tung von Ulrike Reinhard und Daniela Thomas; in den Hauptrollen sangen Regine Gebhard/Auro­ra, Barbara Hoos de Jokisch/Cephalus, Stefan Stoll/Dejoneus, Hans Arthur Falckenrath/Erech­theus, Lothar Odinius/Philacrus, Berthold Kogut/ Polybius und Bettina Eismann/Procris.

Von der Bamberger konzertanten Aufführung 1999 mit dem dortigen Jugendorchester unter Hermann Dechant gibt es einen CD-Mitschnitt bei Bayer Records, inzwischen vergriffen wie auch die Undine und Dirna. Wir danken dem Autor Jürgen Maier und der Neuköllner Oper Berlin. G. H.

Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.