Nicola Porporas „Germanico“

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Eine Oper nach fast 300 Jahren wieder auszugraben, ist fast wie eine Uraufführung einer neuen. So äußerst erfolgreich geschehen bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik mit Nicola Porporas Oper Il Germanico durch Alessandro de Marchi. Doch wie soll man ein Werk heute realisieren, das so lange vergessen war? Die Schwierigkeiten beginnen schon bei den Sängern. Denn Nicola Porporas opera seria erblickte 1732 in Rom das Licht der musikalischen Welt, vor allem gefeiert wegen der virtuosen Kunst der Kastraten. Da traten nämlich die berühmtesten der damaligen Zeit auf, Caffarelli, Annibali, Mondicelli und Galimberti; sie konnten mühelos die geforderten Tiefen und Höhen bewältigen und ellenlang den Atem aushalten. Warum in Rom aber keine Frauen, sondern nur verstümmelte Männer auf der Bühne singen durften, lag am strikten Verdikt des Papstes: Weiblichen Personen war aus Gründen der „Moral“ der Auftritt in der Oper verboten. Dass sich der Palazzo Capranica in seinem Theater diese Stars der Szene leisten konnte, lag einmal am Geld und zum anderen daran, dass der Komponist, der in Neapel 1686 geborene Porpora, einer der gefragtesten Gesangslehrer seiner Zeit war, viele „goldene Kehlen“ ausbildete, u. a. den bekannten Farinelli, und für Aufführungen seiner Werke auf ehemalige Schüler zurückgreifen konnte. Aber auch als Komponist hatte Porpora einen hervorragenden Ruf, war europaweit tätig, überflügelte in London eine Zeit lang sogar Händel an Ansehen, der ihn übrigens sehr schätzte und Arien von ihm weiter verwendete, so die „Täubchenarie“ der Rosmonda aus dem 2. Akt des Germanico; in Wien ging der junge Haydn bei ihm in die Lehre.

Nicola Porporas "Germanico" bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Nicola Porporas „Germanico“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Heute ist natürlich die Besetzung der Rollen mit Kastraten unmöglich. Außerdem war die Stimmung des Orchesters in Rom damals einen ganzen Ton tiefer. Alessandro de Marchi entschied sich dafür, diese Stimmung beizubehalten, weil dies einen wärmeren Klang erzielt. Doch für heutige Countertenöre sind die Partien wegen der Tiefen und der extremen Höhen kaum singbar. Also transponierte der musikalische Leiter „kritische“ Stellen so, dass sie zu bewältigen sind, und wählte außerdem für die Titelpartie eine Mezzosopranistin, die über eine satte Tiefe, eine warme Bruststimme und mühelos glänzende Höhen verfügt. Die Schwestern Rosmonda und Ersinda konnte er nun in Innsbruck mit Frauen besetzen.

Wer aber die bejubelte Aufführung im Tiroler Landestheater miterlebte, fragte sich natürlich, warum diese Oper unentdeckt im Staub einer Bibliothek Jahrhunderte lang ruhte. Ein wenig liegt dies auch an der konventionellen, allerdings äußerst kunstvollen Art, in der Porpora seine Oper anlegte: Bei ihm sind die ausgedehnten Rezitative Träger der Handlung; auf sie folgt immer eine lange da-capo-Arie, in der die Gefühle der handelnden Personen ausführlich dargelegt werden. Das wirkt alles ziemlich gleichmäßig und schematisch und braucht Zeit. In Innsbruck dauerte die Oper 4 ½ Stunden (ohne die Pausen zu rechnen); eine eigentlich dramatische Handlung findet nicht statt, auch wenn zwei Höhepunkte oder Topoi eingebaut sind, eine Schlacht- und Kerkerszene. Die Personen der Oper sind außerdem weniger Menschen aus Fleisch und Blut, eher Protagonisten „moralischer“ Haltungen, also gibt es hier den „guten“ Herrscher (Germanico), den edlen Wilden (Arminio) und dessen treue Gattin (Rosmonda); lediglich Ersinda, ihre selbstbewusste Schwester, scheint menschlicher, ihr Geliebter Cecina aber als Befehlsempfänger mehr der Obrigkeit als dem Gefühl zugeneigt. Aus all dem ergibt sich für einen Regisseur die nächste Schwierigkeit: Wie soll er das inszenieren? Alexander Schulin löste das Problem genial: Er beließ die handelnden Personen in ihrer Zeit, stattete sie also durch Alfred Peter mit üppigen Barockkostümen und Allonge-Perücken aus, wobei Germanico als idealer Herrscher in hellseidenem, glänzenden Gewand und schlichter Frisur besonders hervorstach, markierte die beiden Paare Arminio und Rosmonda durch blaue, Cecina und Ersinda durch rote Roben. Mit ein paar dunkel gekleideten Statisten deutete er den Hofstaat an. Der Sohn Arminios, der wie ein Attribut der Mutterliebe herumgeschleppt wird, ist anfangs eine Puppe, erst im letzten Akt ein „echtes“ Kind. Alles das findet statt in einem theatralischen Rahmen, einer Kulisse auf der Drehbühne, wechselnd zwischen Innen- und Außenansichten eines Palastes und Arkaden, deutlich eine Illusion von Auftrittsorten. Auch die Hinrichtungsstätte am Schluss zeigt sich als theatralische Attrappe. Nicht durch kriegerische Handlung, sondern durch Argumente gewinnt am Ende der Vernünftige, sprich der römische Herrscher die Oberhand und bringt Zivilisation und Frieden ins „wilde“ Germanien. Das ist die Botschaft des Librettos von Niccoló Coluzzi; zusätzlich finden sich die Familien vereint im „lieto finale“, also ganz nach dem Geschmack der Barockzeit.

Nicola Porporas "Germanico" bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Nicola Porporas „Germanico“ bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik/ Szene/ Foto Rupert Larl

Dass in der Innsbrucker Wieder-Aufführung dies so glücklich funktionierte, lag vor allem im Musikalischen. Die Accademia Montis Regalis spielte unter der inspirierenden Leitung von Alessandro de Marchi einsatzfreudig und schwungvoll mit nachdrücklicher Betonung, bot so den warmen Klang-Hintergrund für die ausgezeichneten Sänger-Darbietungen. Allen voran begeisterte die irische Mezzosopranistin Patricia Bardon nicht nur durch ihr würdevolles Auftreten als elegante Lichtgestalt Germanico, sondern vor allem durch ihre weiche, in der Tiefe volle, runde, in der Höhe strahlend schöne Stimme, die gefühlvoll auch empfindsame Arien zu gestalten wusste. Ebenbürtig in der Ausdrucksbreite war der australische Countertenor David Hansen als Arminio, mal beharrlich, mit großer, nie zu enger Höhe und locker laufenden Verzierungen, mal wild und verzweifelt, mal im betörenden Schönklang vereint im Duett mit seiner Frau Rosmonda. Die schwedische Sopranistin Klara Ek verlieh ihr großartig weibliche Würde und unterstrich dies mit ihrer klaren, großen Stimme durch lange, dynamische Bögen, dramatische Steigerungen, geläufige Koloraturen, glänzende Höhen, und bei ihrer „Täubchen-Arie“ vermeinte man fast das Gurren zu hören. Ihre Schwester Ersinda, mit ihrer etwas kapriziösen Art genau ihr Gegenteil, wurde von der britischen Mezzosopranistin Emilie Renard mit hellem, beweglichen Mezzosopran gesungen und konnte mit ihrem temperamentvollen Spiel nicht nur das Publikum, sondern vor allem ihren zukünftigen Gemahl Cecina bezirzen, von Hagen Matzeit mit angenehm vollem Countertenor männlich stark gestaltet. Eine wichtige Rolle im Konflikt der verfeindeten Lager der Römer und Germanen hat der Vater der beiden Schönheiten, Segeste, inne, denn er hat sich schon frühzeitig auf die Seite des Siegers Germanico geschlagen. Carlo Vincenzo Allemanno konnte ihn mit seinem fülligen, kraftvollen Tenor sehr überzeugend zeichnen. Dass alles am Ende des 3. Aktes in einen kurzen Jubelchor mündet, ist quasi unumgänglich, konnte aber so die Begeisterung des Publikums, das diese schon durch Zwischenbeifall und an den eindrucksvollen vorherigen Aktschlüssen kundgetan hatte, nochmals steigern, und mit minutenlangen, stehenden Ovationen feierte es alle Mitwirkenden. Renate Freyeisen

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