„Pyrrhus“ von Pancrace Royer

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In ihrer Collection Versailles gibt die französische Firma Alpha die tragédie lyrique Pyrrhus von Pancrace Royer heraus – die letzte von über zwanzig Kompositionen dieses Genres, die von Episoden aus den Trojanischen Kriegen  inspiriert waren und zwischen 1687 und 1730 an der Pariser Opéra aufgeführt wurden, beginnend mit Lullys unvollendet gebliebenem Werk Achille et Polyxène. Bei der Vertonung des Ovid-Stoffes durch den 1703 in Turin geborenen Komponisten, Cembalisten und Sänger Joseph-Nicolas-Pancrace Royer müsste der Titel eigentlich auch Polyxène heißen, denn nicht Achilles’ Sohn Pyrrhus steht im Mittelpunkt der Handlung, sondern Polyxena, die jüngste Tochter von Priam und Hecuba.

Für die Uraufführung 1730 in Paris waren erste Sänger der Zeit aufgeboten; aus Polen kehrte eigens der berühmte Tänzer Louis Dupré zurück, um die Ballette zu gestalten. Dennoch fand die Oper nicht den erhofften Widerhall beim Publikum. Die langen Monologe im Stil der gesprochenen antiken Tragödie ermüdeten die Zuhörer – das Werk kam daher nur auf sieben Aufführungen. Royer verließ die Opéra 1733 und kehrte erst sechs Jahre später für die Aufführung seines Balletts Zaide zurück, dem 1743 das Opéra-ballet Le Pouvoir de l’amour folgte. Die nachhaltige Bedeutung des Komponisten belegt, dass die  Ritournelle aus dem 3. und der Chor der Nymphen „A nos doux charmes“ aus dem 4. Akt seiner Oper 1771 bei der Wiederaufnahme von Marais’ Alcione in dessen Musik integriert wurden. Bereits vorher (1764) war Musik aus dem 3. Akt in Campras Tancréde eingefügt worden.

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Federnd und elegant erklingt die Ouverture, musiziert vom Ensemble Les Enfants d’Apollon unter Leitung von Michael Greenberg in bester französischer Barocktradition. Danach folgt der deklamierende Prolog mit den strengen Stimmen von Virgile Ancely, Edwige Parat und Christophe Gautier als die Götter Mars, Minerve und Jupiter sowie dem Choeur. Anmutig galante Zwischenmusiken für die Ballett-Einlagen sorgen aber schon hier für eine heitere und festliche Stimmung. Der 1. Akt beginnt mit einem Dialog von Polyxène und ihrer Vertrauten Ismène, bei dem Emmanuelle de Negri und Nicole Dubrovitch typisch französische Soprane mit larmoyant-säuerlichem Timbre hören lassen.

Auch hier erfreuen orchestrale Zwischenspiele (Rondeau und Passepieds) und lockern die Monotonie des prosaischen Deklamierens auf. Danach erfolgt der Auftritt des Titelhelden, der Polyxène liebt und für den Alain Buet einen sonoren, eloquenten Bariton einsetzt. Als Prinz Acamas gefällt Jeffrey Thompson mit expressivem Tenor. Er eröffnet den 2. Akt mit einem klagenden Monolog, in dem er seinem Schmerz über die geliebte, aber unerreichbare Polyxène Ausdruck gibt. Auch die Prinzessin Eriphile, die über Zauberkräfte verfügt, begehrt Pyrrhus. Guillemette Laurens leiht ihr ihren dunkel getönten, farbigen Sopran. Ein Höhepunkt des 2. Aktes ist die pompöse Marche mit festlichem Trompetenglanz, der Pyrrhus’ energisches „Célébrez un héros“, der freudige Chor „Chantons ses exploits et sa gloire“ und eine graziöse Chaconne folgen. Danach endet der Akt überraschend mit dem bestürzten Chor „Quels mouvements soudains!“, der mit dramatisch aufgewühlten Figuren des Orchesters eingeleitet wird und den plötzlichen Einbruch von Dunkelheit und Donner schildert. Die Stimme von Achilles Schatten (Laurent Collobert mit fahlem Bass) ertönt und verkündet, dass Polyxène noch heute geopfert werden müsse. Pyrrhus bietet sich statt ihrer selbst als Opfer dar und übergibt Polyxène an Acamas.

Bereits 2012 dirigierte Michael Greenberg die Oper in Dimanche in der Salle des Batailles, Château de Versailles
(version de concert) als moderne Erstaufführung/ museebaroque

Entsprechend ernst gestimmt beginnt der 3. Akt mit einer  Ritournelle, der eine erregte Auseinandersetzung zwischen Polyxène, Acamas und Eriphile folgt. Letztere ergeht sich in Gesängen von expressivem Schmerz als eifersüchtige Liebhaberin und scheint mir die interessanteste Figur des Werkes zu sein – auch weil Laurens deren Gefühle bis zum Äußersten ausreizt und vor heftigen Ausbrüchen nicht zurückschreckt. Für musikalisch spannende Akzente sorgen die rhythmisch stark akzentuierten Gesänge der Eumeniden (von Brian Cummings, Jean-Yves Ravoux und Virgile Ancely sehr lautmalerisch geboten). Der 4. Akt beginnt mir einem dramatisch erregten Chor, gefolgt von Polyxènes flehentlichem Anruf „Dieux puissants“, woraus sich zwischen beiden ein Dialog entwickelt. Später bringt der Auftritt der Meeresnymphe Thétis (Nicole Dubrovitch mit zartem Sopran von keuschem Klang) mit ihren Begleiterinnen lieblich-sanfte Töne ein. Der kurze 5. Akt schließlich gehört noch einmal Pyrrhus und Polyxène, die sich am Ende entleibt und ihre letzten Gedanken Pyrrhus weiht. Dieser will ihr in den Tod folgen, wird jedoch von den Wachen entwaffnet. Bernd Hoppe

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Joseph-Nicolas-Pancrace Royer: Pyrrhus (Buet, Thompson, De Negri, Dubrovitch, Laurens, Collobert; Les Enfants d’Apollon, Greenberg) 2 CD Alpha 953/ Abbildung oben: Pyrrhus, costume for ‚Andromache‘ by Jean Racine/ BNF

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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.