Karel Mirys „Bouchard d´Avesnes“

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Die gegenwärtige Beschäftigung mit französischsprachiger romantischer Oper, vom Palazetto Bru Zane so überwältigend angestoßen und an vielen Zentren namentlich Frankreichs realisiert, hat einen erstaunlichen Nebenschauplatz im belgischen Gent gefunden, wo bereits vor einiger Zeit Charles V des flämischen Komponisten Karel Miry aufgeführt und als CD zugänglich gemacht wurde – operalounge.de hat darüber berichtet.

180px-MiryNun gab es im März 2014 die unmittelbar darauf folgende Oper Mirys, Bouchard d´Avesnes, wieder unter dem kämpferischen Dirigenten Geert Soenen und unter der konzeptionellen, organisatorischen  Leitung von René Seghers, dem „Strippenzieher“ in Sachen flämisch-holländischer Musik und Chef von 401dutchoperas, das sich der Verbreitung von flämischer/holländischer Oper und Konzert sowie historischen Schallplatten aus diesem Umkreis widmet. Während wir hören, dass das CD-Projekt einstweilen gescheitert ist, gibt es erst einmal eine Besprechung und Bewertung des Konzerts und der Musik in Gent durch unseren Freund Alexander Weatherson von der Londoner Donizetti Gesellschaft. G. H.

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Eine Woche, die mit einer Oper auf dem Höhepunkt der Kunst, Guillaume Tell in Brüssel, endete – eine tadellose Konzertaufführung auf dem Höhepunkt aller Möglichkeiten und der Höhepunkt eines Operntrios, zu dem auch der unwiderstehliche Otello desselben Komponisten in Gent gehörte – wurde durch eine wirklich außergewöhnliche Wiederaufnahme eingeleitet; Karel (Charles) Miry schrieb seine große Oper Bouchard d’Avesnes für eine Aufführung am 6. März 1864 in seiner Heimatstadt Gent, und sie kann damals nicht weniger eine Offenbarung gewesen sein als heute, 150 Jahre später, in derselben Stadt, fast auf den Tag genau, denn wenn Sie eine fünfstündige Oper suchen, in der es nie langweilig wird – hier ist sie.

Mirys „Bouchard d´Avesnes“: René Seghers ist der vielseitige Veranstalter nicht nur der Miry-Opern in Gent, sondern auch Chef- und Arts-Editor für Kunst-Magazine. Feature-Editor des holländischen Opernmagazin Luister, Chef der website 401dutchoperas.com und Ator zahlreicher Biografien wie die über Jacques Brel, Franco Corelli, Haricléa Darclée u.,a./Foto 401dutchoperas.com

Wird es die schmerzliche Vernachlässigung von Karel Miry rückgängig machen? Auf jeden Fall, denn wir müssen diesen Komponisten wiederfinden, der mehr oder weniger den Grundstein für die Oper in flämischer Sprache gelegt hat – eine Treue zu seiner Herkunft, die ein lebhaftes Schaffen in französischer Sprache mit verlässlichen gallischen Intuitionen keineswegs behindert hat. Kürzlich haben wir seinen Charles V. gehört, eine sehr selbstbewusste Partitur, die Bouchard d’Avesnes unmittelbar vorausging und dessen Geläufigkeit teilt, aber diese letztere immense Oper mit ihren Pariser Ausmaßen und Dimensionen kündigt sich mit einem solchen Überfluss an Farben und melodischen Ressourcen an, dass man sofort merkt, dass ein großer Schritt gemacht wurde.

Alle fragten sich: Woher kommt diese Musik? Miry war, ganz im Sinne der Jahrhundertmitte, ein assimilativer Komponist, und es ist sofort klar, dass eine starke Strömung von jenseits des Rheins mit einer Flutwelle von Opéra-Comique-Charme und Erfindungsreichtum (sogar von Operetten-Gaudi) zusammengeführt und anschließend mit größtem Geschick in ruhige Gewässer kanalisiert wurde, und zwar nach einem Kompass, der sich von der italienischen Segelkunst ableitet. Miry widmete sein Leben der Pädagogik (unser Bouchard d’Avesnes wurde im Salle Miry des ihm zu Ehren benannten Genter Muziekconservatoriums aufgeführt), und diese riesige Oper erwies sich als brillante Demonstration des breiten Spektrums seiner Lehre. Eine solche Beherrschung der Mittel bedeutet jedoch keinen Verlust der Identität oder des persönlichen Charakters. Seine musikalischen Mittel sind als Selbstzweck vollkommen akzeptabel. Die Partitur ist reich an jeder Art von Nuance, er schwankt nie, seine Geläufigkeit hat eine weitschweifige Dimension, die eines Bayreuth würdig ist, aber er vermeidet Metaphysik zugunsten einer Art Perpetuum mobile eines wohlgeformten und selbstbewussten Lyrismus, der von einer opportunen Orchestrierung unterstützt wird. Nur die Idiotie und Absurdität des Musikbetriebs kann erklären, wie es möglich war, dass ein Komponist mit diesen Fähigkeiten und Talenten so lange im Verborgenen bleiben konnte. Nur eine hartnäckige kritische Blindheit kann es zugelassen haben, dass eine so attraktive Musik so lange der Gnade der absichtlich Tauben ausgeliefert war!

„Bouchard d´Avesnes“ in Gent 2014: Yvette Loynaz und Paul Claus/Foto 411dutchoperas.com

Unter seinen etwa zwanzig Opern finden sich viele mit patriotischen Themen, aber eine Reihe von weltlichen und witzigen Einaktern hielt seine Musik bis zu seinem Lebensende über Wasser. Er wurde 182 in Gent geboren und starb dort 1889, verbrachte aber einige prägende Jahre in Paris, was sich deutlich zeigt.

In der Oper gibt es nichts, was den Hörer erschüttert, aber alles, was ihn aufhorchen lässt. (…) Die charakteristische Leichtigkeit der Komposition macht es schwer zu verstehen, dass es sich um eine Tragödie handelt, zumal die obligatorischen Ballette (von denen eines sogar in der Einleitung vorkommt) eine trügerische Leichtigkeit vermitteln, die in dieser langen Partitur fast nie verloren geht, ungeachtet der anrüchigen politischen Intrigen, die fast in einer Katastrophe enden. Jeder hat seine köstliche Arie oder sein Duett, fast jeder Protagonist hat ein vokales Paradestück, und fast jede Abteilung des Orchesters hat vor den Schlussakkorden eine Probe ihres Könnens und ihres Durchhaltevermögens. Das ist Musik, die nicht nur das vokale und instrumentale Potenzial der Opernkunst, sondern auch das des Publikums ausreizen soll,

Die Musik verlangt nach prächtigen Solisten, und davon gibt es viele: zwei Soprane und ein Mezzosopran, zwei Bässe, ein Bariton und ein Tenor, die sich allesamt großen Herausforderungen stellen müssen – vor allem der führende Sopran und der Tenor (in der Titelrolle). Gent stellte sich dieser Herausforderung mit einer breiten internationalen Besetzung. Die Widerstandsfähigkeit dieser jungen Musiker war bewundernswert. Fünf Stunden lang äußerst anspruchsvolle Musik zu spielen, ohne zu erlahmen, ist ein wunderbares Zeichen für eine berufliche Zukunft.

Mirys „Bouchard d´Avesnes“ in Gent 2014: der Dirigent Geert Soenen/OBA

Und dann war der Schlüssel zum Erfolg dieses enormen Unterfangens die Leitung von Geert Soenen, dessen unglaubliche Energie und Einsichten mit den monumental eindringlichen Anforderungen der Partitur, des Chors und der Solisten auf einer Basis von inspiriertem Engagement Schritt hielten.

Meine Wahl wäre das himmlische Grand Duo für Sopran und Mezzo (die schlecht sortierten Schwestern Marguerite und Jeanne – lyrisch alles andere als schlecht sortiert) im vierten Akt „Dieu m’a donne le nom de mere“, in dem Miry sich mit einer Abgeklärtheit erhebt, die der imposantesten Musik seiner Zeit würdig ist, während der schlecht eingesetzte Tenorheld Bouchard hochemotionale Höhepunkte hat: Seine den dritten Akt eröffnende Romanze „Perdu, deshonoré“ mit dem anschließenden Andantino „Lorsque jadis sur ta tete“ ist wirklich bedeutsam, während die andante cantabile Couplets im fünften Akt „Je vais mourir, Flandre cherie“ – der eigentliche point de repere der Auflösung – in einer so langen und anspruchsvollen Rolle fast grausam der Verzweiflung und Tragik ausgesetzt ist, und ein wunderbarer Moment (zusammen mit seiner Hinrichtung), der die Oper in einer Qual von Flammen und Gewalt beendet.

Mirys „Bouchard d´Avesnes“ in Gent 2014: David Fonseca Astorga und Jolien de Ghendt in den Hauptrollen als Bouchard und Margaret/Foto 401dutchoperas.com

Die undankbare Rolle des Intriganten Guillaume de Dampierre (Norbert) wurde dankbar von dem Bariton Paul Claus gesungen, und ebenso dankbar die der Mezzosopranistin Jeanne von Yvette Loynaz, und der Musico Roger die Seite von Isabel Garcia, die des Regnier `vieia serviteur de Bouchard` wurde gefühlvoll von dem jungen Basso Christian Lujan gesungen. Die beiden Hauptrollen, die in diesem mühsamen Unterfangen bewundernswert besetzt wurden, waren zwangsläufig die der Marguerite – die ständig fast allen Arten von stimmlichen Herausforderungen ausgesetzt war – von Jolien de Gendt und die des Bouchard d’Avesnes selbst – der noch mehr herausgefordert und ausgesetzt war – von dem hochemotionalen, fließenden und berührenden Baritenore David Fonseca Astorga.Letztendlich war der Triumph dieser Wiederentdeckung der der Sponsoren.Eine verschollene Partitur dieses Ausmaßes wieder aufleben zu lassen, ist eine Leistung, die nur eine Handvoll der Entschlossensten überhaupt in Betracht ziehen kann. Zwei Namen sollten besonders erwähnt werden: die von Hilaire de Slagmeulder, einem unermüdlichen Verfechter dieser Musik, und die des Autors und Musikwissenschaftlers Rene Seghers, denen wir (und der Komponist) eine Offenbarung verdanken. Alexander Weatherson

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miry bouchard frontespieceBouchard D´Avesnes/ Grand Opéra in in 5 Aufzügen und 7 Bildern; Libretto von Hypoliet van Peene – Musik von Karel Miry; Uraufführung am 6. Februar 1856. Die Sänger/Personen der Oper: Mr de Quercy, erster leichter lyrischer Tenor: Bouchard d’Avesnes; Carman, Bariton: Guillaume de Dampierre; Mr Filliol, erster Bass,: Régnier; Mme Balbi, erster leichter lyrischer Sopran: Marguerite de Constantinople; Frl. Baudier, ebenfalls Sopran: Jeanne de Flandre; Geoffroy, Dugazon: Roger, Marguerites Page; Mr Féraud, 2. Bass: Baudry, ein Zigeuner.

.Die Handlung basiert auf den Annalen von Flandern. Der erste Akt spielt in einem Zigeunerlager unweit des Schlosses von Etroeung im Hennegau. Der Zigeuner Baudry beklagt sich über die Härte seines Lebens. Er wartet auf die Ankunft von Norbert, der der Bande Lebensmittel und Gold bringen soll. Norbert, ihr Leiter, ist in Wirklichkeit der verkleidete Adlige Guillaume de Dampierre. Er kommt an und bringt Vorräte für Essen und Trinken. Die Bande empfängt ihn freudig, und er singt seine Couplets (Ami, calme ta peine). Der wahre Grund seiner Verkleidung: Er will Flandern aus den Händen von Bouchard d’Avesnes  befreien und es an Frankreich und seinen König Philippe Auguste abtreten. In seinem Monolog (Oui, moi leur chef) lässt er das Publikum an seinen Plänen teilhaben und kündigt die Rückkehr von Bouchard aus Rom an und die Pläne jenes mächtigen Herren an, der trotz seiner früheren religiösen Gelübden mit Marguerite von Konstantinopel, seinem Mündel, verheiratet ist. (Er wurde ihr Vormund nach dem Verschwinden ihres Vaters Graf Balduin in Palästina kurz nach seiner Krönung als Kaiser von Konstantinopel – Anm. des Verfassers). Es folgt Unruhe unter den Zigeunern, der Norbert jedoch bald ein Ende macht. Dann gibt es ein Trinklied (Chor: Vite, emplissons nos verres). Roger, der Page/Hosenrolle Marguerites, tritt auf. Er teilt Norbert mit, dass Marguerite bald kommen wird, um ihn um seinen Rat zu bitten, zumal er den Ruf eines Hellsehers hat. Sie möchte Einsichten in ihre Zukunft von ihm bekommen. (Duettino Norbert-Roger: Va me dit-elle, va beau page). Norbert will allein sein, um die Prinzessin zu empfangen und schickt die Zigeuner weg. Er lässt ihr Murren gar nicht erst zu, und sie ziehen davon. (Chor: Partons de sa vengeance redoutons le courroux).

Zu Mirys „Bouchard d´Avesnes“: Marguerite de Flandres (1310 – 1382) fille de Philippe V et de Jeanne de Bourgogne, épouse de Louis II, comte de Flandres (au premier plan)
Charles comte d’Etampes (1305 – 1336) fils de Louis comte d’Evreux et de Marguerite d’Artois, frère de Jeanne d’Evreux (au second plan)

Marguerite erscheint. Sie hatte einen bösen Traum, in dem sie ihren Gemahl Bouchard sah, kniend vor dem Grab des Erlösers und den Himmel um Vergebung anflehend für eine schlimme Tat, die er begangen hatte. Dieser Traum beunruhigt sie, und sie fürchtet, dass Bouchard tot sei. Norbert gibt ihr Trost: Bouchard lebt. Und noch besser: Er ist zurück aus Rom und wird bald wieder zu Hause sein. Worauf sie, zum Dank für diese guten Nachrichten, ihn und seine Bande zum Schloss einlädt, wo das Wiedersehen der Eheleute gefeiert werden soll. Und Marguerite hofft noch mehr von Norbert zu erfahren, was sie noch wissen möchte. Der Akt endet mit einem Chor und einer Jagdhornfanfare (Chor: Tayaut, tayaut le cor résonne).

Der zweite Akt besteht aus 2 Bildern/1.Bild: Das Schloss von Etroeung. Bouchard erscheint und gibt sich der Hoffnung und Freude der Rückkehr hin (Rez. Enfin du ciel la colère apaisée, und Arie: De mes aieux asile séculaire, und Allegro: Ah je le sens, déjà tout me présage).Der ihm ergebene alte Diener Régnier erscheint und überbringt ihm eine zärtliche Botschaft von Marguérite. Sie verzehre sich nach ihm. Der ganze Hof ist schon versammelt, und man wartet nur noch auf ihn, um mit dem Fest zu beginnen. Bouchard ist etwas bedrückt mit ahnungsvollen Vorgefühlen: Er befürchtet dass sein Fehler, oder eher seine Sünde, entdeckt wird. Welche das ist, bleibt einstweilen unerklärt (Duett mit Régnier, der ihn beruhigt: Seigneur, au nom de la duchesse).

2.Bild: Der Vorhang öffnet sich auf eine atemberaubende Szenerie. Im hinteren Teil der Bühne sehen wir eine prachtvoll gedeckte Tafel an der Bouchard,  Marguerite, Jeanne de Flandres (ihre Schwester und Gräfin von Flandern), ausgestattet in prächtigen Gewändern, versammelt sind. Auf beiden Seiten der Bühne ist der Hofstaat aufgestellt. In dritter Reihe stehen Soldaten und dahinter sehen wir das eindrucksvolle Gemälde von Philastre und Cambon, das einen Festsaal darstellt. Diese Szene eröffnet mit einem sehr schönen Chor, dessen dritter Teil so geschrieben ist, dass er je nach männlichem oder weiblichem Reim, in drei verschiedenen Arten alterniert. (Chor: La nuit enchanteresse). Das ist ein neuer und interessanter Effekt. Der Chor besingt auch die Ritterlichkeit, den Ruhm und die Liebe (Guerriers de l’Ostrasie). Dann gibt’s ein Couplet des Pagen auf Bitten Jeannes (Chansonette de Roger: Près des murs de Bysance). Die Ankunft der Zigeuner wird angekündigt. Ihr Anführer Norbert singt eine Ballade (Loin de ces bords), in der er das Verbrechen  Bouchards andeutet, seinen christliche Weihen verraten zu haben – er ändert nur den Namen in den eines erfundenen „Herrn Alain“. Bouchard jedoch versteht nur allzu gut, dass er gemeint ist; er kann sich nicht mehr beherrschen und stürzt sich auf den vermeintlichen Zigeuner, wird aber von den Anwesenden an weiterem gehindert. Der Vorfall weckt bei Jeanne einen starken Verdacht,  und sie beschliesst, Klarheit über Bouchards Benehmen  zu bekommen. Finale mit großem Effekt (Concertato: Parole redoutable).

Miry: Bouchard d´Asnesnes, Ausschnitt/OBA

Miry: „Bouchard d´Asvesnes“, Ausschnitt/OBA

Der dritte Akt: Immer noch im Schloss am selben Tag, kurze Zeit später. Der bedrückte Bouchard beklagt sich über die Schande, die ihm angetan wird. Régnier tröstet ihn und singt eine Romanze, die  zweifelsohne die Perle dieser Oper ist (Romance von Régnier: Lorsque jadis sur ta tête si chère). Einigermaßen beruhigt befiehlt Bouchard ihm, augenblicklich den Zigeuner zu suchen und zu ihm zu bringen, damit er sich ein Bild von dessen wahren Plänen machen kann.

Dann folgt eine Szene zwischen ihm und Marguerite. Auf seine halbherzige Beteuerungen antwortet sie mit der Versicherung ihre ewigen Liebe zu ihm (Duett: Inquiète de ta souffrance, und Allegro: Bonheur extrème, amour extrème). Es erklingen Marschtöne: Ein Turnier wird zu Ehren Bouchards angekündigt. Die Reiter erscheinen und singen ein Kampflied (Marsch und allgemeiner Chor: Quand va briller la lune). Es folgt ein Ballett (de rigeur in einer Grand Opéra der Zeit). In der Zwischenzeit hat Jeanne mit dem „Zigeuner“ gesprochen und weiß nun alles. Sie verbreitet allgemeine Bestürzung unter den Gästen mit der Offenbarung von Bouchards großem Geheimnis: „Ihr Gemahl“, sagt sie zu ihrer Schwester, „ist ein Priester!“‚ Dieser Satz trifft die Prinzessin wie ein Blitz. Ihre Liebe kann dieser Erkenntnis nicht standhalten, und sie verstößt Bouchard, der verzweifelt zu ihren Füßen nieder sinkt. (Chor: Quel affront, quelle offense, und Concertato: Pardonne à ma triste faiblesse). Vorhang.

"Bouchard d´Avesnes" in Gent 2014: Monument für den großen Sohn der Stadt von Hippolyte de Roy/Wiki

„Bouchard d´Avesnes“ in Gent 2014: Monument für den großen Sohn der Stadt von Hippolyte de Roy/Wiki

Der vierte Akt: Die verzweifelte Marguerite schlummert auf ihrer Liege (Frauenchor: Le jour revient chères compagnes und Couplet des Pagen Roger: Quand de la nuit le rêve cesse). Schließlich erwacht sie nach einer unruhigen Nacht (Arie: Une image chérie). Sie denkt an ihren Gemahl, der eigentlich eher unglücklich denn schuldig ist, und sie erkennt, dass ihre Liebe zu ihm stärker denn je ist und sie ist bereit für sie zu kämpfen. (Allegro: Reviens, reviens et dans mon âme). Aber Jeanne, die als böse Kraft die Handlung bestimmt und durch ihre Stimmlage als Mezzo ein größeres Profil annehmen kann, hat mit dem Bischof von Senlis Verhandlungen geführt um Marguerites Ehe mit Bouchard annullieren zu lassen. Sie informiert Marguerite über den möglichen Erfolg ihrer Unternehmung und will sie zwingen, das Dokument zur Nichtigerklärung der Ehe zu unterschreiben. Marguerite weigert sich (Duett Jeanne – Marguerite: Marguerite ma soeur rendez grâce à mon zêle, und Allegro: De la flamme dont je suis fière). Ein schönes Duett zwischen beiden Frauen folgt (das bei der Uraufführung vom Publikum bejubelt wurde, so dass es gern wiederholt wurde).

Allein gelassen beschließt Jeanne, alles zu tun, um den Wiederstand ihrer Schwester zu brechen und Bouchard dazu zu bringen, seine Schande in der Verbannung zu sühnen. In diesem Moment  tritt Norbert auf und hört Jeannes letzte Worte. Eine Verbannung Bouchards kommt für ihn nicht in Frage, er will dessen Tod, und dann die Hand von Marguérite und damit die Krone von Flandern! Jeanne ist sprachlos, als sie seine Ansprüche vernimmt: Mit welchem recht fordert er dies? Er gibt sich zu erkennen. Obwohl er früher einmal ihr Liebhaber war, tut sie so, als wüsste sie davon nichts mehr, aber er hat einen Beweis aufbewahrt, ein Messbuch, das Jeanne bei einem galanten Treffen mit ihm hatte liegen lassen und in dem steht: „Ihrem glücklichen Liebhaber Guillaume de Dampierre von der Gräfin von Flandern“. Mit dieser ziemlich leichtfertigen Gedächtnislücke erzwingt Dampierre ihre Unterschrift unter Bouchards Todesurteil und die Hand Marguerites. Als Gegenzug will er Jeanne das kompromittierende Buch zurückgeben, sonsten lässt er es ihrem Gemahl Fernando von Portugal nach Paris überbringen. Sie willigt in den  Pakt ein, und Guillaume freut sich über den Erfolg seines gewagten Vorhabens. (Arie: Enfin du sort la faveur sans égale, Allegro: De l’ardeur qui m’agite). Plötzlich steht Bouchard vor ihm, der ihn zu einem Duell auf Leben und Tod herausfordert. (Duett:De ce glaive qui brille). Jeanne lässt ihn verhaften, trotz Marguérites Tränen. (Finale: Concertato: A ton ordre sévère) Marguerite sinkt bewusstlos zu Boden.

Miry: Bouchard d´Asvesnes/Ausschnitt/OBA

Miry: Bouchard d´Asvesnes/Ausschnitt/OBA

Der fünfte Akt spielt im Schloss von Rupelmond, dem Gefängnis Bouchards. Dort ist auch Jeanne. Sie kämpft mit ihren Gewissensbissen, die sie quälen und foltern (Arie: Pour sauver mon honneur, Allegro: Viens cruel, je brave ton arrêt). Ihr schlechtes Gewissen möchte sie dazu bringen, Bouchard Vergebung zu schenken, aber Guillaume ist nun der Meister über ihr Schicksal, und er kommt zu ihr und verlangt dass sie ihren Schwur hält. Man bringt das Messbuch, und sie muss unterzeichnen, um es ausgehändigt zu bekommen. Kaum hält sie es in ihrer Hand, ruft sie die Wachen, um Dampierre verhaften zu lassen. Er aber bleibt ruhig und gelassen, und teilt ihr mit, dass das Buch, das sie in ihrer Hand hat, nur eine Kopie ist und das Original in Sicherheit, bereit zu ihrem Gemahl nach Paris geschickt zu werden, sollte er nicht unverzüglich gehen dürfen, um den Boten daran zu hindern, nach Paris aufzubrechen. Jeanne sieht sich verloren und unterzeichnet verzweifelt Bouchards Todesurteil. Dampierre verlässt sie unverzüglich. Ein Trauermarsch und Nonnenklagen kündigen die baldige Hinrichtung Bouchards an. Dieser erscheint in einem langen weißen Büßergewand und nimmt in rührender Weise Abschied von Frau und Kindern (Rez. Voici l’heure suprême, Arie: Je vais mourir, Flandre chérie).

Der Autor: Aleander Weatherson renommierter Fachmann für Opern des 18. und 19. Jahrhunderts, namentlich des Belcanto sowie Autor vieler Artikel und Bücher über eben dies Feld, zudem auch international gefragter „Lecturer“; er war der Begründer und langjähriger Chef der Londoner Donizetti Society/ AW

Dann stürzt Marguérite herein (Terzett Bouchard, Marguerite, Norbert: O mon époux, le cri de la souffrance). Bouchard wird weggeschleppt, und Marguérite sinkt zu Boden. Régnier jedoch hat das Volk versammelt: Man eilt herbei, um das Schloss in Brand zu stecken und um seinen Herrn zu retten. Aber zu spät, denn als im Hintergrund ein Vorhang hochgeht und der Innenhof des Schlosses sichtbar wird, erspäht man in der Ferne die Türme von Rupelmond; links bei der inneren Fassade, eine Treppe, die zu einem Hinrichtungsblock führt. Daneben der über seinem Beil stehende Henker und vor ihm die Leiche Bouchards, bedeckt mit einem schwarzen Tuch. Das Todesurteil wurde vollstreckt. Stimmungsvolles Gebet der Menge (Chor: „O Saint martyr“) und dann das Aufbrüllen der Volkswut. Marguérite lebt nur noch für die Rache. Ergriffen von heiligem Delirium ergreift sie das Beil und singt ein Hasslied gegen die Fremden (die bösen Franzosen), die Flandern unterjochen wollen (Allons, allons, point de faiblesse, und Schlusschor: Anathème sur l’étranger!). Ende der Oper. (Die Inhaltsangabe folgt der zeitgenössischen Schilderung; wir entnahmen sie dem Programmheft zur konzertanten Aufführung im März 2014 in Gent/Übersetzung Jean-Luc Weil/Redaktion G. H.) 2014

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Bouchard d´Avesnes 1182 – 1244/OBA

Und ein Wort zum historischen Bouchard Born 1182. Executed September 7, 1244 in Rupelmonde. In his capacity as bailiff of Hainaut he became tutor to young Margaret of Flanders. He soon married her though she was only ten and the marriage could not be consummated. Bouchard d´Avesnes invaded Flanders and forced her guardians Margaret’s sister Jeanne and her husband Count Ferdinand of Flanders to recognise the marriage. In 1214 on advice of Philip Augustus, King of France, who had beaten Bouchard in battle, the Pope condemned the marriage and ultimately excommunicated both in 1216. The couple fled to Luxemburg but Bouchard was captured and imprisoned in Ghent. The pair allowed the marriage to be dissolved and Bouchard was to ask for Papal absolution in return for freedom. Bouchard then went to off to fight for the Holy See in Italy. When he returned his sister-in-law Joanna had him beheaded./Wikipedia

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.Der Autor, der renomierte Musikwissenschaftler, Publizist und Belcantospezialist Alexander Weatherson, ist Präsident der Londoner Donizetti Society. Sein Artikel erschien im neuen Newsletter der Donizetti Society und kann unter alexdonsoc@aol.com bestellt werden. Wir danken sehr für die Übernahme-Erlaubnis. G. H.

http://www.donizettisociety.com/    http://401dutchoperas.com/

  1. Hilaire De Slagmeulder.

    Mit meiner Entschuldigungen schreibe ich dies in französischer Sprache. Mein Deutsch ist leider nicht gut genug:
    Je suis très reconnaissant pour les efforts et les magnifiques articles de Mr. Alexander Weatherson et Mr. Geerd Heinsen, après la quantité de jours et heures que j’ai consacré pendat un an, soutenu par des amis idéalistes, aux partitions de Bouchard d’Avesnes, collaborant ainsi à la résurrection de ce Grand’Opéra merveilleux. Bouchard est probablement le plus bel opéra qui ait jamais été ecrit en Belgique.
    Je remerçie aussi le maestro Geert Soenen et notre ami René Seghers pour ses efforts extraordinaires pour porter l’oeuvre sur son site merveilleux des 4O1Dutch Operas.
    Mais il me faut surtout remerçier et féliciter l’association LYRICA de Gand, Président Mr. John Boeren, et secretaire Mr. Patrick Vlaeminck qui, ensemble avec le maestro Geert Soenen ont voulu suivre ma suggestion de faire renaître cet opéra, et qui ont décidé de mettre Bouchard d‘ Avesnes à l’affiche en forme de concert.

    L’opéra a connu un très grand succès, mais la partition a besoin d’une digitalisation entière qui nous révèlera alors Bouchard dans son intégralité absolue. Car, pour arriver à l’exécution du 2 Mars 2014, des coupures et des adaptations ont été necessaires puisque les partitions originales laissaient bien des incertitudes. Le temps manquait pour tout rendre clair. Il y avaient des différences entre la partition chant et piano, la grande partition et les parties d’orchestre. Toutefois les efforts surhumains du maestro Geert Soenen ont permis l’oeuvre de triompher. Mais un renouveau digital de la partition se révèle absolument nécessaire. Si cela se fait l’opéra pourra de nouveau triompher – peut-être même sur les scènes internationales – mais alors dans son intégralité absolue et telle que le compositeur nous l’a laissé. Et surtout, les plus vifs remerçiements doivent aller à Mr. John Boeren, pour avoir sorti des oubliettes cette partition magistrale. J’ai eu l’honneur de parler avec Mr. Weatherson lors du concert à Gand, mais il ne m’a pas été possible ce jour là de lui expliquer les mérites extraordinaires du vrai ORGANISATEUR de cette découverte : Mr. John Boeren, Président de l’association LYRICA qui avait déjà tiré de l’oubli l’autre grand’Opéra de Charles Miry – Charles Quint – deux ans auparavant. Pour les grands mérites de Mr. Alexander Weatherson et de Mr. Geerd Heinsen, qui ont voulu porter à la connaissance du public d’opéra international la résurrection de notre magnifique Bouchard d‘ Avesnes, cette explication était nécessaire. La publication de mon message, va aussi me permettre de transmettre ces commentaires enthousiastes à Mmrs. John Boeren et Patrick Vlaeminck, auxquels, par courtoisie et sens de justice, je nai pas encore voulu transmettre ces commentaires tellement élogiatives, mais qui – par un malentendu, et manque d’information – ne mentionnaient pas leurs noms.
    Voilà ce qui est fait maintenant, et j’en suis parfaitement heureux.

    Hilaire De Slagmeulder

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