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Im Rahmen der vom vielfach hier erwähnten Palazetto Bru Zane angestoßenen Bemühungen geht die Reise durch die Oper und Musik der französische Romantik weiter. Nach den Réminiscences á l´Orient Davids mit Tassis Christoyannis (vergl. den Artikel dazu) gibt es jetzt das weltliche Oratorium Le Désert für Sprecher (Jean-Marie Winling) und zwei Tenöre (Cyrille Dubois und Zachry Wilder) unter Laurence Equilbey, der Gruppe accentus und dem Orchestre de Paris bei naive (V5405) in einer „pflegeleichten“ Ausgabe, nämlich auf einer CD mit und der zweiten ohne Recitant, was ein wenig kontraproduktiv scheint, stellt eben diese Form mit Sprecher doch eine Neuheit im damaligen Konzertleben dar. Man vergleiche da nur Berlioz´ Roméo et Juliette. Und es war eben auch Berlioz, der begeistert über seinen Kollegen schrieb und Le Désert auch selber dirigierte. Sogar auf die Bühne gelangte diese „Ode-symphonique“, wie der originale Untertitel lautet, und man könnte sich sogar Pina Bauschs Hand daran versuchen vorstellen…
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Warum nun eigentlich im Rahmen der Palazetto-Bru-Zane-Bemühungen um die romantische Musik in Frankreich zum wiederholten Male ein bereits befriedigend vorliegendes zum zweiten Male aufgenommen wurde, ist nicht ganz ersichtlich – des Kaisers neue Kleider? Dabei gäbe es soviel anderes, etwa Davids Perle du Bresil und manche andere mythische Titel, auch eine anständige Reine de Saba Gounods wäre nötig…
Zumindest gibt es von Le Désert eine frühere Aufführung und Aufnahme, die bei Capriccio einen Abend in der Berliner Philharmonie festhält (Pascalin, Lazzaretti, Chor St. Hedwigs-Kathedrale Berlin, RSO Berlin, Guida, Capriccio 5017) und die ein deutsches Publikum erstmals wieder – und noch vor den französischen Nachbarn – mit dieser gewagten, neuartigen Komposition in moderner Zeit bekannt gemacht hat. Auch eine Zusammenstellung bei Naxos/8.223376 gibt es mit nämlichem Thema: Les Brises d´Orient/Les Minarets mit David Blumenthal am Klavier. Orientalisches von David also reichlich.
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Im Folgenden nun einen Text zu diesem interessanten Werk von Étienne Jardin vom Palazetto Bru Zane, den wir bereits bei den Mélodies Davids für naive zitierten. G. H.
Félicien David (1810-1876) begann seine Ausbildung an der Kantorei der Kathedrale von Aix-en-Provence, bevor er sich 1830 am Konservatorium von Paris einschrieb. Da besucht er die Klassen von Millault (Harmonielehre), Fétis (Kontrapunkt) und Benoist (Orgel), während er gleichzeitig dem Unterricht von Rèber folgte. Diese Zeit am Konservatorium war jedoch nur von kurzer Dauer, da er 1831 die Institution verließ, ohne einen Preis erlangt zu haben. Er trat unter dem Einfluss des Malers Pol Justus in die Saint-Simonistische (Künstlergemeinschaft-)Gemeinschaft ein, zu deren offizieller Komponist er erklärt wurde. Jedoch löste die Regierung die Gemeinschaft unter der Leitung von Vater Enfantin (1796 – 1864) auf. Somit schlug die Stunde des Exils für den jungen Komponisten. Begleitet von seinen Saint-Simonistischen Kameraden durchquerte er Frankreich und schiffte sich auf eine Reise ein, die ihn insbesondere durch Ägypten und Algerien führte. Erst 1835 kam er nach Marseille zurück in der Absicht, den französischen Ohren die orientalische Musik nahe zu bringen und sich in Paris einen Namen als Komponist zu machen.
Die „Mélodies Orientals“ für Klavier waren die ersten Werke, die David 1836 herausgeben konte: Dieser Band blieb aber fast unbemerkt und zudem wurden diese unverkauften Exemplare wenige Monate nach ihrer offiziellen Herausgabe Opfer eines Brandes und damit restlos zerstört. Das Netz von Freunden und Gemeinschaftsmitgliedern, die er im Paris des Beginns der Julimonarchie kannte, war zerrissen. Etliche hatten sich vom Saint-Simonismus distanziert, und für einen jungen Musiker gab es nur wenige Förderer. An 1837 genoss David dennoch die Gastfreundschaft eines ehemaligen Mitschülers – Félix Tourneux, der ihm, indem er ihn in seiner Sommerresidenz in Igny wohnen ließ und ihm ermöglichte, bis 1841 ein dem Komponieren und der Gartenarbeit gewidmetes Leben zu führen. Als er nach Paris zurückkehrte (zu seinem Bruder Félix), hatte er nur ein Ziel: die Welt der Musik, nämlich Paris, zu erobern.
Paris war in den 1840ger Jahren das Zentrum der europäischen Musik. Es war ein Ort ständiger Lebendigkeit, an den die größten Virtuosen der Zeit kommen und wo die Instrumentenherstellung und die Musikausgaben florierten. Die Zahl an öffentlichen Konzerten erlebte einen enormen Aufschwung, und die Arten musikalischer Darbietungen wurden vielfältig: Symphonische Konzerte der Konzertgesellschaft des Konservatoriums; „große Konzerte“ von Valentino oder Musard; Kammermusikkonzerte der Nachfolger von Pierre Baillot; Liederabende von Romanzen…
Bevor sich David an die Opernszene von Paris wagt – die ultimative Prüfung für jeden Komponisten – schreibt er für diese neuen musikalischen Bereiche; die Ästhetik, die er fördern will und seine Kenntnisse im musikalischen Milieu regen ihn dazu an. 1838 lässt er seine Symphonie in F-Fur durch die Valentino Konzerte aufführen; 1839 bringen die Konzerte Musard ein Nonett für Blechbläser heraus; für die Kammermusikkonzerte seines Freundes, des Geigers Jules Armingaud komponiert er 1842 eine Reihe von 80 kurzen Quintetten mit Kontrabass („Les quattre Saisons“). Im Dezember 1844 erreicht David den Höhepunkt seiner Bekanntheit mit seiner symphonischen Ode Le Désert im Théâtre Italien. Berlioz begeistert sich für die Partitur, in der er den Widerschein seiner eigenen ästhetischen Forschungen sieht: Er selbst dirigiert Le Dèsert im Februar 1845 in einem Konzert des Zirkus auf den Champs-Elysées. Die Konzertgesellschaft des Konservatoriums setzt sie ebenfalls 1847 aufs Programm.
Die Modernität dieses Werks besteht vor allem in seiner Kunstgattung, die völlig neu war, die vom Aufstieg der symphonischen Welt in Frankreich zeugte und gleichzeitig von dem Wunsch, sich nicht allzu weit von der Welt der Oper zu entfernen, die dem Publikums Frankreichs so am Herzen lag. Belioz versuchte sich 1939 mit Roméo et Juliette auch an dieser Mischgattung: der „dramatischen Symphonie“, auf halbem Weg vom Oratorium zur Symphonie, die man in der Nachfolge der letzten Werke von Beethoven einordnen kann.
David entwickelt indessen eine neue Art, die Handlung zu entwerfen: Er entfernt sich von der dramatischen Spannung, die den Opernwerken eigen ist, um sich einer Ästhetik der Kontemplation anzunähern. Darin besteht der „romantische“ Wert des Komponisten: Er konfrontiert den Hörer nicht mit einer frenetischen Aktion, sondern lässt ihn eher eine Landschaft beobachten, als ob er sich vor drei aufeinander folgenden befände: der Zug einer Karawane, eine nächtliche Rast, ein Tagesanbruch. Die langgezogenen Streicherklänge verstärken den Eindruck in der Unendlichkeit der Wüste stehen gebliebenen Zeit, wo die einzigen Anhaltspunkte durch die Stellung der Sonne gegeben sind.
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Die Melodien von Le Désert werden wie ein großer Teil der nach seiner Rückkehr aus dem Orient herausgegebenen Werke von exotischer Musik inspiriert, die der Komponist auf seiner Reise kennen gelernt hat: Im 2. Teil basiert die „Arabische Fantasie“ auf einer syrischen Melodie und die „Abendträumerei“ kommt von einer Melodie von Nilschiffern. Dennoch strebt der Exostismus von David nicht nach Authentizität. Der Musikwissenschaftler Fritz Noske, der Le Désert studiert hat, meint, dass der Komponist „eher das Land der aufgehenden Sonne heraufbeschwört als dass er es malt“. Der Anklang an das Gebet des Muezzin (im 3. Teil) „ist nur eine ziemlich verzerrte Adaption des realen Vorbilds“, wie es Jean-Pierre Bartoli ausdrückt. Um seinen Zeitgenossen den Maghreb und den Mittleren Osten zu beschreiben, verwendet Félicien David eine französische musikalische Sprache und vermeidet bewusst ein modales System.
Die Pariser Anerkennung, die David durch Le Dèsert erhielt, öffnete ihm und seinem Werk die Türen zu ganz Europa. 1845 und 1846 spielet man das Werk in Brüssel, London, Berlin, Potsdam, Leipzig, Köln, München und Aachen (hier fand die Aufführung „in Kostümen“ statt mit vier Komparsen und zwei Kamelen aus Pappe). Le Dèsert überquerte sogar den Atlantik und hatte 1946 in New York Erfolg, 1990 in Berlin. Parallel zu diesem internationalen Erfolg drang Le Désert – auf eine für ein außerhalb der dramatischen Produktion liegendes französisches Werk sehr bemerkenswert – in das Konzertrepertoire der meisten französischen Städte ein: Die Aufführung in Caen (1846), Lyon, Boulogne-sur-Mer (1847), Rouen und Marseille (1848) waren die ersten Etappen eines nationalen Ruhms, der nicht vor Ende des Second Empire nachließ.
Dieser phänomenale Erfolg – den ein Komponist wie Berlioz zum Beispiel zeit seines Lebens nicht erleben konnte – hatte indessen unheilvolle Konsequenzen für die weitere Karriere von Félicien David. Alle seine folgenden Werke wurden an der Bedeutung von Le Dèsert gemessen: Die Rezeption des Oratoriums Moses au mont de Sinai (März 1846; 2014 in Clermont-Ferrand) litt bereits daran, und man spottete bei Le Saphir (1865 an der Opéra Comique uraufgeführt), dass der Komponist nun „von seinem Kamel herabgestiegen sei“. In der satirischen Zeitschrift Le Monde pour Rire stellt im Juli 1868 eine Karikatur des Zeichners Achille Lemont einen alternden David dar, der mit einer Lyra mit zersprungenen Saiten im Arm auf dem Skelett eines Kamels sitzt und an einen Pfosten gekettet ist. An diesem ein Schild mit der Aufschrift: „Wüste in alle Ewigkeit“…
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Der Beitrag von Etienne Jardin vom Palazetto Bru Zane am Zentrum der französischen romantischen Musik entnahmen wir in eigener Übersetzung (wieder einmal die wunderbare Ingrid Englitsch in Wien) dem informativen französisch-englischen Booklet der Neuausgabe des Davidschen Werkes bei naive mit Dank, G. H.
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Dazu auch ein Artikel von der website von Radio France, wo die Aufnahme im vergangenen Jahr übertragen wurde: Le Désert wurde 1844 am Théâtre-Italien in Paris uraufgeführt und war sofort ein großer Erfolg. Das dreiteilige Werk dauert etwa eine Stunde. Moïse au Sinaï ist kein Bühnenwerk, sondern eher ein kurzes Oratorium über ein biblisches Thema, das etwa vierzig Minuten dauert. Dennoch wurde es am 21. März 1846 an der Pariser Oper aufgeführt, aber es wurde streng beurteilt und fand nicht den verdienten Anklang. Christophe Colomb, das am 7. März 1847 am Conservatoire aufgeführt wurde, war ebenso erfolgreich wie Le Désert. Es ist die längste von Davids „Oden-Symphonien“, mit fast zwei Stunden Musik und vier prächtigen Tableaus. L’Eden, ein Mysterium (Oratorium), das am 25. August 1848, ebenfalls mit einem Sprecher, uraufgeführt wurde, fand wenig Beachtung – was angesichts der schwerwiegenden politischen Ereignisse jener Zeit (Sturz von Louis-Philippe im Februar, Herrschaft der gewählten Regierung der Zweiten Republik in Frankreich, Aufstand im Juni usw.) kaum verwunderlich war. Die Musik (die Orchestrierung ist verloren gegangen) ist ein Vorbote des Stils von Gounod in seinen besten Werken.
Müsste man die inneren Qualitäten von Davids Musik beschreiben, würde man an erster Stelle sein Talent als Dichter erwähnen, der (paradoxerweise) eine tiefe Nostalgie mit einer hypnotischen Ruhe verbindet, die an die unaussprechliche Qualität der besten Werke von Schubert erinnert. Die Bitten des Solosoprans in Moïse, der Rausch des Helios in Herculanum, der langsame Satz des Streichquartetts in A-Dur, die Beschwörung der Karawane, die durch die Wüste zieht: all das ist von dieser Art. Die Ungeduld der Romantik weicht der Freude an der Ekstase; die Melodie besticht durch ihre geschmeidigen, sinnlichen Linien. Die Exotik fügt manchmal einen weiteren Hauch von Raffinesse hinzu, ändert aber nie den edlen Charakter des Werks. David interessierte sich für alle Gattungen, die in den 1850er Jahren in Paris in Mode waren: Trio und Quartett, Kunstlied und Klaviermusik, Opéra-comique und große Oper. Er war nie sehr produktiv und zog es vor, seinen Lebensunterhalt als Lehrer zu verdienen, anstatt in rasantem Tempo zu komponieren. Und tatsächlich war alles, was er komponierte, von gleichbleibend hoher Qualität. Die Ägyptomanie tauchte in den Pariser Künsten zum ersten Mal zur Zeit des Ägyptenfeldzugs von Napoleon Bonaparte auf. In Nephté und dann in Mozarts Les Mystères d’Isis standen Ende des 18. Jahrhunderts sogar eine Sphinx und Pyramiden auf der Bühne der Pariser Opéra. Die Romantik kultivierte das Geheimnis der Hieroglyphen, die pittoreske Qualität der altägyptischen Architektur und ganz allgemein das Rätsel einer untergegangenen Zivilisation. Ein Vorbild für die Saint-Simonisten? Übersetzt mit www.DeepL.com/
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.