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Auf den Landkarten der Musik stellt die Spanne zwischen der von Cimarosa und der von Rossini, Bellini und Zeitgenossen (für die meisten Musikliebhaber) einen der berühmten weißen Flecken dar: terra incognita – im Sprung von den Opern des auslaufenden Settecento bis zu den Werken eines Rossini überschlägt man (natürlich nicht die Leser von operalounge.de, die bei uns reichlich über diese Periode informiert werden…) gemeinhin den wichtigsten Vermittler zwischen zwei musikalischen Welten, Giovanni Simone Mayr, der als Johann Simon Mayr 1763 im bayerischen Mendorf nahe Ingolstadt geboren wurde und der als ein weiterer deutscher Komponist im Ausland (ähnlich Händel, Johann Christian Bach oder Meyerbeer) bedeutend wurde für die Synthese von deutschem und (jeweils) nationalem Idiom, die seine eigene Musik, seine Schulung anderer und sein Einfluss bewirkte. Als Lehrer für u. a. Bellini und Donizetti hat er deshalb große Bedeutung: Als Vermittler deutscher Kompositionsstränge und musikalischer Grundlage ist er für die italienische Oper des 19.Jahrhunderts nicht hoch genug zu einzuschätzen.
Bei Dynamic ist nun eine weitere Aufnahme seiner hoch wichtigen Medea in Corinto erschienen – ein Mitschnitt von den Festspielen im apulischen Valle d´Itria, Martina Franca, davon später und nachstehend mehr. Aus Anlass aber eben der Neuvorstellung einer der wichtigsten Werke der italienischen Operngeschichte deshalb ein paar Worte zum Komponisten und dem Werk (das in operalounge.de anlässlich seiner Premiere 2015 in Martina Franca von unserem amerikanischen Kollegen John Jernigan besprochen wurde, wenngleich in Englisch, „nur“).
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Giovanni Simone Mayr (wie er sich nach seiner Übersiedlung nach Italien nannte und der Nachwelt bekannt ist) erhielt sein Grundtraining in der Jesuitenschule von Ingolstadt, wo er ein Stipendium wegen seines schönen Knabensoprans bekam. Trotz seiner offensichtlichen musikalischen Begabung zwang ihn sein Vater zum Theologie- und Jura-Studium an der Ingolstädter Universität. Während dieser Zeit erlernte und spielte er die Orgel und studierte „nebenbei“ alle Arten von Streich- und Blasinstrumenten – Kenntnisse, die ihm später bei seinen Kompositionen gut anstanden. Seine einzigen Werke in Deutschland, „Lieder beim Klavier“, wurden 1786 in Regensburg verlegt. Im folgenden Jahr nahm ihn sein Schweizer Gönner, Baron Thomas von Bassus, mit nach Italien, wo er seine musikalischen Studien weiterführte, zuerst unter Carlo Lenti, dem maestro di capella in Bergamo, dann 1790 in Venedig unter Ferdinando Bertoni, dort spielte er auch die Viola im Orchester des Teatro La Fenice. Bertoni war bekannt für seine Opern (Orfeo u. a.) und seine Kirchenmusik, und von ihm lernte Mayr am meisten. Er ließ ihn eine solide Ausbildung durchlaufen, auch in Kontrapunkt und Kompositionstechnik, und führte ihn in die neapolitanischen Opern, aber vor allem in die späteren, italienischen von GIuck ein.
Nach einer so rigorosen Ausbildung war es nicht erstaunlich, dass der Bertoni-Protegé dann seine erste Oper, Saffo, 1794 mit großem Erfolg am Teatro La Fenice uraufgeführt bekam. Während der kommenden dreißig Jahre komponierte Mayr rund 70 Opern, von denen die bedeutendsten in allen wichtigen Theatern Europas, von Venedig, Mailand und Neapel bis London, Wien und Paris, aufgeführt wurden. 1802 kehrte Mayr nach Bergamo zurück und nahm dort die Stellung eines maestro di capella in der Kirche von Santa Maria Maggiore ein. Trotz vieler verlockender Angebote (einschließlich eines von Napoleon für die Direktion der Pariser Theater) blieb er hier bis zu seinem Tode 1845. Er hatte vorher ein Konservatorium in Bergamo gegründet, an dem viele der später wichtigen und bedeutenden Musiker Italiens ausgebildet wurden, als wichtigster Schüler kann Donizetti genannt werden, dem er zehn Jahre Gratisunterricht wegen seines offenbaren großen Talents gab. Die Kommentare der Zeitgenossen wie Stendhal, Rossini oder Spohr zeigen, wie sehr Mayr von seiner Zeit geschätzt wurde, nicht nur für seine eigene Musik, sondern auch für seine musikalischen Aufsätze und Ausführungen (u. a. seine „Brevi Notizie della vita e delle opere di Giuseppe Haydn“). Bei seiner Beerdigung 1854 stand der junge Giuseppe Verdi in der ersten Reihe am Grab. Beigesetzt wurde Mayr neben seinem Schüler Donizetti in der Kirche Santa Maria Maggiore in Bergamo. Sein eindrucksvolles Grab ist Zentrum musikalischer Wallfahrten.
Ursprünglich wollte Mayr Kirchenmusiker werden, eine Begegnung mit dem Komponisten Peter von Winter (in seiner Zeit ein bekannter Mann und Autor zahlreicher Opern) als Gastdirigent in Venedig und später ein Treffen mit Niccolo Piccini stimmten ihn um, beide hinterließen tiefe Eindrücke bei dem jungen Mann. Der Saffo folgte eine lange Kette von Werken, meistens Buffe, also komische Opern. Mayr war darin der erste, der in Italien die banda, das Blasorchester, hinter der Bühne einführte, wie man später bei Verdi (vergl. z. B. der Auftritt des Königs in Macbeth) und anderen hören kann. Auch die Behandlung des Chores, namentlich aber die des Orchesters, erfuhr durch ihn Erneuerung. Orchesterfarben erhielten bei ihm stärkere Sinnlichkeit als in früheren Werken. Er führte Blas- und Blechinstrumente auf der Bühne ein. Dramatische Momente wurden von raffiniert eingesetzten Streichern und Bläsern erhöht, wie später etwa bei Rossini. Die Harfe erfuhr eine neue Bedeutung, und Donizettis Lucia z. B. ist ihm darin verpflichtet. Seine „Farbpalette“ der Orchesterfarben reichte von polyphonen Kirchenanklängen bis zu anmutigen Tanzmusiksätzen, von großen Doppelchören bis hin zu dramatischen, bedeutsamen Volksmusik-Elementen (vergl. später Rossinis Guillaume Tell). Auch die programmatischen Elemente in der Bühnenmusik wurden durch ihn zu neuer Bedeutung erhoben, Sturmmusiken oder Erdbeben, Sonnenaufgänge oder idyllische Schilderungen wurden in Musik ausgedrückt – Rossinis temporale oder Bellinis und Verdis stimmungsvorbereitende Orchesterpassagen kündigen sich an. Mayr griff auch auf die Orchestersprache der Wiener Klassik zurück und führte sie in Italien ein. Die majestätische Deklamation der französischen Bühne floss in seine Rezitative ein, besonders die Medea profitiert davon (etwa der Monolog Medeas, wenn sie die Unterwelt beschwört). Ein Prolog wie der von der Ermione Rossinis wäre ohne dies undenkbar, auch die Auftrittsszene der Lady Macbeth. Die Mayrsche Schule wurde zum definitiven Konzept in Italien.
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Um die Jahrhundertwende zum 19. Jahrhundert gab es nicht ein wichtiges italienisches Theater, an dem nicht eine Oper Mayrs gegeben wurde. Die Scala spielte zwischen 1801 und 1821 rund dreißig seiner Werke als Premieren. Seine seria Lodoiska hielt in Wien 1798 bei mehr als 12 Vorstellungen das Publikum in Bann – eine enorme Anzahl angesichts der meist kurzlebigen Produktionen der Zeit. Wenn man an die Opern der folgenden Komponisten wie Generali, Mercadante, Donizetti, Rossini, Bellini und sogar Verdi sieht, dann ist der enorme Einfluss Mayrs klar zu erkennen – besonders beim letzteren, wo solche Opern wie Medea in Corinto, Fedra oder Luigi Gonzaga klare Spuren hinterlassen haben. Der bekannte Bel-Canto-Forscher Herbert Weinstock zitiert in seinem Buch über Donizetti den Komponisten Carlo Conti 1822: “ Wenn man Donizettis ‚La Zingara‘ hört, findet man ein Septett, das nur ein Schüler Mayrs schreiben konnte.“ Paul Henry Lang, Händelbiograph und Musikwissenschaftler, sieht Mayrs Einfluss noch grundlegender und bezieht sogar Berlioz in den Kreis der von ihm Profitierenden ein.
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Medea in Corinto: In glanzvoller Besetzung ging Medea am San Carlo 1813 über die Bühne. Der absolute Star des Hauses, Isabella Colbran (später der Nachwelt eher durch ihre RossiniRollen und Verbindung mit ihm bekannt), war – wenn auch indisponiert – die Titelbesetzung, unter den übrigen fanden sich die Tochter des berühmten Manuel Garcia, die spätere Maria Malibran, als eines der beiden Kinder der Medea, der glorreiche Tenor Andrea Nozzari und Manuel Garcia selbst. Die Presse war enthusiastisch, der Hof des französischen Statthalters und Königs, Joachim Murat, begeistert. Der Direktor der Königlichen Theater in Neapel (neben dem San Carlo gab es noch das Teatro del Fondo), Domenico Barbaja (noch Ehemann der Colbran), soll die Oper selbst bei Mayr in Auftrag gegeben haben, und er zählte zu den progressivsten Kräften in der italienischen Kultur.
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In der Tat findet sich in der Medea viel Neues und Ungewöhnliches. Sie ist, wie die Presse sagte, „in der französischen Manier“ geschrieben, denn der Hof hatte einen solchen Geschmack, war man doch ein Trabantenkönigreich und nach Frankreich orientiert. Ahnlich wie Manfroces Ecuba (die 1990 in Savona von der Opera Giocosa gegeben und bei Bongiovanni mitgeschnitten wurde) war die Medea eben auf diesen Geschmack eingerichtet, das heißt, sie hatte keine Secco-Rezitative (Rezitative nur vom Cembalo begleitet), sondern recitativi strumentati (mit Orchesterbegleitung), wie in französischen Werken, was erst nach einer Kontroverse zwischen Barbaja und Mayr zustande kam, denn Mayr hatte ursprünglich italienische, also Secco-Rezitative geschrieben.
Gerade diese orchestrierte Flüssigkeit beeindruckte die Kritiker, die die orchestrierten Rezitative für Musikpassagen nahmen und die Fülle an gesungener Musik anmerkten. Auch fiel auf, dass diese Oper durchaus in der Folge Glucks und vor allem mit einem besonderen Augenmerk auf der orchestralen Linie, und nicht nur auf der für die Italiener so wichtigen vokalen, stand. Dennoch waren Publikum wie Presse angesichts dieser Neuheiten, dieser neuen Musikstruktur verwirrt: Man vermisste das Gewohnte, die langen erklärenden und inhaltstragenden Secco-Rezitative. Die Sänger fanden die Musik Mayrs eben wegen des permanenten Gesangsflusses (besonders in den orchestrierten Rezitativ-Passagen, später ähnlich denen aus Bellinis Norma) besonders anstrengend, schon wegen der Notwendigkeit, die Stimme stets über dem Orchesterapparat zu halten (offenbar waren schon damals die Dirigenten zu laut), und wegen der aufreibenden Aufeinanderfolge von orchestrierter Deklamation und exponierten Cantabile-Passagen. Die zeitgenössischen Stimmen waren nicht darauf eingerichtet, und schon bei der zweiten Vorstellung klagten die Sänger über Anstrengung und Heiserkeit – man musste erst (wie bei Verdi, Wagner und den Veristen später) eine neue Technik für einen neuen Gesang finden. Viele dieser Gründe machen eine Oper wie Medea in Corinto zu einem schwierigen, kontroversen Werk, und es verwundert nicht, dass es nicht allzu oft gespielt wurde, sondern sich eher anfangs stetig, aber nicht in
Man erkannte, dass Mayr – mehr noch als der Italiener Spontini in Frankreich – ein Werk des gelungenen Kompromisses zwischen der französischen Manier und der italienischen Vorliebe für das Supremat der Stimmen geschrieben hatte, auch zwischen der eher deutschen Präferenz für eine schwerere Orchestrierung und der leichteren Textur, wie man sie in Italien bevorzugte. Die Vestale fand man dagegen laut und extrem. Mayr hatte diese Synthese geschafft, die sogar so erfolgreich war, dass ihm der Superintendant der Königlichen Theater, der Conte di Noja, einen offiziellen Dankesbrief für seine Medea schrieb, etwas, das in der Theatergeschichte Italiens bis dahin ganz unerhört war. Es soll aber auch nicht verschwiegen werden, dass Mayrs Großtat ihre konventionellen Einschränkungen anderswo durch die Hand des Komponisten erfuhr. Mayr war Theaterpraktiker: In Wien, Bologna, Mailand und Paris gab man das Werk mit den altbekannten Secco-Rezitativen! Die Erstaufführung in Deutschland fand übrigens bereits 1821 in Dresden statt, Paris sah sie 1823, London 1826 (mit Teresa Belloc in der Titelpartie).
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Spurensuche: Ein Wort soll noch über die abenteuerliche Wiederauffindung der Oper verloren werden. Lange Jahrzehnte wurde Mayr als „Überläufer“ aus Deutschland nach Italien vergessen und lebte in moderner Zeit nur als Lehrer im Bewusstsein von Musikwissenschaftlern. Seine Medea in Corinto wurde erst 1963 zu Mayrs 200. Geburtstag in seinem Heimatland Bayern wieder ans Licht geholt. Der deutsche Musikologe Heinrich Bauer (auf dessen damaligen Bericht dieser Artikel aus der alten LP-Mitschnittsausgabe aus München beruht) erstellte eine Edition, und die Oper wurde beim Bayerischen Rundfunk 150 Jahre nach ihrer Entstehung unter Robert Heger mit Stina Britta Melander im Herkulessaal in München wieder aufgeführt – Anstoß für eine Reihe von Rundfunkaufnahmen anderer Anstalten mit anderen Werken Mayrs. Unabhängig von Bauer hatte der überaus verdiente amerikanische Dirigent und Forscher Newell Jenkins (dem die Musikwelt Erstaufführungen in moderner Zeit von eben der Medea, vor allem aber von Werken von Steffani, auch Rossini etc. verdankt) eine eigene Ausgabe vorbereitet, die er dann mit der von Bauer verglich und für seine Vorstellungen in New York und die darauffolgende Vanguard–Aufnahme abstimmte (die der neapolitanischen Version folgt; die einfach umwerfende und für meinen Geschmack immer noch einzig plausible Marisa Galvany singt die Titelpartie wie auch in der Bühnenaufführung 1969 in der Alice Tully Hall).
In moderner Zeit gab es die Medea in Corinto, abgesehen von New York 1969, dann 1972 als Konzert der rührigen Opera Rara in London mit Milla Andrew in der Titelpartie, 1974 in Wexford (mit Margreta Elkins), 1975 in Bern (mit Ruth Falcon), 1977 in Neapel (mit Leyla Gencer) und schließlich 1990 in konzertanter (und gekürzter) Form in Aachen (in der Originalsprache mit Janice Baird und unter dem Dirigenten Rainer Steubing). 2010 dirigierte Ivor Bolton die Oper in München (ziemlich unannehmbar mit Nadja Michael und Ramon Vargas besetzt und ausgerechnet auch noch als DVD bei Unitel, nun bei Arthaus herausgekommen – wirklich kein Gewinn!).
Abgesehen von der nur englischsprachig ausgestatteten Vanguard-Aufnahme unter Newell Jenkins gibt es neben der Aufnahmen von BR unter Heger für Sammler noch eine Live-Aufnahme der Aufführung von 1977 in Neapel mit der schon recht müde klingenden Leila Gencer (verschiedene Live-Firmen); William Johns und Cecilia Fusco zählen zu den bekannteren Mitwirkenden. Dann gab es noch 1997 die wirklich monströse Opera-Rara-Studio-Einspielung mit der wahrlich monströsen Jane Eaglen in der Titelrolle neben dem anämischen Bruce Ford unter der allzuschweren Hand von David Parry (da war nur das dicke Booklet eine Freunde). 2010 brachte Oehms Classics den Mitschnitt aus St. Gallen als CD heraus (wobei als einziger bekannter Name vielleicht Lawrence Brownlee als Egeo in Erinnerung bleibt, nicht etwa die saure Elzbieta Szmytka in der Titelrolle). Diese Besetzungen sind weit vom Idealen entfernt, wie auch die Neuaufnahme bei Dynamic.
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Weitere Mayr-Dokumente: Mayr ist inzwischen, anders als noch vor 10 oder 15 Jahren gut dokumentiert, wenngleich viele seine Opern bei kleinen Firmen und deswegen mit mehr als diskutablen Stimmen (so wie auf der neuen Dynamic-Ausgabe) oder Editionen dokumentiert – was auch den Markt für besser besetzte Neuaufnahmen verstopft. Lodoiska gibt es aus Ingolstadt 2010 bei Oehms Classics, Ginevra di Scozia aus Triest 2001 bei Opera Rara, die Fedra aus Braunschweig von 2008 bei Oehms, Gioas (eigentlich ein Oratorium) aus Ingolstadt 2010 von dem tüchtigen Mayr-Champion Franz Hauk, bei Naxos, Naxos hat ein Matrimonio di Tobia unter Franz Hauk (Ingolstadt), Saffo unter Hauk bei Naxos wurde bereits erwähnt, aber wichtig ist auch die Oper La Rosa rosa e la rosa bianca aus Bergamo bei Ricordi (mit der jungen Antonacci). Das opernhafte Oratorium Samuele gibt es, neben einem alten Mitschnitt aus Lugo, nun aus Ingolstadt bei Naxos 2009, Sisara von ebendort 20004 bei Guild (Hauk), der Sogno di Partenope unter Hauk bei Naxos. 2003 gab es Athalia (Hauk/ Ingolstadt/ Naxos). Und schließlich einen etwas diskutablen Verter aus Wildbad 2001, der nicht von Mayr stammt und bei Naxos herauskam, wie auch manche andere Vokalwerke und Kantaten. Und natürlich auch die Fedra aus Braunschweig bei Oehms (mit diskutabler Titelbesetzung).
Bern zeigte 1984 die Pastiche Komödianten (Che originali), in der sich Musik aus verschiedenen farse Mayrs wiederfand (Guild und andere). Dann noch sein Amore conjugale (von der BBC kursierend als Piratenaufnahme bei EJR und nun bei Naxos aus Wildbad 2004); der bayerische Rundfunk gab 1974 Luigi Gonzaga. Man muss aber unbedingt die CD (ehemals LP mit schönem Beiheft) der Londoner Opera Rara mit Auszügen aus anderen Opern Mayrs erwähnen. Auf der CD-Aufnahme des dritten Bandes der bedeutenden Opera-Rara-Anthologie von italienischer Opern im 19.Jahrhundert, 1810-1820, sind ebenfalls Mayr-Auszüge zu finden, darunter auch aus der Medea die Arie der Creusa. Von den Aufführungen desTelemaco in Neuburg 2015 gibt es nur einen Privatmitschnitt, ebenso von dem Ulisse in Regensburg 2010. Nachzutragen sind (stand 2023 ein Alfredo il Grande bei Naxos und Le due Duchesse (dto). Geerd Heinsen
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Und nun die Rezension der neuen Aufnahme bei Dynamic: Auch 2015 blieb das Festival della Valle d’Itria in Martina Franca seinem Grundsatz treu, mehr oder weniger unbekannte Opern in das Gedächtnis der Musikwelt zurückzurufen, neben Le Braci, wovon es eine CD gibt, auch Johann Simon oder Giovanni Simone Mayrs Medea in Corinto, 1813 im Neapel Murats, König beider Sizilien, Marschall von Frankreich und Schwager Napoleons, uraufgeführt und im 19.Jahrhundert an zahlreichen italienischen Bühnen und an denen ganz Europas zu sehen. Die jüngsten Aufführungen gab es in München und St. Gallen noch vor der in Martina Franca.
Schauplatz ist 2015 der Hof des Palazzo Ducale der Kleinstadt in Apulien, dessen Fassade angemessen archaisch anmutet, der Boden ist bedeckt mit einem Rasen und unzähligen Mohnblumen, ersterer verschwindet in einem gewalttätigen Akt ganz, letztere zieren noch bis zum Schluss in kleinerer Anzahl die Bühne von Maria Paola Di Francisco. Ein Graben durchzieht das blühende Feld, aus ihm können Personen erscheinen und in ihm verschwinden. Die Kostüme von Tommaso Lagattolla wirken ebenfalls wie aus sagenhafter Zeit mit langen Röcken für die Herren. Eigenartig ist, dass kein Choreograph genannt wird, denn die Inszenierung von Benedetto Sicca ist stark tänzerisch ausgerichtet. So bewegt sich das Geschwisterpaar (Chiara Ameglio und Cesare Benedetti von der Fattoria Vittadini Dancers) , Kinder Medeas und Jasons, tanzend oder pantomimisch und damit äußerst ausdrucksvoll, gibt es auch eine ausgefeilte Choreographie für den Chorus of the Transylvania State unter Cornel Groza. Das Philharmonic Orchestra of Cluj-Napoca verstärkt das Orchestra Internazionale d’Italia, die unter der Leitung des Martina-Franca-treuen Fabio Luisi zu großer Form auflaufen. Wer sich das Ganze nicht optisch antun will kann zur CD derselben Quelle greifen, manches ist dann doch anders…
Eine äußerst schwierige Partie ist die der Medea, die Koloraturgeläufigkeit mit Dramatik verbinden muss. Davinia Rodriguez dürfte das für die Vor-Verdi-Zeit sein, was der Komponist aus Roncole sich für die Lady Macbeth gewünscht hatte. Sie schlägt sich wacker, wirkt dämonisch in der Darstellung, aber schräge Töne, schrille, kurz angetippte Höhen, viel hohl Klingendes, eine schwach ausgebildete Mittellage gehen über das hinaus, was man eigentlich tolerieren möchte. Imponierend gelingt immerhin die Schlussszene, aus einem der Fenster des Palazzo gesungen. Ihre Gegenspielerin Creusa (Mihaela Marcu) ist anmutig anzuschauen und erfreut mit einem lieblichen, warmen, runden Sopran. Dunklere Töne steuert die Ismene von Nozomi Kato bei. Vier Tenöre verlangt das Stück. Mit Michael Spyres hat man für den Giasone einen hochvirtuos singenden mit schönen Farben in allen Lagen der Stimme und einer Bombenhöhe gefunden. Nur wenig nach steht ihm darin der Egeo von Enea Scala, zudem eine stattliche Erscheinung, nur nicht so gleichmäßig in allen Registern der Stimme ansprechend. Die kleineren Tenorpartien werden von Paolo Cauteruccio (Evandro) und Marco Stefani (Tideo) angemessen gesungen. Leicht nasal klingt der junge Bass Roberto Lorenzi als Creonte. Mit den schwierigen Partien gewachsener Besetzung könnte das Werk durchaus eine Bereicherung des Repertoires sein und eine angemessene Würdigung des in Deutschland vernachlässigten Komponisten, der in Bergamo neben seinem Schüler Donizetti im Dom der Città Alta ruht (2 DVDs Dynamic 37735/ CD CDS7735/1-2). Ingrid Wanja
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Eine vollständige Auflistung der bisherigen Beiträge findet sich auf dieser Serie hier.