Der englische Bariton Benjamin Hewat-Craw, gerade mal 28 Jahre jung (er kam mit 22 nach Deutschland), machte nicht nur mit seiner jüngsten CD mit Schuberts Winterreise und deren ungewöhnlchem Cover bei ARS einen interessanten splash. Auch im Gespräch mit Ruth Wiedwald hat man es mit einem interessanten, denkenden Künstler und Menschen zu tun, der zudem gerade Deutschland als seinen festen Wohnsitz gewählt hat – ein willkommener Post-Brexit-Import.
Im vergangenen Herbst (2020) kam Ihre Debüt-CD heraus: Schuberts Winterreise im Duo mit dem Pianisten Yuhao Guo. Wie haben Sie nach diesem Kraftakt der Aufnahme (und während des Lockdowns) die vergangenen Monate verbracht? Wir haben in der letzten Woche vor dem ersten Lockdown aufgenommen. Es war eine knappe Sache, aber wir waren natürlich sehr froh, die Aufnahme damals schon fertig gemacht zu haben. Danach sind wir ins Gespräch mit unterschiedlichen Labels gekommen, und wir sind sehr glücklich, dass wir uns für ARS Produktion entschieden haben. Wir fühlen uns dort sehr unterstützt und planen schon unsere nächste CD mit dem Label. Yuhao und ich hatten Konzerte in der Zeit, als der Lockdown nicht so extrem war. Wir sind damals im Theater Mönchengladbach und im DA Kunsthaus Kloster Gravenhorst aufgetreten, was sehr besonders war, da wir die CD in eben jenem Kloster aufgenommen hatten. Wir haben uns auch auf Wettbewerbe vorbereitet – den Hugo Wolf Wettbewerb in Stuttgart und Das Lied in Heidelberg. Trotz des Lockdowns hatten wir also immer etwas zu tun!
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie für Ihr Debüt ausgerechnet Schuberts Winterreise gewählt haben? Wir wollten unsere Ankunft in der internationalen Liedszene mit einem Knall ankündigen. Deshalb haben wir uns für die Winterreise entschieden. Einerseits glaube ich nicht, dass es einen ikonischeren Liederzyklus gibt als die Winterreise. Anderseits wollten wir unsere jugendliche Energie in die Interpretation des Stücks einbringen. Wir fanden es sehr spannend zu zeigen, wie anders unser Blickwinkel auf das Werk vielleicht ist.
Yuhao Guo und ich hatten schon seit drei Jahren zusammen als Lied-Duo musiziert und uns besonders intensiv mit der Winterreise beschäftigt. Wir haben uns schon relativ früh vorgenommen, davon eine Aufnahme zu machen.
Was bewegt Sie als jungen Menschen und Sänger an den Stücken besonders? Ich glaube, in ihrer Jugend sind Menschen eher extremer in allem was sie tun. Das Leben ist weniger bequem und man entdeckt die Grenzen vom Leben in diesen Lebenszeiten. In diesem Stück entdeckt der Protagonist seine psychischen und körperlichen Grenzen.
Ich kann zwar nur für mich sprechen, aber ich konnte mich mit diesem Zyklus immer stark identifizieren. Die musikalische Ergründung der dunkleren Seiten des Menschen haben mich fasziniert, seit ich die Winterreise vor zehn Jahren zum ersten Mal gehört habe.
Warum würden Sie heute jungen Leuten empfehlen die Winterreise zu hören? Ich empfehle jungen Leute den Zyklus zu hören, weil er sehr gut zu unserem Zeitalter mit seinen Herausforderungen passt. Wir leben in einer Zeit, in der wir sehr viel Zeit allein verbringen, nicht nur wegen der Coronakrise, sondern auch wegen der sozialen Medien. In dem Zyklus erleben wir, wie der Protagonist mit seiner Einsamkeit umgeht. Ich glaube, das kann sehr vielen jungen Menschen Mut geben und zeigen, dass sie eben nicht allein sind, sondern dass wir alle gemeinsam allein sind. Jeder, der sich auf das Werk einlässt, wird erleben: Es gibt den Menschen das, was sie wirklich brauchen. Diese Musik und diese Dichtkunst können etwas vermitteln, was wirklich wichtig ist. Das wollen wir ganz direkt zu den Menschen bringen.
Für das Cover Ihrer Debüt-CD haben Sie und Yuhao Guo sich in ein Fuchsfell gehüllt und außergewöhnlich gestyled. Eigentlich sehr entgegengesetzt dem romantischen Anspruch der Lieder. Lieben Sie das Unkonventionelle im Konventionellen? Wir möchten junge Leute in unserem Alter ansprechen, die Facebook und Instragram nutzen. Das gesamte Paket muss stimmen. Viele Leute kaufen nach Aussehen – um dann etwas Schönes darin zu entdecken! Wir denken, wir können etwas Neues und Interessantes dazu beitragen. Es ist so wichtig, den Reichtum der klassischen Musik an die nächsten Generationen zu vermitteln. Auch deswegen haben wir uns für ein etwas schrilles Cover-Design entschieden. Die Optik macht erst einmal neugierig – aber dann folgt die echte Überraschung: Hinter der hippen Verpackung steht absolut seriöse Kunst, die höchsten Ansprüchen gerecht wird, die emotional und intensiv ist.
Genauso ungewöhnlich ist es sicherlich, dass Sie im Alter von 22 Jahren entschieden haben, Ihre Heimat Großbritannien zu verlassen und nach Deutschland zu gehen. Was hat Sie dazu bewegt? Ich habe zu dieser Zeit von einem Bariton Unterricht bekommen, der in Deutschland gelebt hat. Ich kam nach Deutschland, um mehr von ihm zu lernen und intensiver mit ihm zu arbeiten. Im Nachhinein war es schon schwierig, hier ein neues Leben aufzubauen, aber ich war zu einem gewissen Punkt blauäugig und das hat interessanterweise geholfen. Es war leichter damals, mit so einem Umzug mehr zu riskieren.
Was schätzen Sie an Deutschland? Ich liebe allgemein die Wertschätzung der Kulturszene. Ich weiß, in diesen Coronazeiten hat die Regierung zurecht viel Kritik bekommen. Opernhäuser und Konzertsäle sind zu, und das ist sehr schade. Ich verstehe die Ernsthaftigkeit der Situation, aber immerhin werden die Arbeitnehmer in den Theatern weiter finanziell unterstützt und es gibt großzügige Zuschüsse für die freie Kulturszene von der Regierung. International gesehen ist Deutschland immerhin ein Paradies für die Kunst im Vergleich zu anderen Ländern in Europa. Ich versuche das Gesamte hier positiv zu bewerten, weil allgemein die Situation hier vergleichsweise sehr gut ist.
Wie sind Ihre weiteren Pläne? Geht es mit der Winterreise auf Tour (sofern es wieder möglich sein sollte) oder haben Sie bereits neue Projekte, über die Sie uns etwas verraten können? Eine Winterreise-Tour haben wir auf jeden Fall vor. Auftritte in Berlin und Hamburg sind in der Planung. Unsere nächste CD wird eine mit englischen Liedern. Sie wird drei Zyklen von Vaughan Williams, Butterworth und Gurney enthalten, die alle in den zehn Jahren vor dem Ersten Weltkrieg geschrieben wurden. Der Titel der CD wird Never such innocence again sein, was auf Deutsch soviel heißt wie Niemals wieder eine solche Unschuld. Erscheinen wird sie im März 2022. Das Gespräch führte für operalounge.de Ruth Wiedwald (alle Fotos @Benjamin Hewat-Craw; https://www.benjaminhewatcraw.com/).