Unersetzlich

 

Es gab für uns als West-Berliner Operngänger eine Zeit, als Aufführungen an der Deutschen Oper so voraussichtlich sicher waren wie die Deutsche Bank. Man blickte beim Anstehen für die Studenten-Plätze auf dem 2. Rang auf das Monatsplakat und wusste: Der oder der andere Abend läuft so ab, wie wir uns das vorstellten. Weil George Fortune den Amonasro sang, den Escamillo (in neuen und selbstbezahlten Samthosen), den  Renato, den Alfio und Tonio, und viele mehr. Es stand ja nicht nur George Fortune auf den Brettern der DOB, natürlich auch seine vielen Kollegen, die wie er ein Haushaltswort an Qualität und Zuverlässigkeit waren: Gladys Kuchta, Hans Beirer, Donald Grobe und Barry MacDaniel, Annabelle Bernard und Karl-Ernst Merker, Robert Kerns und viele, viele andere. Die Deutsche Oper war – wie viele deutsche Häuser der Sechziger/Siebziger und Achtziger noch – ein Ensembletheater von hoher künstlerischer Qualität, eben weil sie so  hervorragende Sänger wie George Fortune als Hauskräfte besaß.

Und an George erinnere ich mich sehr und sehr gerne: diese wirklich bombig sitzende Stimme mit dem ganz eigenen Timbre, ideal für Verdi und dessen Zeit, nie ausfallend, immer präsent, vor allem als Barnabà in der alten Gioconda (die in ihrer wunderbaren Quasi-Original-Pappe noch immer gespielt wird und jedes Mal Szenenapplaus bekommt). Dieser fiese Brunnenvergifter war eine ideale Partie für George, der alle Nuancen der Musik und der Darstellung genüsslich auskostete. Ich habe nie wieder diese Rolle so intensiv erlebt wie durch ihn. Er war an vielen Abenden am Haus einfach nicht entbehrlich. Und meine Erinnerungen an die Deutsche Oper gelten in erster Linie auch ihm, der an seinem Wohnort Berlin auch als ein gesuchter Stimm-Lehrer einen Namen hatte. Nun ist er im hohen Alter am 23. September 2019 gestorben. RIP George. G. H.

 

Sein Stammhaus, die Deutsche Oper Berlin, schreibt: Noch nicht dreißigjährig kam George Fortune 1960 (* 13. Dezember 1931 in Boston) in Europa an.  Er debütierte in Ulm als Ford in DIE LUSTIGEN WEIBER VON WINDSOR von Otto Nicolai und gewann im folgenden Jahr den 1. Preis des renommierten ARD-Wettbewerbs in München. Die Fachkollegen Roland Herrmann und Benjamin Luxon erhielten den 3. Preis. Beim Norddeutschen Rundfunk debütierte George Fortune daraufhin in einer deutschsprachigen Gesamtaufnahme der BOHEME mit einer seiner späteren Paradepartien als Maler Marcello. Mit von der Partie war der Erste Preisträger von 1960, Iwan Rebroff, dessen Karriere abgesehen von Prinz Orlofsky in DIE FLEDERMAUS bekanntlich in andere Gefilde führten. Ebenfalls mit dabei war Evelyn Lear, die bereits mit der Deutschen Oper Berlin (bzw. der Städtischen Oper) im Kontrakt stand, und Donald Grobe, dessen Debüt an der Deutschen Oper Berlin mit Don Ottavio in der Eröffnungsvorstellung DON GIOVANNI unmittelbar bevorstand, sowie William Dooley, der im Jahr darauf nach Berlin kam. Die Aufnahme entstand für eine Fernsehproduktion, die am 25. Dezember 1962 zum ersten Mal ausgestrahlt wurde (und dank Youtube heute halblegales Allgemeingut ist).

Über Ulm und Augsburg und nach dem zwischenzeitlichen Debüt an der Wiener Staatsoper kam George Fortune 1965 in das Ensemble der Deutschen Oper Berlin, in dem er sich schnell zu einer zentralen Figur entwickelte. Er übernahm in vielen Premieren die Partien seines Fachs und war vor allem auch ein verlässlicher Zweiter, der die Hauptpartien in zahlreichen Repertoirevorstellungen übernahm, auch wenn ihm die Ehre der Premiere nicht zugekommen war. Mit Lorin Maazel trat er seine neue Wirkungsstätte an und in dessen weltweit beachteter erster Berliner Premiere LA TRAVIATA sang er den Baron Douphol. Sein Repertoire war weit gefächert und umfasste sowohl Ur- und Erstaufführungen wie LOVE‘S LABOUR‘S LOST von Nicolas Nabokov oder WIR ERREICHEN DEN FLUSS von Hans Werner Henze, als auch Opernhits wie DER BAJAZZO oder EIN MASKENBALL. Gerd Albrecht setzte ihn gerne bei seinen Erkundungen zur Erweiterung des Repertoires ein, nicht nur sang er den Grafen Tomskij in PIQUE DAME, sondern auch den André Thorel in der konzertanten Aufführung der THERESE von Jules Massenet, die auch – allerdings nicht in der Deutschen Oper Berlin, sondern in Italien – auf Schallplatte/CD aufgezeichnet wurde. Auch in OLYMPIE von Gaspare Spontini, die Albrecht nicht in der Deutschen Oper Berlin realisieren konnte, sondern in der Philharmonie mit dem RSO, wirkte er mit. In der konzertant am Klavier wiederbelebten Oper HOLOFERNES von Nikolaus von Reznicek, die am Deutschen Opernhaus Charlottenburg 1923 uraufgeführt worden war, trat er später in die Fußstapfen des großen deutschen Bassbaritons Michael Bohnen. George Fortune warf sich mit dem gleichen Elan in traditionelle wie moderne Inszenierungen. So konnte man ihn kurz nacheinander in LA GIOCONDA, inszeniert von Filippo Sanjust im Stil der Uraufführung und in DIE MACHT DES SCHICKSALS, inszeniert von Hans Neuenfels erleben. 1995 ließ er sich mit viel Selbstironie auf Götz Friedrichs Spiel mit den Sängern in CARMINA BURANA ein, das auf eine liebevolle Parade der Musikereitelkeiten hinauslief. Das war seine letzte große Premiere an der Deutschen Oper Berlin unter dem damaligen Generalmusikdirektor Rafael Frühbeck de Burgos. Im gleichen Jahr wurde ihm der Titel „Berliner Kammersänger“ verliehen. Mit der Baritonpartie in CARMINA BURANA verabschiedete er sich im März 2001, nach fast 36 Jahren, von seinem Berliner Opernpublikum. Danach trat er noch vereinzelt als Opernsänger u. a. in den USA (wo er 2004 seinen endgültigen Bühnenabschied feierte) und in Berlin noch einmal bei einem Konzert des Ärzteorchesters auf. Weiterhin wirkte er als Gesangspädagoge und bildete eine ganze Generation von jungen Sängern aus.

Der 1931 in Boston geborene Sänger studierte zunächst Philosophie und Sprachen in seiner Heimatstadt und an der Georgetown Universität in Washington D. C. Seine stimmliche Ausbildung erhielt er bei dem berühmten amerikanischen Bariton Todd Duncan, der 1935 in Boston die Rolle des Porgy aus der Taufe gehoben hatte. George Fortunes Stimme zeichnete sich durch eine besondere menschliche Wärme aus, die den in der Farbe bis zur Schwärze dehnbaren Kern umschloss.

Seine größten Erfolge feierte er im italienischen Fach: 1985 gab er als Tonio in PAGLIACCI sein Debüt an der Metropolitan Opera New York, wo er auch der Amonasro in Verdis AIDA, Scarpia in TOSCA und Jack Rance DAS MÄDCHEN AUS DEM GOLDENEN WESTEN von Puccini war. Oft sang er neben Plácido Domingo, zu dessen Timbre und Art des Singens das seine ideal passte. So in TOSCA, OTELLO, LA GIOCONDA und DAS MÄDCHEN AUS DEM GOLDENEN WESTEN.

George Fortune hat diverse Schallplatten und CDs eingespielt: neben den erwähnten THERESE und OLYMPIE, ARMIDA von Antonín Dvořák, sowie einige Oratorien wie „Christus“ von Franz Liszt, die „Krönungsmesse“ von Wolfgang Amadeus Mozart und „La Vita nuova“ von Ermanno Wolf-Ferrari.

Wir sind in Gedanken bei der Witwe von George Fortune und wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Quelle Deutsche Oper

 

  1. Philipp Schwarz

    Ich erinnere mich an viele Aufführungen von Donizettis LUCIA DI LAMMERMOOR in der Deutschen Oper Berlin zwischen Ende der 80er und Mitte der 90er Jahre. Der Berliner Publikumsliebling Lucia Aliberti sang in allen Vorstellungen die Titelpartie. Gewöhnlich wurde die Diva in ihrem musikalischen Umfeld mit einem prominenten Edgardo (Araiza / Giordani (!!) / Alagna / Kraus) umgeben, ebenso gern und oft auch mit einem „Star-Bariton“ (Brendel / Frontali / Servile / Manuel Lanza). Wenn keiner dieser Herren verfügbar war, dann wurde George Fortune aus dem Hut gezaubert. Sein Enrico war immer stilistisch einwandfrei, bodenständig und ohne irgendwelche gesanglichen oder technischen Mätzchen – einfach nur geradlinig gesungen, authentisch interpretiert und eine Wohltat für Auge und Ohr. Wenn er auf der Bühne stand, habe ich die „Stars“ nicht vermisst…

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  2. Ekkehard Pluta

    Lange bevor ich ihn in den hier erwähnten Produktionen der Deutschen Oper erleben konnte, habe ich Fortune als Ulmer Schüler 1961 als Amonasro in der dortigen Donauhalle erlebt. Als Lokalpatriot, zumindest in Sachen Theater, habe ich mich dann gefreut, ihn nur ein Jahr später in der Fernsehproduktion der „Bohème“ anzutreffen und im Mitschnitt des Abschlußkonzerts des ARD-Wettbewerbs mit Valentins Arie. Dass ich mich nach mehr als einem halben Jahrhundert daran erinnere, spricht für die schon damals sehr starke Ausstrahlung des Sängers.

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